Detlef Hamer
Gängelungen und große Leistungen
Das Zentralinstitut für
Literaturwissenschaft in der DDR
Die Haltung der Künstler, gerade der
Pro-Biermann-Unterschreiber wird nicht unter dem Aspekt der
Klassenproblematik gesehen, es wird lediglich beklagt, dass wir mit
ihnen einen großen, nicht zu ersetzenden Verlust erlitten
haben, und undifferenziert wird die Kunst von Volker Braun, Sarah
Kirsch, Christa Wolf usw. als die repräsentative und wirklich
gesellschaftlich und ästhetisch wichtige Kunst unserer Zeit
angesehen und auch so benannt."
"Kunst wird als Aufgreifer, Kritiker und Regulator
gesellschaftlicher Prozesse genommen. Als höchstes Kunstwerk
wird heute die Kritik, der Protest gegen Machtmissstände;
Gesellschaftswidersprüche genommen und als schlimmstes Zeichen
eines den Namen Kunst nicht vertragenden Schreibens die offene
Parteinahme, die Orientierung auf Lösbarkeit der
Widersprüche, auf Ideale und Perspektiven."
Das sind zwei von neun Punkten, die unter der
Teilüberschrift "Kultur- und Kunstkonzeptionen" von einer der
SED besonders ergebenen Berichterstatterin, Anneliese Löffler,
1977 an die Staatssicherheitsbehörde formuliert worden sind,
nachzulesen im Dokumententeil der vorliegenden Publikation. Sie
werfen ein Schlaglicht auf tief greifende Auseinandersetzungen, die
sich unter ostdeutschen Protagonisten der Literaturwissenschaft
vollzogen haben.
Zeitgleich mit der dritten Hochschulreform in der DDR im Jahre
1967, die bewährte Strukturen, etwa die der traditionsreichen
Institute, zerstörte und sie in Sektionen umwandelte, vollzog
sich auch die Bildung des Zentralinstituts für
Literaturgeschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR.
Diese Veränderungen haben sich, wie sich rückblickend
noch deutlicher als zu DDR-Zeiten erkennen lässt, in toto als
Experiment sowohl mit positiven als auch negativen Auswirkungen
erwiesen.
Das Institut, das der außeruniversitären Forschung
verpflichtet war und in mancher Hinsicht auch dem
interdisziplinären Austausch diente, hatte
erklärtermaßen die Aufgabe, "Gesetzmäßigkeiten
und Grundprobleme zwischen Gesellschaft und Literatur zu erforschen
und sich dabei auf die literaturgeschichtliche Forschung und die
Integration des humanistischen Literaturerbes in die sozialistische
Kultur zu konzentrieren".
Bemerkenswert bleibt, dass unter solchen Vorgaben dennoch teils
achtbare, teils hervorragende Studien und Veröffentlichungen
zustande kamen. Die zügig vollzogene "Abwicklung" nach der
Wende hat keine alternative Perspektive eröffnet.
Die beiden Herausgeberinnen, Petra Boden (Jahrgang 1954) und
Dorothea Böck (Jahrgang 1950), die selbst als
wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am genannten Institut tätig
waren, begnügen sich nicht nur mit einer Analyse vorgefundener
Quellen und Materialien. In den Mittelpunkt stellen sie vielmehr
ausführliche Interviews mit prominenten Gelehrten, die
über lange Zeiträume das inhaltliche Profil
literaturgeschichtlicher Forschung in der DDR prägten und in
der Akademie-Einrichtung - darin ähnlich anderen
Wissenschaftlern an Zentralinstituten - zumindest partiell ihre
Möglichkeiten ausschöpften, eigenen Intentionen zu
folgen:
Gesprächspartner sind die Germanisten Hans Kaufmann (1926 -
2000), Werner Mittenzwei (Jahrgang 1927), Dieter Schlenstedt
(Jahrgang 1932), Silvia Schlenstedt (Jahrgang 1931), die
Literaturwissenschaftler Klaus Städtke (Jahrgang 1934), Robert
Weimann (Jahrgang 1928) und der Romanist Manfred Naumann (Jahrgang
1925), die durch zahlreiche Veröffentlichungen bekannt
geworden sind. Die sehr lebendigen Gespräche, die aus
zeitlicher Distanz Chancen und Grenzen geisteswissenschaftlichen
Wirkens unter den skizzierten Rahmenbedingungen erhellen, sorgen
trotz gelegentlich recht subjektiver Betrachtungsweise in ihrer
Summe für höchste Authentizität.
Hinzu kommt der Beitrag des Übersetzers und Essayisten
Fritz Mierau (Jahrgang 1934), der von 1969 bis 1980 dem
Zentralinstitut für Literaturgeschichte angehörte und der
darüber unter dem bezeichnenden Titel "Institutsmärchen"
außerordentlich plastisch, geradezu launig berichtet.
Das Buch, ausgestattet mit einem ausführlichen
Dokumententeil, der allein 50 Druckseiten umfasst, ist als Beiheft
47 zum "Euphorion", Zeitschrift für Literaturgeschichte,
herausgekommen.
Petra Boden, Dorothea Böck (Hrsg.)
Modernisierung ohne Moderne.
Das Zentralinstitut für Literaturgeschichte an der
Akademie der Wissenschaften der DDR (1969-1991).
Literaturforschung im Experiment.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2004; 390 S., 68,-
Euro
Zurück zur
Übersicht
|