Gunter Holzweißig
Diener zweier deutscher Diktaturen
Eine Biografie des ersten
DDR-Außenministers Georg Dertinger
Georg Dertinger, der erste DDR-Außenminister, war keine
bedeutende Persönlichkeit der Zeitgeschichte. Dennoch lohnt es
ungemein, sich mit seiner Biografie zu befassen, ist sie doch ein
Lehrstück für die Steigbügelhalter-Dienste, die
opportunistische Konservative sowohl im Dritten Reich als auch in
der SBZ/DDR geleistet haben.
Mit dem Schicksal solcher Grenzgänger beschäftigt sich
Peter Joachim Lapp mit Empathie. Nach seiner Biografie des
zeitweiligen stellvertretenden DDR-Verteidigungsministers Vincenz
Müller, der als Berufsoffizier in vier deutschen Armeen
diente, hat Lapp nun die ebenfalls tragisch endende
Lebensgeschichte Georg Dertingers aufgezeichnet.
Dertinger (1902-1968) stammte aus einer gut situierten Berliner
Kaufmannsfamilie. Sein Berufswunsch war die Offizierslaufbahn, auf
die er sich seit 1916 in preußischen Kadettenanstalten
vorbereitete. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg bestand jedoch
in der Reichswehr kein Bedarf an Offiziersanwärtern. Dertinger
begann ein Jurastudium, das er nach einem Jahr abbrach, um sich als
Journalist bei Zeitungen des rechtskonservativen Spektrums zu
verdingen - darunter beim Organ des Frontkämpferbundes "Der
Stahlhelm". 1930 übernahm er die Leitung der
Pressekorrespondenz "Dienst nationaler Tageszeitungen".
Im April 1933 wurde Dertinger in den erweiterten Vorstand der
Reichspressekonferenz gewählt, deren Vorgehensweise bei der
Gleichschaltung und der Anleitung der Presse später von der
SED in der SBZ/DDR beinahe nahtlos übernommen wurde. 1934
beauftragte ihn das Auswärtige Amt mit der Herausgabe der
Auslandspressekorrespondenz "Dienst aus Deutschland". Dieser
Pressedienst sollte der Selbstdarstellung des NS-Regimes im Ausland
dienen, weshalb auch kritische Artikel erwünscht waren.
Dertinger, der wohl aus diesem Grunde nicht in die NSDAP
eintreten musste, nutzte in seinen Kommentaren manchmal diesen
Freiraum. Das führte allerdings auch zu bedrohlichen
Konflikten mit dem Propagandaminister Joseph Goebbels. Im Kriege
schrieb Dertinger einerseits Durchhalteartikel im
Blut-und-Boden-Duktus, unterhielt aber andererseits auch Kontakte
zu bürgerlich-christlichen Widerstandskreisen.
Dertingers zweite Karriere begann im Juni 1945 als
Mitbegründer der CDU, die zuerst in der Sowjetischen
Besatzungszone ihre Zulassung erhielt. Er wurde zunächst
Pressereferent in der CDU-"Reichsgeschäftsstelle", um dann im
Januar 1946 zum Generalsekretär der Ost-CDU zu avancieren. Der
von den Sowjets gewünschte Aufstieg Dertingers zum
DDR-Außenminister im Oktober 1949 beruhte nicht zuletzt auf
seiner Verpflichtung zum NKWD-Agenten.
Unter dem Decknamen "Georg Kreth", dem Geburtsnamen seiner
Mutter, erwies er sich als zuverlässiger Gefolgsmann. So
machte er sich auch zum Werkzeug der Sowjets beim Sturz des
Ost-CDU-Vorsitzenden Jakob Kaiser und dessen Stellvertreter Ernst
Lemmer sowie bei der Verfolgung und Verhaftung von anderen
Parteifreunden. Deutschlandpolitisch trat er vehement und wohl auch
aus Überzeugung für die Wiederherstellung der nationalen
Einheit ein.
In der Sprache des Kalten Krieges polemisierte er gegen
Adenauers Westpolitik und traf sich mit befreundeten westdeutschen
CDU-Politikern. Dabei versuchte er sie von Stalins Plänen
für die Errichtung eines neutralen, demokratisch-pluralistisch
verfassten Gesamtdeutschlands zu überzeugen. Vielleicht
träumte er davon, in diesem Deutschland von Russlands Gnaden
Außenminister zu werden.
Der tiefe Fall Dertingers kam nicht unerwartet. Auf sowjetischem
Befehl verhaftete ihn die Stasi am 15. Januar 1953 wegen
angeblicher Spionage im Auftrage westlicher Geheimdienste in seiner
Pankower Dienstvilla. Seine sowjetischen Auftraggeber, die
inzwischen von Stalins deutschlandpolitischen Offerten des
Vorjahres abgerückt waren, hatten Dertinger fallen gelassen,
obwohl er ihnen über seine Westkontakte stets berichtet hatte.
Er wurde im Juni 1954 in einem Geheimprozess zu "nur" 15 Jahren
Zuchthaus verurteilt, denn er musste in der damaligen Zeit mit der
Todesstrafe rechnen. Zehn Jahre später wurde er als schwer
kranker Mann von Ulbricht begnadigt. Seine Frau und seine drei
minderjährigen Kinder waren zwischenzeitlich in Sippenhaft
genommen worden.
Peter Joachim Lapp hat für seine faktenreiche Biografie
nicht nur aussagekräftige Unterlagen in einschlägigen
Archiven ausgewertet, sondern auch das Privatarchiv der Familie
nutzen können. Seine ausführlichen Recherchen über
den Leidensweg der Dertingers ergeben ein vernichtendes Urteil
über den Unrechtsstaat DDR. Sie zeigen aber auch die
erheblichen Charakterschwächen Dertingers, eines
Konservativen, der Hitler und Ulbricht verachtete, sich ihnen aber
aus Karrieregründen andiente. Um seine Gewissensbisse zu
kaschieren, ließ er sich im persönlichen Umfeld
vorzugsweise mit Zynismus und schwarzem Humor über seine
Erfahrungen mit den jeweiligen Machthabern aus.
Peter Joachim Lapp
Georg Dertinger: Journalist - Außenminister -
Staatsfeind.
Herder Verlag, Freiburg 2005; 331 S.,15,- Euro
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