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Karl-Otto Sattler
Polit-Thriller im europäischen Luftraum
Europäische Institutionen fordern
Aufklärung über mögliche Gefangenenflüge des
amerikanischen Geheimdienstes CIA
In dieser Woche muss sich
US-Außenministerin Condolezza Rice bei ihrer Europareise auf
unangenehme Fragen gefasst machen: Nicht nur die europäischen
Regierungen, sondern auch die europäischen Institutionen
erwarten Aufklärung über mutmaßliche
Geheimtransporte des US-Geheimdienstes CIA. Denn was als
Zeitungsnotiz und Indizien-Puzzle begann, erschüttert
inzwischen die internationale Politik und wirft
völkerrechtliche Fragen auf.
Wenn aus diesem Stoff kein Kinothriller wird:
Getarnte Flugzeuge des Geheimdienstes einer Supermacht kreuzen im
Luftraum und transportieren mysteriöse Gefangene zu dubiosen
Verliesen, in denen gefoltert werden soll. Junge Flugzeugnarren,
die in ihrer Freizeit auf Airports startende und landende Maschinen
aus Spaß penibel registrieren, decken seltsame Routen auf.
Agenten entführen in fremden Ländern Gegner auf offener
Straße. Davids treten gegen einen Goliath an: Ein Staatsanwalt
in einem deutschen Provinznest nimmt den mächtigsten Secret
Service der Welt ins Visier, überdies fordert ein ehemaliger
Schweizer Kollege und Mafiajäger mit Untersuchungen im Auftrag
einer ansonsten eher machtlosen europäischen Organisation die
Supermacht und zudem einige nationale Regierungen
heraus.
Was eines Tages für Kinobesucher ein
Nervenkitzel werden könnte, dient momentan als Sprengsatz
für das transatlantische Bündnis und die
innereuropäische Politik. Wenn nicht alle Indizien
trügen, nutzten über Jahre hinweg und bis in die
jüngere Zeit mehr oder weniger gut getarnte CIA-Maschinen
zahlreiche Flughäfen in Europa - auch die
US-Militärairports Frankfurt am Main und Ramstein in der Pfalz
wurden danach angeflogen, an die 100 Zwischenstopps sollen es
allein in der Bundesrepublik gewesen sein. Was genau in den
Maschinen geschah und welchen Zweck die Flüge hatten, ist
bislang unklar. Die CIA soll auf diese Weise, jedenfalls verdichten
sich die entsprechenden Anzeichen, Al-Quaida-Leute und andere
Terrorverdächtige in geheime Folterkerker ("Black Sites") etwa
in Afghanistan, Ägypten, Jordanien, Marokko oder Zentralasien
geschafft haben - und eventuell auch nach Osteuropa, beispielsweise
nach Rumänien und Polen. Wurden CIA-Gefangene sogar
während der Reise im europäischen Luftraum verhört
und misshandelt? Es geht um nicht weniger als um die Verletzung der
Menschenrechtskonvention des Europarats mit ihrem Folterverbot - an
die sich auf dem Kontinent jeder Staat zu halten hat, auch eine
Supermacht.
Die USA bestätigen die ungeheuerlich
klingenden Vorwürfe nicht, aus Washington ist aber auch kein
Dementi zu vernehmen.
Die Recherchen des Europarats, die
Intervention des britischen Außenministers Jack Straw im
EU-Auftrag in Washington, ein von der sozialistischen Fraktion
erwogener Untersuchungsausschuss im EU-Parlament, Haftbefehle in
Mailand gegen CIA-Agenten, Ermittlungen im pfälzischen
Zweibrücken: All das sieht nach einem Aufbegehren
gegenüber den USA aus, von denen die Europäer die
Einhaltung rechtsstaatlicher Standards auch beim Kampf gegen den
Terrorismus verlangen. Aber das ist nur die eine Seite der
Medaille. Regierungen auf dem Kontinent könnten ebenfalls in
die Bredouille geraten: Was wusste man in Berlin, London oder
Bukarest von den CIA-Aktivitäten? Wurden die
Gefangenentransporte möglicherweise geduldet oder gar
unterstützt? Wirklich Präzises ist bislang nicht zu
hören. Es wäre "ein Skandal", meint die FDP-Politikerin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, sollte die Bundesregierung
nicht über die ominösen Flugbewegungen in Deutschland
unterrichtet gewesen sein. "Noch viel schlimmer" wäre es
jedoch, wenn Berlin informiert gewesen sein sollte. Anfragen der
Liberalen und der Linkspartei bringen das Thema im Bundestag nun
auch formell zu Sprache.
