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Das Parlament
Nr. 49 / 05.12.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Günter Pursch

Merkel will mehr Freiheit wagen

Opposition kritisiert geplante Mehrwertsteuererhöhung
Deutschland soll mit einer Politik der kleinen, aber konsequenten Schritte wieder zu einer der drei stärksten Wirtschaftsnationen in Europa werden. Dies hob Bundeskanzlerin Angela Merkel am 30. November in ihrer ersten Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag in Berlin hervor. "Wir werden eine Regierung der Taten sein", versprach sie und forderte den Mut zur Überwindung alter Rituale. Für die Opposition warf FDP-Chef Guido Westerwelle der Kanzlerin vor, sie betreibe eine "Politik der Trippelschritte". Die Große Koalition sei ein Bündnis "des kleinsten gemeinsamen Nenners".

Zunächst nahm Merkel zu der im Irak entführten deutschen Archäologin Susanne Osthoff Stellung und sprach den Angehörigen ihr Mitgefühl aus. Sie kündigte einen entschiedenen Kampf gegen den Terrorismus an. "Wir lassen uns nicht erpressen", erklärte sie. Die Bundesregierung werde alle Anstrengungen unternehmen, um das Leben Osthoffs und ihres irakischen Fahrers zu schützen.

Ein klares Bekenntnis legte Merkel zu den zwischen CDU, CSU und SPD vereinbarten tief greifenden Reformen ab. Man habe viele "dicke Bretter" zu bohren. So stehe die Neuordnung des Föderalismus an, der Arbeitmarkt müsse wieder fit gemacht werden, Schulen und Hochschulen seien wieder an die Spitze zu bringen und die Verschuldung müsse zurückgeführt werden. Überflüssige Bürokratie müsse abgebaut und das Gesundheits- und Rentensystem sowie die Pflegeversicherung müssten in Ordnung gebracht werden. Sie sprach sich für "eine neue Gerechtigkeit" aber auch für "weniger Missbrauch" in der Sozialpolitik aus. Auch künftig müsse den Schwachen geholfen werden. Dafür würden die Arbeitsmarktreformen fortgeführt.

Ausdrücklich dankte sie ihrem Vorgänger im Kanzleramt. Gerhard Schröder habe mit seiner "Agenda 2010" die Tür geöffnet, um die Sozialsysteme zu modernisieren. In Anlehnung an das Wort von Willy Brandt (SPD), "mehr Demokratie wagen" zu wollen, formulierte Merkel: "Lasst uns mehr Freiheit wagen."

Westerwelle nahm diesen Faden auf: "Steuererhöhungen sind ein Stück mehr Unfreiheit für die Bürger." Die Große Koalition müsse sich, was Vertrauen und Anerkennung betreffe, ihren Namen erst noch verdienen, unterstrich der FDP-Vorsitzende.

Damit die Große Koalition erfolgreich sein kann, benötigt sie nach den Worten des SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck vor allem Vertrauen und Verlässlichkeit im gegenseitigen Umgang von Union und Sozialdemokraten. Er zeigte sich optimistisch, dass das Bündnis über die gesamte vierjährige Legislaturperiode halten werden. Seine Fraktion werde selbstbewusst prüfen, was die Regierung an Gesetzen vorlege. Auch künftig werde dabei meist die Regel gelten, dass keine Regierungsvorlage vom Bundestag unverändert verabschiedet werde.

Für die CDU/CSU appellierte der Fraktionsvorsitzender Volker Kauder an die Bürger, bei den Reformvorhaben der neuen Regierung am gleichen Strang zu ziehen. Er warnte vor einem Davonlaufen. "Weglaufen ist das Gegenteil von Verantwortung". Wer mitmache, "dient Deutschland. Wer mitmacht, ist ein Patriot." Zentrale Aufgabe der Großen Koalition sei die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. Zugleich warnte Kauder vor einem Vorpreschen einzelner Politiker innerhalb des Bündnisses. "Die Gesundheitspolitik ist ein Beispiel dafür, dass wir noch lernen müssen, zunächst intern miteinander zu reden, bevor wir öffentlich Vorschläge machen." Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) war mit ihrem Vorstoß für die Gleichbehandlung von Privat- und Kassenpatienten auf Kritik gestoßen.

Gregor Gysi, Fraktionschef der Linkspartei, warf der Regierung wegen der geplanten Erhöhung der Mehrwertsteuer eine verfehlte Politik vor. In diesem Zusammenhang beschuldigte er die Sozialdemokraten, Wahlbetrug zu betreiben.

Bei den "kleinen Schritten" der Regierung ist für Fritz Kuhn, Vorsitzender der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, die Richtung nicht erkennbar. Das seien "Häppchen für jeden", aber "man weiß nicht, was es zu essen gibt".

Die von den Oppositionsfraktionen FDP, Die Linke sowie Bündnis 90/Die Grünen getrennt eingebrachten Entschließungsanträge auf den Drucksachen 16/91, 16/112/ und 16/114 wurden abgelehnt.

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