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Juni 01/1998
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M. Meckel

"Ein Zeitzeugnis für den Umgang mit Geschichte"

Blickpunkt Bundestag-Gespräch mit Markus Meckel, Mitglied in der Enquete-Kommission "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit"

1992 setzte der Deutsche Bundestag eine Enquete-Kommission mit dem Titel "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" ein. Ihre Arbeit war vor allem historisch orientiert. Zwischen 1992 und 1994 untersuchte sie die Strukturen des SED-Machtapparates, erforschte die Funktion von Recht, Justiz und Polizei im DDR-Staat, beleuchtete die Rolle der Kirchen sowie der Opposition und des Widerstandes.
In der 13. Legislaturperiode beschäftigte sich der Bundestag in einer neuen Enquete-Kommission ebenfalls mit diesem Themenkomplex. Diese zweite Kommission wird Mitte Juni 1998 ihren Abschlußbericht vorlegen. Sie hatte vor allem den Auftrag, Parlament und Regierung Handlungsempfehlungen für den Umgang mit den Folgen und der Hinterlassenschaft der SED-Diktatur zu geben, war also gegenwarts- und zukunftsorientiert, was sich auch in ihrem Titel "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit" widerspiegelt. Über die Arbeit des Gremiums sprachen wir mit Markus Meckel, dem früheren DDR-Oppositionellen und SPD-Obmann in der Kommission.

Eines der erklärten Ziele der Enquete-Kommission war es, die Menschen in Ost und West im Verlauf des Einigungsprozesses einander näherzubringen. Aber viele Ost- und Westdeutsche stehen sich, mit den Klischees vom jeweils anderen beladen, oftmals noch fremd gegenüber ...
Nein, die Haltung hat sich schon verändert. Was die Klischees betrifft, so sind sie " vor allem im Westen " durchaus einem differenzierteren Bild gewichen. Daran hat auch unsere Kommission ihren Anteil. Mit fundierten Anhörungen zu so vielfältigen Themen wie Bildungs- und Umweltpolitik in der DDR, Situation der Frauen im geteilten und vereinten Deutschland, Wertorientierungen in Ost und West ist es uns gelungen, eine breite, interessierte Öffentlichkeit zu erreichen. 1990/91 war der Blick des Westens auf den Osten fast ausschließlich auf das Thema Stasi fixiert. Heute ist das Bild viel differenzierter.
Aber viele Ostdeutsche fühlen sich, das wurde auf Anhörungen deutlich, durch die Erkenntnisse der Kommission diskreditiert. Sie sehen ihr Leben in der DDR als entwertet an, wenn der Staat, in dem sie lebten, als Unrechtsstaat vorgeführt wird.
Wenn wir die SED-Diktatur und ihre Führung politisch und moralisch verurteilen, heißt das doch nicht, daß wir die ihr unterworfenen Menschen verurteilen oder deren Lebensleistung abwerten. Im Gegenteil. Aber vielen Menschen im Osten fällt es schwer, das auseinanderzuhalten, zu differenzieren. Und die PDS, die ein objektives Interesse daran hat, die Aufarbeitung zu verhindern, nimmt diese Stimmung der Menschen geschickt auf und gibt sich obendrein als Anwalt der Ostdeutschen.

Welches waren die wichtigsten Themen in dieser Legislaturperiode?
Eines der wichtigsten Anliegen war es, mit einem Gesetzentwurf die Gründung einer Stiftung vorzubereiten, die die Arbeit der zahlreichen, oft in der Existenz bedrohten Aufarbeitungsinitiativen sichert. Der Bundestag hat dieser Stiftung zugestimmt und damit ein eigenständiges Instrument im pluralen Aufarbeitungsprozeß auf den Weg gebracht. Das war ein parteiübergreifender Erfolg der Kommission. In unserem Abschlußbericht werden wir auch Vorschläge über die Förderung von Gedenkstätten, die an die Opfer von SED-Unrecht erinnern, vorlegen. Wir sind der Ansicht, daß sich der Bund nicht, wie bisher geplant, zehn Jahre nach der Einheit aus der Förderung zurückziehen darf.
Ein anderer Schwerpunkt unserer Arbeit war die Rehabilitation der Opfer der SED-Diktatur. So wurde zwar das Unrechtsbereinigungsgesetz novelliert. Aber nach Auffassung meiner Partei gibt es dabei noch zahlreiche Defizite " besonders, was die Anerkennung gesundheitlicher Schäden oder den Ausgleich beruflicher Nachteile betrifft.

Gibt es noch weiße Flecken in der Aufarbeitung der DDR-Geschichte?
Ja, die gesamtdeutsche Perspektive bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur ist von Anfang an zu kurz gekommen: zum Beispiel das Verhältnis des Westens zur DDR. Zudem schätzen die in der Kommission vertretenen Parteien diese Frage verschieden ein. Da geht es etwa um die Ostverträge, Kontakte zur SED oder die Wirtschaftskredite des Westens an die DDR.

Die Kommission wollte vor allem Empfehlungen im Prozeß der Einigung geben...
Die Zeit hat gefehlt, um im Bereich der Bildung Vorschläge zu unterbreiten, die dringend notwendig wären. Wie zum Beispiel die DDR-Vergangenheit im Schulunterricht behandelt wird, ist mehr als dürftig. Besonders in den neuen Bundesländern wird sie als Anhang der Nachkriegsgeschichte nur gestreift.

Die Arbeit der Kommission geht mit dieser Legislaturperiode zu Ende. Ihr Fazit?
Die Aufgabe der Enquete-Kommission war es nicht, am Ende Geschichtsbücher abzuliefern. Jedoch ist es uns gelungen, durch die Vielfalt der Themen in der relativ kurzen Zeit unserer Arbeit eine sehr große Fülle an Aufarbeitungsmaterial beizubringen. Das wäre ohne die Kommission so vielleicht nicht möglich gewesen. Hier hat sich unsere Arbeitsweise, Zeitzeugen-Anhörungen mit den Gutachten von Wissenschaftlern zu verknüpfen, bewährt und hat überdies den Dialog gefördert.
Im übrigen bin ich fest davon überzeugt, daß die Kommission vor allen Dingen ein Zeitzeugnis sein wird, ein Zeitzeugnis für den Umgang mit der deutschen Geschichte in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9801/9801075
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