|
|
Daniela Weingärtner
Fortschritte in Trippelschritten
Innenminister beraten über
Flüchtlingsprobleme, Terrorismus und Datenschutz
Als der neue Innenminister Wolfgang Schäuble vergangene
Woche in Brüssel zum ersten Mal seine Kollegen traf, erwartete
ihn ein gewaltiges Arbeitspensum. Seit er vor 14 Jahren zuletzt in
dieser Runde saß, hat sich die europäische Tagesordnung
der Innenminister stark ausgeweitet. Die beiden großen
Herausforderungen Terrorismus und illegale Einwanderung kann kein
Land allein bewältigen. Deshalb spielen zunehmend mehr Themen
aus dem Bereich Innen- und Justizpolitik auf europäischer
Ebene eine Rolle.
Auch wenn der EU-Ministerrat vergangenen Freitag einen
Minimalkompromiss zur Datenspeicherung erzielte, kommen die
EU-Länder insgesamt bei ihrem Bemühungen, sich zu
vernetzen, nur in winzigen Schritten voran. Die britische
Ratspräsidentschaft fasste jüngst zusammen, welche
Fortschritte bei der gemeinsamen Terrorismusbekämpfung seit
dem Juli-Gipfel gemacht worden sind. Dabei zeigte sich, dass die
meisten Gesetzesprojekte, die London gerne während der
britischen Ratspräsidentschaft beschlossen hätte, noch
immer umstritten sind. Zu unterschiedlich sind die
Rechtstraditionen und Anforderungen beim Daten-schutz und bei der
Frage bürgerlicher Rechte in den einzelnen
Mitgliedstaaten.
Bei Innenminister Charles Clarkes Lieblingsprojekt, der
Speicherung von Telefon- und E-Mail-Daten zu Ermittlungszwecken in
der Terrorbekämpfung, ist ein Kompromiss zwischen Rat und
Parlament näher gerückt. Auch gegen einen Vorschlag der
EU-Kommission, Visadaten und die Fingerabdruck-Kartei Eurodac zu
vernetzen und elektronisch gespeicherte Visadaten für
Strafverfolgungsbehörden zugänglich zu machen, wehren
sich vor allem die nordischen Länder.
Die Innenminister diskutierten außerdem ein Papier der
Kommission, das neue Akzente in der Migrationsdebatte setzen will.
Auch in diesem Bereich sind die Probleme drückend geworden,
die Bereitschaft zu ge-meinschaftlichem Handeln aber wächst
nur langsam. Die Kommission will ein Gleichgewicht herstellen
zwischen Hilfen für die Herkunftsländer und Abwehr der
illegalen Flüchtlinge. In den Mitgliedsländern müsse
das Bewusstsein dafür geweckt werden, dass legale Einwanderung
für Europa eine Wachstumschance bietet - all das hat man
bereits von Antonio Vitorino, dem Vorgänger des jetzt
amtierenden italienischen Innenkommissars Franco Frattini,
jahrelang in ähnlichen Formulierungen hören können.
Bundesinnenminister Schäuble machte in Brüssel klar, dass
aus Sicht der Bundesregierung legale Zuwanderung nicht in den
europäischen Zuständigkeitsbereich gehört. "Der
Arbeitsmarkt ist eine nationale Verantwortung."
Neu ist der Ansatz der Kommission, die politischen
Handlungsfelder miteinander zu verzahnen. Für den vergangene
Woche vorgelegten Text zeichnen neben Frattini auch
Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner und
Entwicklungskommissar Louis Michel verantwortlich. Denn nach
Überzeugung der Kommission muss alles ineinander greifen:
Entwicklungshilfe, Außenpolitik, Integration und Kampf gegen
illegale Einwanderung. Die Nachbarschaftspolitik soll dafür
genutzt werden, Rücknahmeabkommen zu schließen und mit
EU-Hilfe die Grenzkontrollen zu verbessern. Sie soll aber auch
dafür sorgen, dass die Anforderungen der Genfer
Flüchtlingskonvention in den Ländern umgesetzt werden,
die Flüchtlinge zurücknehmen. Wenn, wie jüngst
geschehen, Flüchtlinge von marokkanischen Soldaten hilflos in
der Wüste ausgesetzt werden, schadet das dem europäischen
Image ebenso wie dem marokkanischen. Deshalb setzt die
EU-Kommission auf Ausbildungsprogramme und Grenzkontrollen in
gemeinsamer Regie. Mittelfristig sollen gemeinsame Patrouillen auf
dem Mittelmeer und eine Vernetzung von Einwanderungsoffizieren und
EU-Delegierten vor Ort menschliche Dramen wie unlängst in
Melilla verhindern helfen.
Mit elf Ländern, darunter Marokko und der Ukraine hat die
EU bereits über Partnerschaftsabkommen verhandelt.
Mittlerweile sind daraus fünf Abkommen mit
Rücknahmegarantien entstanden, unter anderem mit Albanien und
in eingeschränkter Form mit Russland. Die Verhandlungen mit
Algerien, das die längste Mittelmeerküste hat, sollen
noch in diesem Jahr beginnen.
In der Entwicklungspolitik sollen Geldtransfers von Verwandten
aus Europa in die armen Herkunftsländer künftig
stärker als Entwicklungsimpulse genutzt werden. Die EU will
die Überweisungsmöglichkeiten verbessern und durch mehr
Konkurrenz bei europäischen Finanzdienstleistungen auch die
Transfers nach Übersee billiger machen. Auswanderer sollen
ermutigt werden, die in Europa erzielten Ersparnisse in ihrer
Heimat anzulegen, zum Beispiel in Bankhäusern, die
Mikrokredite gewähren.
Damit mehr Menschen aus armen Ländern in Europa Geld
verdienen können, soll in den Mitgliedsländern
verstärkt für legale Einwanderung geworben werden.
Für legale Einwanderer und Asylbewerber sollen die
Integrationsmöglichkeiten verbessert werden - möglichst
schon mit Eingliederungskursen vor der Einreise. Für
Studenten, Forscher und Arbeiter mit befristeten Verträgen
wird erwogen, die Einreisemöglichkeiten zu erleichtern.
Für Länder, die sich bei der Rücknahme illegaler
Flüchtlinge entgegenkommend zeigen, könnten die
Visaprozeduren vereinfacht werden. Die neue Politik will damit bei
den Ursachen der Flüchtlingsströme ansetzen. Das
allerdings kostet Geld. 400 Millionen Euro sollen in den beim
Europäischen Gipfel von Hampton Court im Juni beschlossenen
Migrationsfond fließen - wer ihn füllt, ist aber noch
völlig unklar.
Die neuen partnerschaftlichen Modelle setzen voraus, dass die
Nachbarländer der EU diese Form der Zusammenarbeit
tatsächlich wollen. Der Gipfel in Barcelona vorletztes
Wochenende anlässlich des zehnjährigen Bestehens der
europäischen Partnerschaft mit den Mittelmeerländern war
diesbezüglich eine ernüchternde Erfahrung. Während
fast alle europäischen Regierungschefs anreisten, schickten
die meisten arabischen Länder Minister aus der zweiten Reihe
nach Barcelona. Und auch die Abschlusserklärung, fiel deutlich
schwächer aus, als die Europäer gehofft hatten.
Zurück zur
Übersicht
|