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Susanne Kailitz
Gearbeitet wird hinter der Bühne
Die Ausschüsse sind die wichtigsten Organe
des Bundestags
Das Vorurteil ist ebenso alt wie beständig:
Die Abgeordneten des Bundestags bekommen viel Geld und tun
dafür wenig. Als Beweis dieser These gelten Bilder des
spärlich gefüllten Plenarsaals. Allenfalls 50
Parlamentarier seien anwesend gewesen, berichtet ein User entsetzt
im "Politikforum" über seine Beobachtungen während einer
Debatte. Die lapidare Antwort eines anderen: "Die 50 in der Sitzung
sind genau die Zahl, die man tatsächlich braucht. Der Rest ist
nur mit sich und seiner Parteikarriere beschäftigt."
Doch das dürfte schwierig werden: Mehr
als 800 Gesetzentwürfe passieren durchschittlich während
einer Legislaturperiode den Bundestag. Sie werden beraten,
geändert, diskutiert und schließlich verworfen oder
beschlossen. Dazu kommen gut 10.000 Bundestagsdrucksachen, die es
zu lesen gilt - mit 50 Abgeordneten wäre das wohl kaum zu
schaffen. Während also der Plenarsaal die -
zugegebenermaßen oft eher minimalistisch besetzte - Bühne
des deutschen Parlaments ist, findet die Hauptarbeit der
Abgeordneten hinter den Kulissen in den Ausschüssen statt. Sie
sind, so besagt es Paragraph 62 der Geschäftsordnung des
Bundestags, "vorbereitende Beschlussorgane" und haben die "Pflicht,
dem Bundestag bestimmte Beschlüsse zu empfehlen".
22 ständige Ausschüsse hat der 16.
Bundestag eingesetzt, am 30. November 2005 haben sie sich
konstituiert. Von diesen Ausschüssen sind durch das
Grundgesetz nur vier vorgeschrieben: Nach den Artikeln 45, 45a und
45c ist der Bundestag gezwungen, jeweils einen Ausschuss für
die Angelegenheiten der Europäischen Union, für
Auswärtiges, für Verteidigung und einen
Petitionsausschuss einzurichten.
Grundsätzlich spiegelt die Einrichtung
der Ausschüsse die Organisation der Bundesregierung - damit
wird den Hauptaufgaben des Bundestags Rechnung getragen, Gesetze zu
erlassen und die Arbeit der Regierung zu kontrollieren. In der
Regel steht einem Fachministerium ein Fachausschuss im Bundestag
gegenüber. Gleich beibehalten kann der Bundestag seine
Ausschüsse nicht: Der Grundsatz der Diskontinuität
besagt, dass nach einer Wahl der alte Bundestag nicht fortbesteht
und alle Gremien und Organe neu gebildet werden müssen.
Kleinere Abweichungen vom Regierungsmodell sind dabei möglich
- so ist für die Angelegenheiten des Bundesinnenministeriums
nicht nur der Innenausschuss, sondern auch der Sportausschuss
zuständig. Ändert sich der Zuschnitt eines Ministeriums,
schlägt sich das in der Organisation der Ausschüsse
nieder: In der 16. Wahlperiode gibt es einen Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie und einen für Arbeit und Soziales -
in der vergangenen Wahlerperiode war es noch ein Ausschuss für
Wirtschaft und Arbeit.
Ist dieses Verfahren der Ausschusseinsetzung
noch verhältnismäßig unkompliziert, wird es bei
ihrer Besetzung schwieriger: Welche Fraktion in welchem Ausschuss
den Vorsitz erhält, wird durch eine mathematische Methode, das
Verfahren nach Sainte-Lague/Schepers, bestimmt. Dafür wird die
Gesamtzahl der Abgeordneten durch die Mitgliederzahl jeder Fraktion
geteilt und zunächst mit 0,5, dann mit 1,5 und dann mit 2,5
usw. multipliziert. Dabei entstehen Rangmaßzahlen, die eine
Zugriffsreihenfolge ergeben. Die Fraktion mit der jeweils
niedrigsten Rangmaßzahl hat dann den Zugriff auf einen
Ausschussvorsitz. Nach dem gleichen Verfahren wird auch das
Stärkeverhältnis der Fraktionen in den Ausschüssen
berechnet.
Weit diffiziler als die Berechnung der puren
Ansprüche ist allerdings die personelle Zuordnung der
Ausschussmitglieder. Welcher Abgeordnete in welchem Gremium
arbeiten wird, entscheidet die jeweilige Fraktionsführung -
und muss dabei darauf achten, den Wünschen und Kompetenzen der
Ausschussmitglieder gerecht zu werden. Das Spannungspotenzial ist
dabei hoch: So mancher Neu-Abgeordnete, der sich selbst für
einen begnadeten Finanzexperten hält und in den besonders
einflussreichen Haushaltsausschuss strebt, muss sich seine ersten
parlamentarischen Sporen erst einmal im Petitionsausschuss
verdienen und sich dort um die ganz konkreten Anliegen der
Bürger kümmern.
Wie groß die Ausschüsse sind,
hängt von ihrem Arbeitspensum ab - und bestimmt auch über
ihre Beliebtheit. Besonders begehrt sind traditionell die
Plätze im Haushaltsausschuss und im Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Eine Sonderstellung, die ihm
einen gewissen Nimbus verleiht, haben der Verteidigungsausschuss
und der Ausschuss für Auswärtiges: An ihren vertraulichen
Sitzungen dürfen nur Ausschussmitglieder teilnehmen, andere
Parlamentarier sind nicht zugelassen. Zudem ist der
Verteidigungsausschuss der einzige Ausschuss, der sich selbst
jederzeit als Untersuchungsausschuss einsetzen kann.
