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Barbara Lich und Anne Haeming
Ein neuer Job in einer Parallelwelt
Der Stress der ersten Wochen - junge
Bundestagsabgeordnete im Parlamentsalltag
Die wenigen fest installierten Fernsehkameras sind der einzige
ruhende Pol im großen Durcheinander. Parlamentarier und
Presseleute tummeln sich um die Mikrofone. Ein Statement folgt dem
nächsten, Stifte und Blöcke werden gezückt,
Stichworte notiert, Journalisten schieben im Gedränge
gegeneinander, Fotografen versuchen einen guten Schuss zu bekommen.
Im Bundestag stehen die Wahlen auf Fraktionsebene an, die
Konstituierung der Ausschüsse und vor allem - es ist der Tag
der ersten Regierungserklärung der neuen Kanzlerin.
Auch wenn es hektisch zugeht: Jeder hat seine Aufgabe,
weiß, wann er wohin muss, weiß, wann er wie wo etwas
sagen soll. Auch Kunstpausen gehören dazu. Für die
Routiniers. Unter den Parlamentariern gibt es aber auch
Nachwuchspolitiker, die erst einmal die "Codes" lernen müssen
und auch mit unerwarteten Widrigkeiten konfrontiert sind. "Es war
ganz schön viel Stress in den letzten Wochen", erzählt
Michael Leutert am Rande des Jugend-Medienworkshops im Deutschen
Bundestag. Der Abgeordnete von der Linkspartei pendelte dauernd
zwischen seinem Dresdner Büro und Berlin. "Bis zum 21.
November, als ich endlich mein Abgeordnetenbüro bekommen habe,
bin ich morgens mit der Reisetasche auf die Toilette, um mich
umzuziehen." Dass es so lange dauern würde, bis er richtig
loslegen kann, hat er nicht erwartet. "Ich habe Vereine
gegründet und wieder aufgelöst, habe an der Uni
gearbeitet und war bei der Bundeswehr - ich dachte, ich weiß,
was Bürokratie ist."
Zu allem Überfluss stellte der 31-jährige
Bundestagsneuling die Verwaltungen vor eine weitere
Herausforderung: Er gründete kurzerhand eine
Bürogemeinschaft mit seiner Fraktionskollegin Katja Kipping
(27). "Wir hatten schon ein paar Schwierigkeiten, das
durchzusetzen, vor allem weil wir zu verschiedenen Arbeitskreisen
gehören, sie zum sozialpolitischen, ich bin im
Menschenrechtsausschuss."
Michael Leutert arbeitet seit 1998 für die Partei, die
Realität eines Berufspolitikers ist für ihn nichts Neues.
Angst, wegen seines neuen Jobs in eine Parallelwelt zu geraten, hat
er nicht. "Ich habe nach wie vor mein WG-Leben in Dresden. Da sind
genug Leute, die einem auch mal sagen: Du bist blöd."
Die regelmäßige Rückkehr in den Wahlkreis findet
auch Peter Friedrich, Jungabgeordneter der SPD aus Konstanz,
wichtig, um die Bodenhaftung nicht zu verlieren. "Ich bin für
fünf bis sechs Tage hier, dann fahre ich in meinen Wahlkreis,
meine Heimat - dort ist meine Realität. Dort gibt es keine
unterirdischen Gänge, keine Fahrbereitschaft, ich fahre mit
dem Bus und dem Rad zur Arbeit." Dennoch - sein Leben ist anders
als vor der Wahl. Im Wahlkampf habe er gearbeitet "wie ein
Brunnenputzer".
Für Anton Hofreiter von den Grünen ist die
Bürokratie keine so große Hürde. Eine "gewisse
Anzahl von Formularen" müsse man zwar ausfüllen - aber
bei Problemen gebe es von der Verwaltung schnelle Hilfe. Auch das
Arbeitspensum sieht er gelassen: "Das wusste man ja vorher", sagt
der 35-Jährige, und zuckt mit den Schultern, "und die
Bezahlung ist ja auch nicht wirklich schlecht." Das muss bayerische
Gemütlichkeit sein. Überraschungsmomente gab es für
Hof-reiter aber trotzdem: die Stimmung bei der konstituierenden
Bundestagssitzung zum Beispiel. "Aufstehen und ?Guten Morgen, Herr
Präsident' sagen, das hat etwas von Schule - und einen nicht
ganz ernsthaften Touch", erzählt Hofreiter und lacht.
