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Michael Marek
Das Ringen um Versöhnung
Gelder an ehemalige Zwangsarbeiter sind fast
vollständig ausgezahlt
Vor fünf Jahren wurde unter erheblicher
öffentlicher Aufmerksamkeit und begleitet von bisweilen
empörter Kritik durch die Opferverbände die Stiftung
"Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" gegründet. Damit
sollten die Ansprüche ehemaliger Zwangsarbeiter gedeckt
werden, die während der NS-Zeit für deutsche Unternehmen
in Auschwitz und anderswo unter menschenunwürdigen Bedingungen
arbeiten mussten. Die Auszahlungen an mehr als 1,6 Millionen Opfer
sind fast abgeschlossen. Finanziert wurden die Mittel durch die
Unternehmen, die damals davon profitierten. Dennoch: Das Leid
bleibt unvergessen.
Während des Zweiten Weltkriegs wurden
etwa zwölf Millionen Zwangsarbeiter nach Deutschland
verschleppt. Sklavenarbeit habe eine gesellschaftliche Dimension
besessen, sagt Ulrich Herbert, Professor für Neuere Geschichte
an der Universität Freiburg. Die Beschäftigung von
ausländischen Zwangsarbeitern beschränkte sich aber nicht
nur auf Großbetriebe, "sondern erstreckte sich von der
Verwaltung auf die gesamte Wirtschaft, vom Kleinbauernhof bis hin
zur Reichsbahn, den Kommunen und Rüstungsbetrieben, aber auch
den privaten Haushalten, die eines der mehr als 200.000 begehrten
sowjetischen Hausmädchen einsetzten".
Gleichwohl waren es vor allem
Großbetriebe, die von der Zwangsarbeit finanziell
profitierten. 55 Jahre mussten vergehen, bis es für die
überlebenden Opfer zu einer individuellen Entschädigung
kam. Auf Initiative der rot-grünen Bundesregierung wurde im
Jahr 2000 die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"
gegründet. Die Bundesrepublik und Vertreter der deutschen
Wirtschaft verpflichteten sich, zu gleichen Teilen insgesamt 5
Milliarden Euro aufzubringen, wenn im Gegenzug dauerhaft
Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen in den USA gegen
Schadensersatzklagen hergestellt würde. Später wurde der
Anteil der Wirtschaft um weitere 50 Millionen Euro
aufgestockt.
Anfangs wurde die Stiftung in der
Öffentlichkeit unter anderem von den Opferverbänden
heftig kritisiert. Doch mittlerweile ist davon nichts mehr zu lesen
oder zu hören. Hans-Otto Bräutigam, derzeit
Vorstandsvorsitzender der Stiftung, erklärt das mit der
öffentlichen Wahrnehmung: Viele dächten, "das läuft
doch alles ganz gut. Die Sache ist unter Dach und Fach, es ist
jetzt nur noch eine Abwicklung."
Bis heute sind rund 6.500 Unternehmen der
Stiftungsinitiative der Wirtschaft beigetreten. Anfänglich
ließen sich jene 2,5 Milliarden Euro nur quälend langsam
einsammeln, zu deren Einzahlung in den Stiftungsfond sich die
deutsche Wirtschaft verpflichtet hatte. Und das, obwohl die Gelder
steuerlich abzugsfähig waren. Vergessen, verdrängen und
abwiegeln, so lautete jahrzehntelang die Devise deutscher
Unternehmen, wenn es um Ansprüche ehemaliger Zwangsarbeiter
ging.
Spät, aber nicht zu spät, habe sich
in den Vorstandsetagen ein Sinneswandel eingestellt, bilanziert
Bräutigam rückblickend und betont, dass es dafür
durchaus des Drucks von außen bedurft habe. Allerdings habe
die Stiftungsinitiative von sich aus richtigerweise entschieden,
"dass die Firmen, die sich nicht beteiligen, nicht
veröffentlicht und an einen Pranger gestellt
werden".
Seit Sommer 2000 arbeitet die Bundesstiftung,
und sie tut das weitgehend geräuschlos. Bis heute hat sie etwa
4,3 Milliarden Euro an ihre Partnerorganisationen in Polen,
Russland, Tschechien, Weißrussland und der Ukraine sowie an
die Jewish Claims Conference und die Internationale Organisation
für Migration ausgezahlt.
Entschädigt wurden über 1,6
Millionen ehemalige Zwangsarbeiter aus rund 80 Ländern. Ihr
Alter liegt heute zwischen 60 und 100 Jahren, das heißt auch
diejenigen, die während der NS-Herrschaft Kinder waren und zur
Zwangsarbeit gezwungen wurden, haben finanzielle Hilfen erhalten.
Darunter die größte Gruppe der osteuropäischen
Zwangsarbeiter, vor allem aus Polen, der Ukraine und aus Russland.
Gerade sie hatte der NS-Staat und die deutsche Industrie am
stärksten ausgebeutet. "Viele dieser alten Menschen leben in
beschränkten sozialen Verhältnissen. Für sie ist es
wie ein Lottogewinn, dass wir ihnen in ihrer bedrängten
Lebenslage helfen", sagt Bräutigams Vorgänger Michael
Jansen, der heute im Bundespräsidialamt tätig
ist.
