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Peter Pragal
Das Doppelleben der "IM Angelika"
Stasi-Spione im Auswärtigen Amt
Seit ihr klar war, dass es mit der DDR zu Ende ging, saß
Lilli Pöttrich die Angst vor Enttarnung im Nacken. Zu einem
Treffen, das in Innsbruck stattfinden sollte, war ihr
Stasi-Führungsoffizier nicht mehr erschienen. Zwar hatten ihr
die Kontaktleute von der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des
MfS versichert, nachrichtendienstliche Unterlagen über sie
seien vernichtet oder in Privatwohnungen versteckt worden. Aber als
im Frühjahr 1990 ein Kollege aus dem Auswärtigen Amt
wegen Verdachts auf Landesverrat verhaftet wurde, musste auch sie
ständig damit rechnen, dass ihr Doppelleben als bundesdeutsche
Diplomatin und Stasi-Agentin auffliegen würde.
Am 1. Dezember 1993 wurde die Vortragende Legationsrätin
Lilli Pöttrich in Bonn festgenommen. 14 Jahre lang hatte die
Juristin als "IM Angelika" für das Ministerium für
Staatssicherheit spioniert. Aus politischer Überzeugung. Der
Fernseh-Journalist Heribert Schwan und die Diplom-Psychologin
Helgard Heindrichs haben ihren Fall und die Agententätigkeit
von drei weiteren Kollegen aus dem Auswärtigen Amt (AA) zum
Anlass genommen, um die raffinierten und wirksamen Methoden zu
beschreiben, mit denen der DDR-Geheimdienst Bundesbürger zur
Mitarbeit gewonnen und zum Verrat von Dienstgeheimnissen
verführt hat.
Sensationelle Enthüllungen sind im "Spinnennetz" nicht zu
finden. Die meisten Personen, die als IM genannt werden, sind durch
die Berichterstattung über die Strafprozesse bekannt. Das
nimmt dem Buch aber nichts von seinem Informationswert und seiner
Spannung. Die Autoren schildern höchst anschaulich die
Umstände und die Beweggründe, die bundesdeutsche
Staatsdiener zum Bruch ihres Diensteides veranlasst haben. Und sie
zeigen, gestützt auf mehrjährige Recherchen, die
Systematik und den immensen Aufwand, den die HVA bei der Anwerbung,
Führung und Betreuung ihrer Agenten im Westen betrieben
hat.
Wie geschickt sie bei ihrem beruflichen Werdegang gesteuert
wurden, war den meisten "Kundschaftern des Friedens", wie sie
propagandistisch tituliert wurden, nicht bewusst. Lilli
Pöttrich gibt offen zu, dass sie von allein nie auf die Idee
gekommen wäre, sich um eine Stelle im Auswärtigen Dienst
zu bewerben. Die speziell geschulten Führungsoffiziere haben
es in den geschilderten Fällen verstanden, ein enges, auf
Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen gegründetes
Vertrauensverhältnis zu ihren westdeutschen
"Schützlingen" aufzubauen, das bis zum Schluss intakt blieb.
Nur so ist zu erklären, warum "IM Angelika" sich trotz
aufkommender Zweifel nie selbst aus ihren Verstrickungen befreien
konnte. Und warum ihr, der illoyalen AA-Bediensteten, ein Ausstieg
aus der Agententätigkeit wie ein Verrat an ihren
MfS-Kontaktleuten vorgekommen wäre.
Sachkundig erläutern die Autoren Funktion und Bedeutung des
"Systems zur Informationsrecherche der HVA" (SIRA), in dem die von
Agenten gelieferten Informationen in der MfS-Zentrale gesammelt und
bewertet wurden. Zwar sind die elektronisch gespeicherten Daten bei
der Auflösung der HVA 1990 vernichtet worden. Ein paar
Sicherungskopien hatte man aber offenbar vergessen. Einem
Spezialisten der Stasiunterlagen-Behörde gelang es, die
Magnetbänder zu decodieren. So konnten die Autoren nicht nur
auflisten, was die Agenten im Auswärtigen Amt an internen
Informationen nach Ostberlin übermittelt hatten. Sie erfuhren
auch, wie das Spionagematerial von der HVA qualitativ eingestuft
wurde.
Auf die Spur von Lilli Pöttrich waren die Ermittler vom
Bundeskriminalamt durch Angaben aus der so genannten
Rosenholz-Datei gestoßen, eine Sammlung von Namen und
Registrierunterlagen der HVA-Agenten. Um das hoch brisante Material
vor dem "feindlichen" Zugriff zu retten, hatte die HVA die
kompletten Datenträger dem sowjetischen Geheimdienst in
Berlin-Karlshorst übergeben. Auf geheimnisvollem Weg gelangten
die verfilmten Karteikarten zum US-amerikanischen Geheimdienst, der
sie später an deutsche Behörden übergab.
Lilli Pöttrich wurde im April 1995 zu zwei Jahren
Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen geheimdienstlicher
Agententätigkeit in einem besonders schweren Fall verurteilt.
Sie verlor ihren Arbeitsplatz im Staatsdienst und zahlte, wie die
Autoren schreiben, auch im Privatleben einen hohen Preis. Nach
ihrem Agentenleben war es ihr nicht mehr möglich, eine offene
und ehrliche Partnerschaft zu führen. "Sie blieb allein und
ihren Freunden aus der Ostberliner MfS-Zentrale treu."
Heribert Schwan, Helgard Heindrichs
Das Spinnennetz.
Stasi-Agenten im Westen: Die geheimen Akten der
Rosenholz-Dateien.
Knaur Taschenbuch Verlag, München 2005; 320 S., 12,95
Euro
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