Ansonsten war vor allem eines neu für ihn: sich in der
Situation des Arbeitgebers wiederzufinden. Wie führt man
Vorstellungsgespräche, nach welchen Kriterien stellt man
Mitarbeiter ein? "Dafür bin ich ja nicht ausgebildet", sagt
Hofreiter, der Biologe. Jetzt ist er für Verkehr, Bauen und
Wohnen zuständig.
Auch die FDP-Abgeordnete Miriam Gruß hat eine ihrer
Prioritäten auf die Einstellung der Mitarbeiter gelegt: "Ich
wollte Leute, die selbst noch am Anfang stehen." Das ist gelungen:
Ihr Büro ist jung, die Mitarbeiter sind alle Mitte bis Ende
20. Stressig findet Miriam Gruß manchmal die Koordinierung von
Terminen: "Sobald eine Sitzung länger dauert, hat man
Schwierigkeiten, rechtzeitig zur nächsten zu gelangen." Hinzu
kommt, dass Miriam Gruß auch eine Doppelrolle zu erfüllen
hat: Die 29-Jährige ist nicht nur Abgeordnete und Mitglied im
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, sondern
auch Mutter. Im heimischen Augsburg wartet ihr kleiner Sohn. Seit
sie in Berlin ist, bleibt ihr Mann zu Hause und kümmert sich
um das Kind. Trotzdem muss sie zwischen manchen Sitzungen auch mal
schnell per Handy durchgeben, "wo die Fieberzäpfchen sind".
Viel Zeit zum Eingewöhnen gab es in Berlin übrigens
nicht: "Man ist schon die Maus im Laufrad. Es ging einfach sofort
los."
An diese ersten Tage kann sich auch Julia Klöckner von der
CDU noch sehr gut erinnern. Die 32-Jährige sitzt schon seit
2002 im Parlament, dieses Jahr hat sie ein Direktmandat in ihrer
Pfälzer Heimat geholt. "Beim ersten Mal war ich von Vielem
noch beeindruckt, was ich heute entspannter sehe", sagt sie.
Es ist Mittwochmittag, gerade ist der erste Höhepunkt der
neuen Legislaturperiode zu Ende gegangen: Bundeskanzlerin Angela
Merkel hat ihre erste Regierungserklärung abgegeben - Hochzeit
für Fernseh-Interviews. Es ist wie nach den
Fraktionssitzungen, nur voller. Auch Klöckner steht inmitten
einer Meute von Journalisten und Parlamentariern. Ihr
Verhältnis zu den Medien ist geprägt von ihren eigenen
Berufserfahrungen: Sie hat selbst jahrelang als Journalistin
gearbeitet, die ehemalige deutsche Weinkönigin war unter
anderem Chefredakteurin des Sommelier Magazins. "Wenn heute ein
Fernsehteam anfragt und einen Dreiminüter machen will, dann
weiß ich, dass mein Vormittag futsch ist."
Der Umgang der jungen Politiker mit den Medien ist geprägt
vom Bewusstsein, dass es ein Spiel ist, bei dem der eine den
anderen braucht. Auch wenn es zu Lasten der Information geht. "Viel
wird verkürzt, zugespitzt", sagt Klöckner und fügt
hinzu: "Klar, ich polarisiere auch, wenn es sein muss. Die Medien
wollen mit mir arbeiten, dann arbeite ich auch mit ihnen."
Es fehlt die Legitimation
Der Grüne Anton Hofreiter sieht das kritischer. "Ich habe
das Gefühl, bestimmte Themen gewinnen in der Presse eine
Eigendynamik. Da gibt es seitens der Medien manchmal gar keine
Kontrolle mehr." Es stört ihn, wenn Journalisten nicht einfach
nur berichten, sondern versuchen, Politik zu machen. "Da fehlt die
Legitimation", meint Hofreiter. "Politiker sind immerhin vom Volk
gewählt."
Dass die Medien mittlerweile immens wichtig sind, findet auch
der SPD-Abgeordnete Peter Friedrich. Die Folge: "Es gibt keine
Diskussionen mehr im politischen Raum, Ideen können sich nicht
mehr entwickeln, dazu gibt es keine Zeit." Aber Demokratie, so
Friedrich, das bedeute auch, dass das Volk und die Volksvertreter
diskutierten. Manchmal fragt er sich sogar, ob der Begriff
Demokratie noch zutreffend sei. "Wenn die Medien den politischen
Diskurs ersetzen, dann haben wir eine Mediokratie."
Barbara Lich und Anne Haeming
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