Neuer Politikstil ist handfester und weniger
glamourös
Interview mit Christoph Schwennicke, Leiter des
Parlamentsbüros der "Süddeutschen Zeitung"
Der Blick auf deutsche Befindlichkeiten
verändert sich, wenn man im Ausland lebt. Christoph
Schwennicke, der Korrespondent in London war, sagt über den
britischen Journalismus: "Da geht's ganz klar ruppiger zu." Im
deutschen Parlamentsjournalismus gebe es eine Selbstreinigung des
Systems: "Es kann sich keiner leisten, unseriös zu arbeiten
und eine Räuberpistole zu erfinden."
Das Parlament: Herr Schwennicke, Sie
waren bis März ein Jahr lang Korrespondent in London. Wie
unterscheidet sich das britische Verhältnis zwischen Medien
und Demokratie vom deutschen?
Christoph Schwennicke: Im Vergleich
wirkt vor allem die deutsche Diskussion, dass die politische
Bericht-erstattung zu überhitzt sei, erstaunlich. Ich war
beruhigt, als ich den angelsächsischen Journalismus erlebt
habe. Da geht's ganz klar ruppiger zu. Hier ist die Arbeit der
politischen Journalisten sehr viel seriöser. Wenn Herr
Schröder sich angegriffen gefühlt hat, hätte er
einfach mal Tony Blair anrufen müssen - der hätte ihm
einiges erzählt. In britischen Boulevardblättern wie
"Daily Mail" oder "Sun" gibt es jeden Tag eine ganze Kommentarseite
- das ist journalistischer Trash, übelste Verleumdung, die
reins-te Demagogie. Der einzige in Deutschland, der diese Grenze
manchmal überschreitet, ist Franz-Josef Wagner, der Kolumnist
der Bild-Zeitung. Ansonsten funktioniert der journalistische Kodex
meiner Meinung nach.
Das Parlament: Inwiefern?
Christoph Schwennicke: Gerade, was den
Parlamentsjournalismus anbelangt, gibt es eine gewisse
Selbstreinigung des Systems. Es kann sich keiner leis-ten,
unseriös zu arbeiten und eine Räuberpistole zu erfinden.
Journalisten wie Politiker haben ein sehr feines Sensorium für
das, was geht und was nicht geht. Und Politiker zollen uns durchaus
sportive Anerkennung für kritische
Berichterstattung.
Das Parlament: Ist die Gratwanderung
zwischen Beeinflussung und Unabhängigkeit, gerade bei so
genannten Hintergrundgesprächen nicht ungeheuer
schwierig?
Christoph Schwennicke: Das finde ich
nicht. Ich halte mich diesen Gesprächen nicht fern, ich halte
mich an die Spielregeln. Besser ich erfahre etwas und kann nicht
darüber berichten, als gar nichts zu erfahren. Dann kann ich
die Informationen wenigstens als Ausgangspunkt für meine
Recherchen nehmen.
Das Parlament: Hatten Sie das
Gefühl, dass sich das Verhältnis zwischen Medien und
Demokratie in Ihrer Abwesenheit verändert hat?
Christoph Schwennicke: Nein, aber
meine Sichtweise hat sich verändert. Besonders der geistige
Zustand des Landes ist mir sehr stark aufgefallen. Wir hatten in
London kein deutsches Fernsehen, bewusst nicht. Alles, was wir
hatten, waren Videoaufzeichnungen der aktuellen Tatorte - und am
Ende der Aufnahme war immer noch ein Schnipsel "Sabine
Christiansen". Thema war stets: Deutschland ist kurz vor dem
Untergang. Die deutsche Befähigung, sich in eine
Düs-ternis zu reden, ist enorm. In Großbritannien ist die
soziale Situation nicht besser - aber die machen etwas draus, sehen
es als Chance, als Herausforderung.
Das Parlament: Aber seit der
Ankündigung von Neuwahlen am 22. Mai hat sich doch sehr viel
getan, oder?
Christoph Schwennicke: Eines ist
definitiv anders: Das Bedürfnis nach handfester politischer
Information ist sehr groß. Das haben auch Abgeordnete von CDU
und SPD bestätigt: Früher, haben sie mir erzählt,
wenn sie mit Brötchen und Flugblättern vor den Werkstoren
standen, hätten die Arbeiter die Brötchen genommen, in
diesem Wahlkampf nur die Flugblätter. Es gab eine regelrechte
Gier nach Informationen. Und ich glaube, dass das auch
anhält.
Das Parlament: Hängt das auch mit
einem veränderten Politikstil zusammen?
Christoph Schwennicke: Klar, die
Akteure, also die Kanzlerin und die Minister sind ganz andere
Cha-raktere als unter Rot-Grün. Der Trend zur
Selbstinszenierung und Dramatisierung wird abnehmen. Das
vordergründige Bedürfnis, in den Medien zu sein, wird
eine kleinere Rolle spielen, stattdessen wird es um andere Dinge
gehen, um Haushaltssicherung und die Vereinfachung unseres
föderalen Systems zum Beispiel. Der Politikstil wird
handfester, sachlicher und weniger glamourös: Es ist ein
Arbeitskabinett. Das könnte langweiliger, aber auch
effizienter sein - und wird unsere Arbeit als Journalisten
schwieriger machen. Aber mein Bedürfnis an Kurzweil ist
gedeckt.
Das Parlament: Zum ersten Mal seit den
60er-Jahren gibt es in Deutschland wieder eine Große
Koalition, die medienwirksamen Lagerkämpfe der vergangenen
Jahre sind vorbei. Ist Politik auch ohne spektakuläre
Auseinandersetzungen attraktiv, gerade für
Jugendliche?
Christoph Schwennicke: Klar, es
herrscht ein vollkommen anderer Ton, die Schreihälse werden
weniger. Aber ich weiß nicht, ob Getöse Jugendliche
hinter dem Ofen vorgeholt hätte. Nichts ist schlimmer als
Anbiederung, etwa mit einem jugendlichen Tonfall.
Das Parlament: Wie lässt sich
Jugendlichen überhaupt vermitteln, dass Politik ein spannendes
Thema ist?
Christoph Schwennicke: Wenn ich das
wüsste, würde ich es Ihnen nicht sagen, sondern Millionen
damit verdienen. Unsere Tochter ist sechs, fängt gerade an zu
lesen. Sie interessiert sich sehr für diese großen
Dinger, die ihre Eltern dauernd in der Hand haben - Zeitungen. Das
muss zu Hause erlebt werden, vorgelebt werden, dann kommt die
Neugier von selbst. Spätestens wenn die Jugendlichen in der
Oberstufe sind oder anfangen zu studieren, werden politische Themen
wie Bildung oder Studiengebühren interessant, Themen, die
unmittelbar mit ihrer Lebenswirklichkeit zu tun haben. Das kann
dann eine Art Erweckungsmoment sein.
Das Parlament: Ein großes Thema
während des Jugendmedien-Workshops war das
Machtverhältnis zwischen Medien und Politik. Haben
Journalisten Macht?
Christoph Schwennicke: Es widerstrebt
meinem beruflichen Selbstverständnis, Artikel mit der
Überschrift "Was Frau Merkel jetzt tun muss", zu schreiben,
Handlungsanleitungen zu geben. Ich will nicht beeinflussen - ich
will beschreiben.
Das Interview führte Anne Haeming
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