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Birgit Johannsmeier
Zündstoff im Baltikum
Streit um die geplante deutsch-russische
Gasleitung
Die "energiepolitische Sicherheit" ist ein Stichwort, das schon
bei der EU-Bewerbung aller drei baltischen Länder gefallen
ist. Weil weder Litauen, Lettland noch Estland über
ausreichende Ressourcen verfügen, machte sich Estland für
den weiteren Einsatz des schmutzigen Ölschiefers stark und
Litauen wehrte sich lange gegen die Schließung des Atommeilers
"Ignalina", der baugleich mit dem Unglücksreaktor von
Tschernobyl ist. Immerhin hatte gerade Litauen in seinem
Freiheitskampf 1990 die erste Ölblockade erlebt. Damals wollte
Moskau mit dem Stopp der Öllieferungen alle drei baltischen
Länder zwingen, auf ihre Unabhängigkeit zu
verzichten.
Seitdem sich Bundeskanzler Gerhard Schröder und Russlands
Präsident Wladimir Putin im Spätsommer dieses Jahres auf
den Bau einer Gaspipeline geeinigt haben, die entgegen
früheren Vorschlägen nicht durch die neuen EU-Staaten
Lettland, Litauen und Polen führen soll, ist man in der
lettischen Hauptstadt Riga wieder besorgt.
Das Thema ist Gesprächsstoff auch bei den Bürgern. So
sind Passanten, die auf dem beliebten Freiheitsboulevard in Riga
flanieren oder den Wachwechsel beobachten, der stündlich vor
dem lettischen Freiheitsdenkmal stattfindet, in den letzten Wochen
dabei in politische Gespräche vertieft. Sie sind
entrüstet über die deutsch-russischen Pläne. "Ich
bin empört", meint eine Passantin, "schon im Zweiten Weltkrieg
haben Hitler und Stalin einen Pakt geschlossen. Die kleinen
Länder werden immer übergangen." Und ein anderer Mann
sagt: "Wir sind doch jetzt in der Europäischen Union. Warum
werden nicht alle EU-Mitglieder gefragt? Es geht doch auch um die
Umwelt. Die Ostsee ist in Gefahr."
Im Institut für Meeresbiologie untersucht Andris
Andrushkeitis regelmäßig Wasserproben aus der Ostsee.
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich die
Wasserqualität stark verbessert, weil die Abwässer aus
Industrie und Kommunen nicht mehr ungeklärt ins Meer
gespült werden. Neue Sorgen bereiten dem Biologen heute die
zahllosen Tanker, die beladen mit chemischen Substraten, mit
Öl oder Gas, die Ostsee befahren. Da könnte eine neue
Gasleitung auf dem Meeresgrund sogar als Entlastung dienen, meint
Andris Andrushkeitis.
Dabei weiß der Biologe, dass die deutsche Wehrmacht und die
Rote Armee nach dem Zweiten Weltkrieg auch Munition in der Ostsee
versenkt haben, die Senfgas enthält. Anders als die lettische
Regierung sieht er im Bau der Pipeline trotzdem kein erhöhtes
Risiko. "Die Rohrleitung soll um die Müllhalden herum gebaut
werden", erklärt er. Man wisse zwar noch nicht genau, bis
wohin der Munitionsabfall reiche, aber mit der heutigen
Navigationstechnik lasse sich jede Bombe bis auf einen Meter genau
orten. Allerdings sollte Brüssel die Untersuchungen
prüfen. "Die Gasleitung wird ja auch in europäischen
Gewässern geplant."
Das deutsch-russische Projekt ist auch ein Dauerbrenner im
lettischen Parlament, das Deutschland immer wieder kritisiert, weil
es ohne seine EU-Partner im Baltikum die Gasleitung bauen will.
Sicherheitspolitischer Sprecher des Parlaments ist der frühere
Umweltminister und Premier Indulis Emsis, der die Grünenpartei
in Lettland gegründet hatte. Er will Berlin gemeinsam mit
Abgeordneten aus Litauen und Estland zur Umkehr bewegen. "Wenn
diese Gasleitung nicht durch die baltischen Länder geht, dann
kann Russland uns den Gashahn zudrehen. Das heißt, dass eine
Gasleitung durch Lettland eine Garantie wäre, dass wir in das
europäische Energiesystem integriert sind."
Bei der jüngsten gemeinsamen Sitzung der drei baltischen
Parlamente Ende November stand die Gasleitung wieder auf der
Agenda. Die baltischen Staaten wollen nun über die EU Einfluss
auf den Bau der Gasleitung nehmen. Sie fürchten um die
Sicherheit ihrer Energieversorgung und - wegen der schlechten
Erfahrungen aus der Geschichte - um die damit einhergehende
politische Unabhängigkeit.
Zwei Drittel seines Energiebedarfs muss Lettland aus dem Ausland
importieren. Dabei spielte das russische Gas schon im Sozialismus
eine große Rolle. Adrians Davis ist Vorstandsvorsitzender beim
Energieversorger "Latvijas Gaze" und kann sich noch gut an den Bau
der ersten Rohrleitung erinnern, die seit 1968 Westsibirien mit
Lettland verbindet. Eine große Entdeckung war damals der
unterirdische Sandsteinspeicher in der Nähe von Riga, aus dem
im Winter der erhöhte Gasbedarf gedeckt wird. Ähnliche
Speicher könnten sogar einer neuen Pipeline dienen, wenn sie
durch Lettland, Litauen und Polen nach Deutschland führen
würde. Ein Thema, zu dem Adrians Davis lieber schweigt, weil
"Latvijas Gaze" heute vor allem deutschen und russischen
Aktionären gehört. "Ich denke schon lange darüber
nach, wie man das russische Gas am besten nach Europa liefert",
sagt er, "aber die russische ,Gazprom' scheut hohe
Transitgebühren und hat Angst vor politischen Querelen. Durch
die Ostsee fließt das Gas ruhig und umsonst."
Die lettischen Politiker geben sich allerdings noch nicht
geschlagen. Sie werben weiter für eine Gasleitung über
das Festland und hoffen jetzt auf die neue Regierung in Berlin.
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