Doch auch wenn der feingeistige
Künstlertyp im Verteidigungsausschuss gelandet ist oder sich
ein leidenschaftlicher Jurist nicht im Rechts-, sondern im
Sportausschuss wiederfindet: Von den Abgeordneten wird erwartet,
dass sie sich schnell und gründlich in die Materie
einarbeiten. Schließlich werden sie in den vier Jahren einer
Legislatur Entscheidungen treffen, die die Lebensumstände
vieler Bürger verändern können.
Jedes einzelne Bundesgesetz, das in
Deutschland erlassen wird, muss vorher im Bundestag beraten werden.
Die Gesetzentwürfe kommen zu einem Großteil von der
Bundesregierung, wesentlich weniger Entwürfe werden von den
Fraktionen oder vom Bundesrat eingebracht. Vor der Debatte im
Plenum überweist der Bundestag nach der ersten Lesung
Gesetzentwürfe, Anträge und Unterrichtungen ihres
Fachbereichs an die Ausschüsse, zu deren "baldiger Erledigung"
sie verpflichtet sind. Weil die zu beratenden Themen oft nicht nur
in einem Ausschuss behandelt werden, sondern es
Überschneidungen gibt, übernimmt ein hauptsächlich
zuständiger Ausschuss die Federführung, während die
anderen mitberatend tätig sind und Stellungnahmen
abgeben.
Bei ihrer Meinungsbildung sind die
Ausschussmitglieder nicht auf sich allein gestellt: Um sich in
fachlich schwierige oder politisch brisante Themen einzuarbeiten,
können sie sich in - oft öffentlichen - Anhörungen
von externen Sachverständigen beraten lassen und
Stellungnahmen wichtiger Verbände oder Organisationen
einholen. Erst nachdem das Thema umfassend diskutiert worden ist,
wird im Ausschuss abgestimmt und eine Beschlussvorlage für den
Bundestag formuliert, über die in zweiter und dritter Lesung
debattiert und abgestimmt wird.
Dann, wenn im Plenum die Debatten
stattfinden, wird die Arbeit der Abgeordneten via
Fernsehübertragung auch für ein größeres
Publikum sichtbar - und ganz so falsch ist der Begriff von der
Bühne sicher nicht: Im Mittelpunkt der Debatten steht meist
nicht, worauf sich die Abgeordneten der verschiedenen Fraktionen in
den Ausschüssen einigen konnten, sondern das, worüber es
Streit gab. Ritualisiertes Theater nennen das die einen,
Verdeutlichung der unterschiedlichen Standpunkte der Parteien die
anderen. Fakt ist: Während schauspielerische Begabung in den
Ausschussberatungen eher zweitrangig ist, weil es dort keine
Kameras gibt, ist sie im Plenum unverzichtbar.
Auch darüber, wie unvoreingenommen die
Abgeordneten an die Themen herangehen und ob sie wirklich bereit
sind, sich von anderen Meinungen überzeugen zu lassen, gehen
die Meinungen auseinander. In jedem Ausschuss gibt es so genannte
Obleute und Berichterstatter, die zum einen die
Hauptansprechpartner für die Fraktionsführung sind und
zum anderen den Kurs der Fraktionen in den jeweiligen Fachfragen
mitbestimmen.
Sie beraten in Arbeitsgruppen, zu denen die
Ausschussmitglieder einer Fraktion gehören, den Kurs, den die
Fraktion in den Ausschussberatungen verfolgen wird. Und der wird
oft schon lange im Vorfeld in den Koalitionsrunden festgelegt -
für die Ausschussmitglieder bleibt dann oft nur das Feilen an
Formulierungen und das formale Bearbeiten der Vorlagen, aber keine
inhaltliche Gestaltungsmöglichkeit.
Ohnehin verlagert sich vieles, was eigentlich
in die Ausschüsse gehört, an andere Orte. Der Bundestag
kann selbst über die Einsetzung von Enquete-Kommissionen und
Untersuchungsausschüssen entscheiden, die entweder Material zu
komplexen politischen Themen sammeln und Bericht erstatten oder
bestimmte Vorfälle untersuchen. Parallel dazu kann - und sie
hat es in der vergangenen Legislatur ausgiebig getan - die
Bundesregierung nach Belieben Kommissionen und Räte
einberufen, in denen Sachverhalte behandelt werden, die eigentlich
in den Bundestag gehören. Auch die Tatsache, dass viele
Vorhaben nicht mehr im Plenum, sondern in diversen Talkshows
verkündet werden, läuft der Idee zuwider, dass der
Bundestag der Ort der politischen Gestaltung ist - und nährt
das Vorurteil, der Bundestag arbeite nicht richtig.
Nicht von ungefähr kommen daher immer
wieder Forderungen, die Ausschusssitzungen öffentlich
abzuhalten. Auf wieviel Interesse diese Sitzungen stoßen
können, bewies der Untersuchungsausschuss zur
Visa-Affäre, der in der vergangenen Legislatur Heerscharen von
Journalisten in den Bundestag und politisch Interessierte vor die
Fernsehgeräte lockte. Dass das allerdings bei der Beratung
diverser Änderungen der Verpackungsordnung ähnlich
wäre, darf bezweifelt werden - dann kann selbst der
interessierteste Bürger damit leben, dass die Abgeordneten
ihre Hauptarbeit hinter den Kulissen verrichten. Doch dabei darf
man sich von vermeintlich langweiligen Tagungspunkten nicht
täuschen lassen: Hinter dem drögen Titel
Verpackungsordnung steckt das hochpolitische Thema
Dosenpfand.
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