Nach Kriegsende wurden viele der
Überlebenden in ihren Heimatländern nicht einmal als
Opfer anerkannt. Die ehemalige Sowjet-union verdächtigte die
Deportierten, Verräter gewesen zu sein. Viele Zwangsarbeiter
vernichteten ihre Papiere - aus Angst, um nicht als Kollaborateure
stigmatisiert zu werden. Das hatte zur Folge, dass viele Opfer
zunächst nicht glaubhaft machen konnten, wann und wo sie
Zwangsarbeit geleistet hatten. "Wir haben eine
Nachweisproblematik", so Jansen. "Wir haben allerdings auch die
gesamte Spannbreite der Möglichkeiten, das Schicksal zu
belegen etwa durch Zeugenaussagen."
Die Dauer der Zwangsarbeit habe für die
Höhe der Entschädigung keine Rolle gespielt, ebenso wenig
die heutige soziale Stellung. Ob mehr Frauen als Männer
Entschädigungsanträge gestellt haben, das ließe
sich, so Bräutigam, derzeit noch nicht feststellen.
Ingesamt hat die Stiftung zwischen zwei
Gruppen von Sklavenarbeitern unterschieden: Zum einen
KZ-Häftlinge, die während der Haftzeit Zwangsarbeit
leisten mussten, vor allem in Auschwitz. Sie bekamen die
Höchstsumme von 7.500 Euro Entschädigung. Und es gab
jene, die aus den okkupierten Ländern nach Deutschland
verschleppt wurden. Sie erhielten einen Betrag von 2.500
Euro.
Die Gelder hätten bislang auch die
richtigen Empfänger erreicht, das habe die Stiftung
regelmäßig prüfen lassen, wie Bräutigam
hervorhebt. Die von Kritikern befürchteten Betrügereien
habe es nicht gegeben. Insgesamt sei die Stiftung so schnell und
unbürokratisch wie möglich vorgegangen. Was man auch
daran erkenne, dass nur fünf Prozent der Leistungsberechtigten
Erben bereits verstorbener Zwangsarbeiter seien. Nicht abgerufene
Gelder, beispielsweise weil es keine Erben mehr gibt, werden den
Partnerorganisationen für soziale Zwecke zur Verfügung
gestellt.
In diesen Tagen soll die Verteilung der
finanziellen Mittel abgeschlossen sein. Man müsse aber darauf
hinweisen, dass es sich bei den Geldern nicht um
Wiedergutmachungsleistungen oder Entschädigungen im Sinne
eines Rechtsanspruches handle, sondern um "freiwillige Zahlungen",
so Bräutigam. Jahrzehntelang hatten sich
Unternehmensvorstände erfolgreich geweigert, individuelle
Entschädigungen an die überlebenden Opfer zu zahlen - mit
der Begründung, man sei zur Beschäftigung von
Zwangsarbeitern gezwungen worden. Von daher hätte nur die
Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin des NS-Staates
finanzielle Wiedergutmachung leisten können.
Neben der finanziellen Hilfe kümmert
sich die Stiftung in einem Zukunftsfond auch um die Begegnung
ehemaliger Zwangsarbeiter mit deutschen Schülern oder die
Betreuung von NS-Opfern. Es gibt Stipendienprogramme, die den
Nachfahren verstorbener Zwangsarbeiter Auslandsaufenthalte
ermöglichen. Anfänglich wurde der Fonds als Werbeaktion
der Industrie kritisiert, heute erfährt er vor allem durch die
Partnerorganisationen breite Zustimmung.
Es habe Anfragen von Organisationen und
Menschen aus der ganzen Welt gegeben, weiß Michael Jansen zu
berichten. Es hätten sich Südafrikaner gemeldet, weil es
deren Versöhnungspolitik zwischen Schwarz und Weiß
angehe. Es gäbe Anfragen aus Chile, die den Umsturz von 1973
thematisierten, sowie Interesse von den nach wie vor weitgehend
entrechteten mexikanischen Indios.
All das zeige doch, so Jansen, dass man die
Stiftung außerhalb der Bundesrepublik als erfolgreiches
Beispiel für das Ringen um Versöhnung
wahrnehme.
Trotz der positiven Stiftungsbilanz bleiben
grundlegende Fragen nach Gerechtigkeit und Kompensation: Kann es
individuelle Gerechtigkeit durch finanzielle Wiedergutmachung
geben? Kann ein neues Moped für die ukrainische
Zwangsarbeiterin Kompensation sein für ein traumatisiertes
Leben? Besteht die Gefahr seitens der Stiftung, die
Entschädigung der Zwangsarbeiter sozusagen als eine
schnöde Geldangelegenheit zu behandeln? Bedeutet das nicht
auch eine Entweihung der Opfer? "Ja, die Gefahr besteht immer",
sagt der Vorstandsvorsitzende Hans-Otto Bräutigam, "umso
wichtiger ist es, dass eine solche Entschädigungsleis-tung mit
einer aktiven und engagierten Erinnerungspolitik verbunden
wird."
Bis heute waren und sind die
Wiedergutmachungsleistungen der Bundesrepublik Deutschland
beachtlich und historisch einzigartig. Und doch gehört es bis
heute zur sozialen und psychischen Situation von ehemaligen
Zwangsarbeitern, dass nicht auszugleichen ist, was ihnen widerfuhr.
"Wer Opfer wurde, blieb es", schrieb einst der 1978 gestorbene
Schriftsteller und Auschwitz-Überlebende Jean Améry. "Wer
gefoltert wurde, blieb gefoltert."
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