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Mai 05/1999
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Dokumente lieber auf Papier

"Ich brauche was zum Thema Kosovo." Eine so ungenaue Anforderung würde eine normale Bibliothekarin nur mit einem Augenrollen beantworten. Die Mitarbeiter der Bundestagsbibliothek dagegen versuchen durch freundliche Nachfragen das Thema so einzugrenzen, daß der Abgeordnete schließlich nur noch das auf den Tisch bekommt, was er tatsächlich braucht.

Bundestagsbibliothek

Wir trennen die Spreu vom Weizen", erklärt Bibliotheksleiterin Marga Coing. Für sie ist das, was sie "qualifizierte Informationsvermittlung" nennt, die eigentliche Qualität der Bundestagsbibliothek. Mit 1,3 Millionen Bänden im Bestand ist sie daneben aber auch die drittgrößte Parlamentsbibliothek der Welt – nach denen der Vereinigten Staaten und Japans. Anders als in diesen Ländern, in denen die Parlamentsbibliothek gleichzeitig Nationalbibliothek ist, steht die Bundestagsbibliothek vor allem Bundestagsabgeordneten zur Verfügung.

Mit 1.000 Bänden vom Parlamentarischen Rat nahm die Bundestagsbibliothek 1949 die Arbeit auf. Dennoch finden die Abgeordneten in der Bibliothek heute auch antiquarische Schätze. Zu ihnen zählen beispielsweise die Reichstagsprotokolle. Die 1,3 Millionen Bände sind heute noch genauso provisorisch untergebracht wie bei der Gründung der Bundesrepublik. Der größte Teil des Bestandes ist auf acht Liegenschaften des Bundes rund um Bonn verteilt. "Nur die aktuelle Literatur haben wir vor Ort in der Bibliothek am Plenum", sagt Marga Coing.

Den "Schätzen" bekommt diese Art der Unterbringung offenbar nicht: Die kostbarsten Bücher wurden 1997 und 1998 einer "Papiersanierung" unterzogen. Neben der unsachgemäßen Lagerung macht Marga Coing dafür auch den üblichen Zerfall industriell hergestellten Papiers verantwortlich.

Die antiquarischen Bücher der Bundestagsbibliothek sind vor allem der guten finanziellen Ausstattung in den 70er Jahren zu verdanken. Diese Zeiten sind inzwischen vorbei. "Wir haben seit acht Jahren einen konstanten Etat", erklärt die Bibliotheksleiterin. Demgegenüber stehen Preiserhöhungen bei fast allen Zeitschriften, die der Bundestag regelmäßig bezieht. Vor allem die ausländische Literatur fiel bisher dem Rotstift zum Opfer.

Der Bestand wird aber nicht nur aus finanziellen Gründen überprüft. "Wir schauen auch, was tatsächlich benutzt wird." Allein 2.500 Zeitschriften wurden bei der jüngsten Überpüfung aus diesem Grund eingespart. Die Gesamtzahl der Titel hat dennoch nicht abgenommen, weil genauso viele neue Zeitschriften durch die Deutsche Einheit dazugekommen sind.

Mit der Öffnung der Mauer ist aber auch Literatur in den Osten transportiert worden. Neben doppelten Exemplaren für den "Runden Tisch" waren das die Drucksachen und Plenarprotokolle, die seit der Gründung der Bundesrepublik für die Länder im Osten Deutschlands gesammelt wurden – für den Fall der Wiedervereinigung. Eine Voraussicht, die sich gelohnt hat.

Bundestagsbibliothek
Die Bundestagsbibliothek ist mit ihren 1,3 Millionen Bänden die drittgrößte Parlamentsbibliothek der Welt

Alle Veröffentlichungen von Bund und Ländern, teilweise auch die der Kommunen, müssen an die Bundestagsbibliothek abgegeben werden. Durch eine Veränderung der Informationspflicht in den 80er Jahren gebe es auch hier eine Flut von Veröffentlichungen.

Den Abgeordneten die Arbeit zu erleichtern, ist die Hauptaufgabe der rund 100 Mitarbeiter. Bei den Zusammenstellungen für die Volksvertreter wählen sie aus wissenschaftlicher Literatur, amtlichen Drucksachen, Zeitschriften und sogenannter "grauer Literatur" – Veröffentlichungen von Parteien, Verbänden und Bürgerinitiativen. Dabei gehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr unbürokratisch vor. Mahnungen, weil jemand die Frist überschritten hat, gibt es nicht. "Wir gehen sehr auf unsere Klientel ein", faßt Coing zusammen.

Neben den Abgeordneten können auch die Mitarbeiter der Bundes­ und Landesbehörden, von Botschaften und Verbänden und Journalisten die Bibliothek des Deutschen Bundestages benutzen. Sie einer noch breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sei aus Kosten­ und Personalgründen nicht möglich, sagt Coing. Abgesehen davon könnten ihre Mitarbeiter dann auch den Abgeordneten nicht mehr den gewohnten "ausgefeilten Service" bieten.

