Mathias Albert
Den Bürger fordern und fördern
Das Konzept vom aktivierenden Staat
Auch alle gegenwärtigen Reformdiskussionen
drehen sich letztlich immer um die Rolle des Staates. Die
Vorstellung des für die Belange der Gesellschaft umfassend
zuständigen, fürsorgenden und hierarchisch lenkenden
Staates markiert dabei das eine Extrem. Das andere Extrem stellt
die (neo-)liberale Vorstellung des "Nachtwächterstaates" dar,
der sich auf wenige Kernaufgaben beschränkt und auf die
Selbstregulierung von Gesellschaft und Wirtschaft setzt.
Seit ungefähr zehn Jahren schon findet
eine intensive Diskussion um den so genannten aktivierenden Staat
statt, der zwischen diesen beiden Extremen einen Mittelweg
beschreitet. Das Konzept des aktivierenden Staates setzt auf
individuelle Verantwortung und gesellschaftliche Selbstregelung,
betont aber auch, dass diese einer aktivierenden Unterstützung
von staatlicher Seite bedürfen. Nicht "Deregulierung" oder
"Fürsorge" stellen das Leitbild des aktivierenden Staates dar,
sondern "Fordern und Fördern".
Das Buch "Ausblicke auf den aktivierenden
Staat" zieht eine umfassende Bilanz des Konzeptes. Der Band
zeichnet sich dabei vor allem dadurch aus, dass er sich nicht auf
die rein wissenschaftliche Diskussion beschränkt. Vielmehr
ergänzt er die konzeptionell orientierten Beiträge durch
eine Reihe von Kapiteln, welche sich mit der Anwendung des Konzepts
auf verschiedenen Politikebenen und in unterschiedlichen
Politikfeldern auseinandersetzen.
Dabei wird - auch nach der offenen Ansprache
mehrerer das Konzept begleitende Missverständnisse - rasch
deutlich, dass es sich beim aktivierenden Staat um mehr als ein
Staats-Konzept im engeren Sinne handelt. Es geht um eine umfassende
Steuerungsidee, welche gleichermaßen von der lokalen bis hin
zur internationalen Politikebene ihre Wirkung entfaltet.
Verschiedene Beispiele aus unterschiedlichen Politikfeldern - von
der Kulturpolitik über die Gesundheitspolitik bis hin zur
Arbeitsmarktpolitik - führen die mit der Umsetzung des
Konzeptes verbundenen Chancen vor Augen, benennen aber auch
eindeutig Fälle, in welchen die Praxis des "Forderns und
Förderns" scheiterte.
Der Mix aus konzeptionellen und
anwendungsbezogenen Beiträgen einerseits sowie die aus
Wissenschaft und Praxis stammende Autorenschaft -
einschließlich bekannter Politiker wie Sigmar Gabriel und Peer
Steinbrück - ergibt einen ungewöhnlich
abwechslungsreichen, aber dennoch kohärenten Band. Vor allem
aber stellt er für alle am aktivierenden Staat Interessierten
ein wohl einmalig umfassendes Kompendium dar, an welchem in der
Diskussion um dieses Konzept kein Weg vorbeiführt und dem
gerade auch aufgrund der offenen Reflexion der Grenzen des Konzepts
Beachtung auch in der breiteren Reformdiskussion zu wünschen
ist.
Die einzelnen Kapitel des Bandes sind trotz
der heterogenen Autorenschaft durchweg von guter oder sehr guter
Qualität. Allein: Ein einzelnes Kapitel zum Verhältnis
von aktivierendem Staat und EU kann nicht darüber
hinwegtäuschen, dass an dieser Stelle noch ein erheblicher
Nachholbedarf besteht.
So reflektiert kaum ein Autor, dass es sich
auch beim aktivierenden Staat längst nicht mehr um ein
einheitliches, der Gesellschaft monolithisch entgegenstehendes
Gebilde handelt, sondern um einen Staat, dessen
Aktivierungsfähigkeit stark davon abhängt, wie stark ihm
europäische und internationale Verflechtungen überhaupt
noch eigene Gestaltungsspielräume ermöglichen. Hier
scheint hinter einigen Beiträgen doch noch ein klassischer
Steuerungsoptimismus durch, welcher einer europäisierten und
globalisierten Welt kaum mehr angemessen erscheint.
Doch soll diese Kritik nicht zu schwer
wiegen: Sie erscheint eher als Forderung nach einem zweiten Band
denn als Kritik an einem insgesamt sehr gut gelungenen, umfassenden
Überblick über den aktuellen Forschungsstand zum
aktivierenden Staat und seiner Anwendung in der Praxis.Es kann
dabei nicht genug betont werden, dass sich der Band in
hervorragender Weise in die gegenwärtige Diskussion um Art und
Umfang der Staatstätigkeit unter den Bedingungen knapper
Finanzmittel und wachsender globaler Verflechtungen einfügt.
Das Konzept und die Praxis des aktivierenden Staates machen
deutlich, dass sich die Reaktion des Staates auf diese Bedingungen
nicht, wie es in ersten Reaktionen sehr häufig geschieht, auf
Maßnahmen der Haushaltskonsolidierung beschränken darf,
sondern parallel von aktivierenden Maßnahmen und Strategien
begleitet werden muss.
In diesem Sinne bezeichnet "Fordern und
Fördern ein Leitbild, welches sich nicht nur vom Staat an die
Gesellschaft, sondern ebenso von der Gesellschaft an den Staat
richtet.
Fritz Behrens, Rolf G. Heinze, Josef Hilbert und Sybille
Stübe-Blossey (Hrsg.)
Ausblicke auf den aktivierenden
Staat.
Von der Idee zur Strategie.
Reihe "Modernisierung des
öffentlichen Sektors", Sonderband 23.
edition sigma, Berlin 2005; 488 S., 24,90
Euro
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