Jens Mattern
Polens Privatisierungsskandale überschatten
das politische Leben
Die Aufklärungsmühlen mahlen
langsam
In Polens Grauzone zwischen Staat und Business haben es einige
zu bunt getrieben: die Privatisierung von Staatsbetrieben wurde
darum in den vergangenen zwei Jahren von Parlamentarischen
Ausschüssen des Landes untersucht.
Dabei bietet die Befragung von Personen aus Geschäftswelt
und Politik den untersuchenden Parlamentariern eine medial wirksame
Möglichkeit der Selbstdarstellung; der polnische Bürger
erhält neben Informationen über Verstrickungen und
Klüngelei eine politische Seifenoper von hohem
Unterhaltungswert geboten.
Der erste, fast abgeschlossene Fall ist die so genannte
"Rywin-Affäre". Der Filmproduzent Lew Rywin (unter anderem
Roman Polanskis preisgekrönter Streifen "Der Pianist") bot
Adam Michnik, dem Chefredakteur der einflussreichen Tageszeitung
"Gazeta Wyborcza", im Sommer 2002 eine Änderug des
Mediengesetzes für eine Millionensumme an. Nach dieser
Änderung hätte der Zeitungsverlag einen privaten oder
staatlichen Sender kaufen können, unter der Voraussetzung,
dass der seine Kritik an der postkommunistischen Regierung
reduziere. Michnik machte diese Bestechungsofferte jedoch umgehend
publik. Außer dem Überbringer des trüben Angebotes
wurde jedoch bislang niemand strafrechtlich belangt,
Premierminister Miller legte allerdings im vergangenen Jahr unter
massivem öffentlichen Druck sein Amt nieder.
Auch der zweite Fall belastet die linke Minderheitsregierung,
der heute der parteilose WirtschaftsexperteMarek Belka vorsteht.
Nach der Rücktrittsankündigung von Premierminister Leszek
Miller im April vergangenen Jahres, behauptete der ehemalige
Schatzminister Wieslaw Kaczmarek öffentlich, dass Andrzej
Modrzejewski, der damalige Vorsitzende des Mineralölkonzerns
PKN Orlen mit Staatsanteilen, auf Betreiben Leszek Millers und
mittels massivem Druck des Inlandgeheimdienstes UOP seinen Stuhl
räumen musste. Modrzejewski stand damals kurz davor, mit
J&S einen wichtigen Vertrag abzuschliessen. Dieser in Zypern
gegründeten russischen Firma, die eine Mittlerrolle zwischen
Öl exportierenden Firmen und Raffinerien spielt, wird jedoch
unterstellt, vom russischen Geheimdienst kontrolliert zu werden.
Russland ist mit seinen verbilligten Energiepreisen im Inland
dringend auf den Verkauf von Öl und Gas im Ausland angewiesen
und übt seit längerer Zeit entsprechenden Druck auf den
polnischen Energiemarkt aus.
Der reichste Mann Polens
Nach den öffentlichen Vorwürfen Kaczmareks wurde im
Mai ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss einberufen. Der
Ex-Schatzminister behauptete zudem, dass der damalige
Ministerpräsident Leszek Miller wie auch Präsident
Kwasniewski den Geschäftsmann Jan Kulczyk an die Spitze des
Aufsichtsrates von PKN Orlen setzen wollten, dem habe er sich
damals jedoch erfolgreich widersetzt. Kulczyk, der als reichster
Mann Polens gilt, hält zwar nur einen geringen Anteil der
Orlen-Aktien. Ihm wird aber ein weitaus größerer Einfluss
nachgesagt - Staatspräsident Aleksander Kwasniewski
gehört zu seinen Bekannten. Und auch Kulczyk selbst sagt sich
diesen Einfluss gerne nach. Anscheinend im Juli 2003 in Wien auch
gegenüber dem Ex-KGB-Agenten und Vertreter des russischen
Ölkonzerns
Lukoil Wladimir Alganow. Dort habe Kulczyk versprochen, ein Wort
beim "Ersten" für Lukoil einzulegen, was den Verkauf einer
staatlichen Raffinirie in Danzig betraf. Mit diesem "Ersten", so
die Meinung vieler Kommentatoren, könne nur der
Staatspräsident gemeint gewesen sein. Das Fürsprechen
Kulczyks war als Rekompensation gedacht: Alganow beschwerte sich
bei ihm, vor einem anderem Geschäft Schmiergelder gezahlt zu
haben, ohne danach bei Transaktionen berücksichtigt worden zu
sein. Seltsam ist nur, dass Kulczyk kein Interesse an einem zu
großen Einfluss der Russen auf dem polnischen Ölmarkt
haben kann.