Ins Rollen gebracht hat die Lawine Anfang
November die "Washington Post". Sie berichtete, dass die CIA
angeblich auch in Polen und Rumänien "Black Sites" betreibe,
die von Maschinen mit gefangenen Terrorverdächtigen angeflogen
würden. Warschau und Bukarest dementierten. Doch die
Recherchejagd war eröffnet. Bürgerrechtsgruppen wie Human
Rights Watch oder Amnesty International steuerten Indizien
über Geheimtransporte bei. Immer mehr Zwischenstopps kamen
über Medienberichte ans Tageslicht, aus Geheimdienstkreisen
wurden Infos lanciert. Ins Bild fügten sich die Listen der so
genannten "Plane-Spotter", die mit großem Eifer auf vielen
Airports Maschinen bei Starts und Landungen registrieren, notieren
und fotografieren. Kaum ein Tag verging, ohne neue
Enthüllungen.
Das Puzzle gewann Kontur. In dieser Situation
ergriff der Europarat die Initiative. Generalsekretär Terry
Davis leitete gegen die 46 Mitgliedsstaaten eine förmliche
Untersuchung ein, was im Palais de l'Europe nur sehr selten
geschieht. Bis Februar haben die Regierungen Zeit, die heiklen
Fragen des Briten zu beantworten. So will Davis wissen, wie Europas
Nationen die Kontrolle "ausländischer Dienste" sicherzustellen
gedenken. Die Länder müssen mitteilen, ob sie Agenten
eines anderen Staats dabei unterstützt haben,
Terrorverdächtige in Flugzeugen zu verschleppen und so
entgegen der Menschenrechtscharta ihrer Freiheit zu berauben. Davis
weist darauf hin, dass auch "Unterlassung" eine Hilfestellung in
diesem Sinne sein könne - dass also die betreffenden Nationen
eigentlich gegen mysteriöse CIA-Aktivitäten hätten
vorgehen müssen. In solchen Fragen steckt Brisanz.
Eine Schlüsselrolle beim Vorpreschen des
Europarats spielt Dick Marty. Der frühere Staatsanwalt, der
sich in der Schweiz mit der Mafia angelegt hat, sitzt als Vertreter
der helvetischen Volksvertretung in der Parlamentarischen
Versammlung des Straßburger Staatenbunds. In deren Auftrag hat
der Liberale eine eigenständige Untersuchung eingeleitet.
"Illegale und inhumane Maßnahmen bei der Terrorbekämpfung
dürfen nicht toleriert werden", so Marty. Er betont, er wolle
nicht "anklagen", sondern die "Wahrheit" herausfinden. Mit Hilfe
der Daten von Eurocontrol prüft der Europarats-Politiker, ob
verdächtige Flüge von der CIA für den Transport von
entführten und gefangenen Terrorverdächtigten genutzt
wurden. Aufnahmen des EU-Satellitenzentrums im spanischen
Torrejón sollen klären helfen, ob es in Rumänien und
Polen CIA-Geheimgefängnissen gibt oder nicht.
Der Brüsseler Kommissar Franco Frattini
droht EU-Staaten, die solche Kerker dulden, mit harten Sanktionen
bis hin zum Entzug des Stimmrechts im EU-Ministerrat. Für
Bukarest ist die Lage besonders delikat, weil der Beitritt
Rumäniens zur EU gefährdet werden könnte. Die
Aufregung um die CIA-Flüge rückt auch
staatsanwaltschaftliche Aktivitäten in den Mittelpunkt des
Interesses, die bislang kaum wahrgenommen wurden. So ermitteln die
Münchner und die spanische Justiz wegen der Entführung
eines Deutsch-Libanesen, der Ende 2003 während seines
Mazedonien-Urlaubs verschleppt, im Flugzeug auf dem Umweg über
Spanien nach Afghanistan gebracht und nach mehrmonatigem
Gefängnisaufenthalt wieder freigelassen wurde. In Mailand hat
eine Untersuchungsrichterin Haftbefehl gegen mehrere CIA-Agenten
erlassen, die 2003 in der Stadt auf offener Straße den Imam
Abu Omar gekidnappt haben sollen. Die Zweibrücker
Staatsanwaltschaft hegt nun den Verdacht, dass Abu Omar
während eines getarnten CIA-Transports von Italien nach
Ägypten bei einem Zwischenstopp in Ramstein in ein anderes
Flugzeug umgeladen wurde. In diesem Fall hätten der
Entführte und die Agenten vorübergehend deutschen Boden
betreten, weswegen die Staatsanwaltschaft jüngst im September
Ermittlungen "gegen Unbekannt" unter dem Vorwurf der
Freiheitsberaubung und Nötigung eingeleitet hat.
Staatsanwälte, die einfach ihre Pflicht
tun und deswegen ins politische Wespennest stechen: Das kam schon
öfters vor. Thriller greifen dieses Motiv jedenfalls gerne
auf.
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