Einen Service, mit dem die Abgeordneten in Zukunft noch schneller an das gewünschte Material kommen sollen, wird allerdings auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht: die Schlagwortsuche im Katalog der Bibliothek wird auf der Homepage des Deutschen Bundestages im Internet angeboten (www.bundestag.de). Die normalen User können allerdings nicht wie die Abgeordneten online Bücher bestellen. Um den Volksvertretern die Datenbankrecherche zu erleichtern, wurde ein neuer Schlagwortkatalog mit einer "normalen Sprache" entwickelt und mit den Datenbankbeständen verbunden.

Mit Hilfe moderner Technik hofft Marga Coing auch, die Probleme zu überwinden, die der Umzug nach Berlin mit sich bringt. Anders als das Parlament zieht die Bibliothek erst im Jahr 2001 nach Berlin. In den nächsten beiden Jahren sollen die Abgeordneten in Berlin mit einem Über­Nacht­Service von Bonn aus bedient werden.

Zu der strategischen Leistung, die die Bibliotheksleiterin mit dem Umzug schaffen muß – "Was nicht richtig aufgestellt wird, finden wir nie wieder" – kommt in Berlin noch eine weitere Schwierigkeit auf sie zu: Ein großer Teil ihrer Belegschaft hat die Job­Tauschbörse genutzt und bleibt in Bonn. Für sie wird Marga Coing andere Verwaltungsmitarbeiter bekommen. Erfahrung mit der Arbeit in einer Bibliothek werden sie voraussichtlich nicht haben. "Meine ganze Magazin­Mannschaft wird ausgetauscht", klagt sie.

Dafür allerdings werden die Bücher im Berliner Marie­Elisabeth­Lüders­Haus zum ersten Mal eine angemessene Umgebung haben. In regelmäßigen Gesprächen mit den zuständigen Architekten hat Marga Coing sichergestellt, daß die besonderen Anforderungen an ein Bibliotheksgebäude erfüllt werden.

Dieses Gebäude wird die Bibliothek mit dem Parlamentsarchiv teilen. Umzüge sind für den Leiter des Archivs, Dr. Günther J. Weller, inzwischen nichts besonderes mehr. Schon in Bonn hatte das Parlamentsarchiv unterschiedliche Adressen. Aus dieser Erfahrung weiß er auch, daß irgend etwas immer verlorengeht. Anders als beim Umzug in die neue Bundeshauptstadt hat er in den vergangenen Jahren immer einen großen Teil des Archivs zurückgelassen. "Wir haben jeden Raum mit Beschlag belegt, den wir bekommen konnten", sagt Weller und lacht.

Bundestagsbibliothek

Der Grund dafür: Das Archiv wächst mit jeder Drucksache, jedem Protokoll und jeder Personalakte, die im Bundestag erstellt wird. Das alles muß an das Archiv abgegeben werden und wird dort aufbewahrt – "im Prinzip für immer", nennt Weller als Frist. Die Platzprobleme sind damit Programm. In den Räumen in Berlin ist zwar eine Reserve eingeplant, "aber es ist klar, daß auch das irgendwann nicht mehr ausreichen wird".

Wie Marga Coing läßt auch Günther J. Weller einen Teil seines 30köpfigen Teams in Bonn zurück. "Da geht auf jeden Fall Erfahrungsschatz verloren", sagt er. Anders als die Bundestagsbibliothek ist das Parlamentsarchiv jedem zugänglich, der ein berechtigtes Interesse nachweisen kann. Neben den Abgeordneten und dem wissenschaftlichen Dienst arbeiten vor allem Historiker und Politologen mit den Bundestagsakten. "Wir sind ein sehr junges Archiv", erklärt der Leiter. Auf vielen Verwaltungsakten liegt eine Sperrfrist von 30 Jahren, so daß nur ein Teil der aufbewahrten Papiere auch tatsächlich eingesehen werden kann, während Protokolle und Drucksachen von Ausschüssen im allgemeinen nach Ablauf der jeweils nachfolgenden Wahlperiode von jedem benutzt werden können.

Auch das junge Archiv hat aber schon einige "Schätze" zu bieten. Dazu gehören die Protokolle des Parlamentarischen Rates, der das Grundgesetz erarbeitet hat. Sie stehen gebunden im Büro von Günther J. Weller.

Für die Archivierung selbst bevorzugt er aber auch in Zeiten moderner Technik das Medium Papier. Elektronische Datenträger veralten seiner Ansicht nach zu schnell. "Standards von heute sind das Opfer des technischen Fortschritts von morgen. Um Datenträger in vielen Jahren immer noch lesen zu können, müßten wir auch die jeweiligen Geräte aufbewahren", erklärt er. "Da hätten wir schnell ein technisches Museum zusammen."

Die Akten, die das Archiv vom Bundestag übernimmt, werden nicht regelmäßig dort abgegeben. Am Ende der Legislaturperiode stapeln sich im Archiv die Papiere. "Dann kann es auch schon einmal hektisch werden." Am Ende der Legislaturperiode ist das Parlamentsarchiv wieder am gleichen Ort wie der Bundestag: in Berlin.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9905/9905057
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