Diese Konversation wurde jedoch vom polnischen Geheimdienst
verfolgt. Prekär ist, dass sich die Akten des
Inlandgeheimdienstes von denen des Auslandgeheimdienstes
unterscheiden: im Bericht des letzteren wird ausgerechnet
Schatzminister Kaczmarek als Adressat der Bestechung ohne
Gegenleistung genannt. Einer Konfrontation Kulczyks mit den beiden
Chefs der polnischen Geheimdienste wird darum in Polen mit Spannung
entgegen gesehen.
Allerdings sind die Erwartungen auf gründliche
Aufklärung des Interessenwirrwarrs eher gedämpft. Denn
der öffentlichkeitsscheue Geschäftsmann gilt als
gewiefter Fuchs, seine Befragung erwies sich bislang als wenig
ergiebig: im Oktober vermied er eine Anhörung durch
Aufenthalte in exklusiven Privatkliniken in den USA und
Großbritannien. Die Befragung selbst wurde schließlich
rasch abgebrochen, da Kulczyk nur in Anwesenheit seines
Rechtsbeistandes Rede und Antwort stehen wollte, was die Kommission
nicht erlaubte. Die Institution wird mit ihren Mitgliedern aus
teils nationalistischen Splitterparteien allerdings für weit
weniger seriös gehalten als ihre Vorgängerin. Viele ihrer
Mitglieder heben sich mehr durch politische Abschweifungen als
durch kluges Nachfragen hervor, besonders beliebt sind
Anschuldigungen, der Befragte sen in der Volksrepublik Polen ein
Denunziant gewesen.
Roman Giertych, Chef der populären nationalklerikalen
Partei "Liga Polnischer Familien" und zweiter Vorsitzender des
Ausschusses, steht wiederum selbst im Verdacht, Kulczyk darin
bedrängt zu haben, belastendes Material über den
Präsidenten zu liefern. Da er dabei nicht erfolgreich war,
will er nun den Inhalt der Akten des Inlandgeheimdienst SB
über 33 mögliche Zeugen des Vorgangs veröffentlicht
haben. Darunter der jetzige Präsident Aleksander Kwasniewski
und Premier Marek Belka. Damit stellte er die Kommission jedoch vor
eine Zerreißprobe. Anders als in der ehemaligen DDR zogen die
Aktivisten der Solidarnosc einen Schlusstrich unter die
Vergangenheit, verlangten keine Offenlegung der Akten wie in der
Gauck-Behörde. Doch Giertych will nun die Orlen-Affäre
nutzen, um mit dem "kommunistische Erbe" der Volksrepublik reinen
Tisch zu machen. Ein Ansinnen, dem die beiden konservativen
Parteien "Recht und Gerechtigkeit" und "Bürgerliche Plattform"
nicht wirklich Widerstand leisten: voraussichtlich im Juni stehen
Parlamentswahlen an, und unter den Rechtsparteien ist eine
Konkurrenz der "Themeninitiative" entstanden.
Anteile unter Wert verkauft
Doch die bedrängten Postkommunisten haben ein Gegenmittel:
eine dritte Untersuchungskommission, die demnächst berufen
wird. Grund sind die Ungereimtheiten bei der Privatisierung von
Polens größtem Versicherungskonzern PZU, was in die
Regierungszeit des konservativen Wahlbündnisses in den
Jahren1997 bis 2001 fällt. Anteile des Konzerns wurden an die
niederländische Versicherungsfirma Eureko weit unter Wert
verkauft. Auch sollen Gelder für einen konservativen
Fernsehsender abgezweigt worden sein.
Der polnische Fernsehzuschauer kann so demnächst an vier
Tagen in der Woche das Frage- und Antwortspiel von zwei
Kommissionen verfolgen. Dabei verspricht die Liste der neuen
Mitglieder einen großen, wenn auch zweifelhaften
Unterhaltungswert: mit von der Partie ist der radikale
Bauernführer Andrzej Lepper. Ihm bietet die somit garantierte
Fernsehübertragung die Möglichkeit, an seine einstige
Schlagzeilenpräsenz wieder anzuknüpfen.
Der Bühnencharakter der Kommissionen lässt sich nicht
vermeiden, Parteien auszuschliessen wäre rechtlich nicht
haltbar. Der politikverdrossene Bürger wird so in seiner
Abneigung gegen Politiker bestärkt.
Auf der anderen Seite haben die Parlamentarischen Kommissionen
in Polen bislang wichtige Ergebnisse geliefert und legen Zeugnis
einer wehrhaften Demokratie ab - im Russland des Wladimir Putin
jedoch wäre an eine solche öffentliche Untersuchung nicht
zu denken.
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