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Johannes Bergmann
Ein Frühling in Damaskus, der seltsame
Blüten treibt
Syrien entwickelt sich zu einem Land der
Gegensätze
Nach dem Regierungsantritt von Bashar al-Assad im August 2000
hatten Beobachter auf einen "Frühling in Damaskus" gehofft.
Doch von den ehrgeizigen Reformvorhaben des Präsidenten ist
nur wenig zu spüren. Während die Massen verarmen, erfreut
sich eine kleine Oberschicht an westlichem Luxus. Die Männer
im Caféhaus nahe des Souk al-Hamidiyye, des größten
Basars im Zentrum von Damaskus, sind sich einig: Mutig sei es, dass
die Iraker Widerstand gegen die amerikanischen Besatzungstruppen
leisteten. Und mutig sei es auch, dass ihr Präsident Bashar
al-Assad das genauso sähe.
Dieser hatte bei einem Treffen mit seinem Amtskollegen Muhammad
Khatami in Teheran erklärt, erst die Aufständischen im
Irak hätten mit ihrem Widerstand gegen die Besatzungstruppen
Amerika dazu gezwungen, dem irakischen Volk endlich ein Minimum an
Rechten zu gewähren. Mutig sei Bashar al-Assad deshalb, weil
doch kein Staatsmann im Nahen Osten sonst den Amerikanern Paroli
böte. Würden die irakischen Rebellen nicht täglich
ihr Leben im Kampf gegen die verhassten Amerikaner riskieren, meint
einer, wäre auch Syrien längst "befreit" worden.
Noch vor wenigen Jahren hätte kaum jemand in Syrien so
unverkrampft über Politik gesprochen, auch nicht, wenn diese
nur die Meinung des Regimes widerspiegelte. Seit dem Amtsantritt
des jungen Präsidenten vor vier Jahren ist der von vielen
prognostizierte "Frühling in Damaskus", der den Syrern
Meinungsfreiheit, Pluralismus und Demokratie bringen sollte, zwar
weitgehend ausgeblieben, doch scheint die Atmosphäre heute
unverkrampfter als zu Lebzeiten von Hafez al-Assad, der über
30 Jahre unumschränkter Herrscher des Levantestaates war.
Wirtschaftlich geht es trotz US-Sanktionen leicht bergauf mit
Syrien, seit dem Amtsantritt Bashars setzt die Regierung
verstärkt auf die Liberalisierung von Markt und Wirtschaft.
Zahlreiche Straßenprojekte, Hotelneubauten und
Großbaustellen wie die zum Wiederaufbau des alten
Hedjaz-Bahnhofs mit angegliederter Shoppingmall zeugen vom
Aufbruchswillen in Damaskus. Viele Geschäftsleute hoffen zudem
auf einen weiteren Schub der Privatwirtschaft, wenn die für
2010 in Aussicht gestellte Freihandelszone zwischen der EU und den
Mittelmeerländern, die den Austausch von Waren mit Europa
erheblich erleichtern würde, umgesetzt wird. Fast
vollständig sind inzwischen die alten Konsum-Läden in
DDR-Manier verschwunden, wo einheimische Waren preiswert zu
erstehen waren. An ihrer Stelle stehen hochelegante Läden mit
High-Tech-Produkten, die sich aber kaum jemand leisten kann.
Laptops, Fotohandys, Satellitenfernsehen und Mobiltelefone, gegen
die sich der alte Herrscher Hafez al-Assad jahrelang gestemmt
hatte, haben auch Einzug in Syrien gehalten. Beim Anblick modisch
gekleideter junger Männer, die ihre Haare mit Gel gestylt zu
Pferdeschwänzen nach hinten gebunden tragen, denkt man
unwillkürlich an die Jugend in Tel Aviv. Auch dort scheint
niemand ohne die obligatorische verspiegelte Sonnenbrille vor die
Tür zu treten.
Die riesigen Statuen und überdimensionalen Konterfeis des
Präsidentenvaters an den Hauswänden, wie sie auch Saddam
Hussein im Irak liebte, sind inzwischen weitgehend aus der Stadt
verschwunden. Der junge "Thronfolger" Bashar mag keinen
Führerkult. Seine Präsenz im Stadtbild von Damaskus ist
bescheiden. Angesichts der Spuren, die sein Vater in Form einiger
Denkmäler im Land hinterlassen hat, ist man geneigt zu fragen,
wer das Land überhaupt regiert, so wenig macht Bashar al-Assad
visuell auf sich aufmerksam.
Im Caféhaus schaut jedenfalls noch der alte Assad von
riesigen Wandbildern der 70er-Jahre auf die debattierenden
Männer herab. Diese machen sich gerne über Amerikas alten
und neuen "dummen Präsidenten" lustig und schimpfen über
das arrogante und brutale Vorgehen seiner Truppen im Irak. "Die
Araber behandeln sie doch bloß wie Vieh", empört sich
einer. "Was haben die Amerikaner für Unheil im Irak
angerichtet! Zwölf Jahre lang mussten unsere Brüder und
Schwestern dort unter dem Embargo leiden, zwölf Jahre bekamen
sie keine Medikamente und nicht genug zu essen." Spätestens
seit die Folterbilder irakischer Häftlinge aus dem
Gefängnis Abu Ghreib über die TV-Stationen in Syrien
ausgestrahlt wurden, ist die Stimmung aufgeheizt: "Bush hasst die
Araber, und Bush hasst den Islam...!", meint einer die Motive
amerikanischer Außenpolitik erkennen zu können.
Kein Wunder, dass der dynamisch wirkende Präsident Bashar,
der mit seiner Kritik an Israel und Amerika nicht spart,
populär beim Volk ist. Nach Israels Luftangriff auf ein
vermeintliches Ausbildungslager palästinensischer Extremisten
nahe der Hauptstadt im Oktober 2003 hatte der Präsident keinen
Zweifel daran gelassen, dass Syrien zurückschlagen werde,
sollte Israel die Grenzen überschreiten. Dass sich Israel zu
dem Attentat im Herbst 2004 auf Izzedin asch-Scheikh Khalil,
angeblich einem führenden Mitglied der Hamas in Syrien, nicht
öffentlich bekannt hatte, könnte mit dieser Drohung
zusammenhängen. Starke Töne kommen beim Volk an. Und auch
die Äußerungen über die Aufständischen im Irak
finden uneingeschränkten Anklang bei den Männern, wobei
diese zwischen Widerstand und Terror, den sie allesamt ablehnen,
sehr wohl zu unterscheiden wissen. Dass Syrien als "Schurkenstaat"
offiziell die Rebellen im Nachbarland unterstützen würde,
wie dies Iraks provisorischer Präsident Allawi behauptet
hatte, glaubt man indes nicht. Aber warum sollte man diejenigen,
die in den Irak gingen, um gegen die Besatzer zu kämpfen, auch
aufhalten, fragt einer der Männer im Café.
Kritik am Präsidenten, der die Politik Amerikas und Israels
anprangert, geziemt sich weder im Caféhaus noch sonst. Als ein
etwa sechs Jahre altes Mädchen ins Café kommt und die
Hände bettelnd aufhält, raunt einer der Männer:
Wichtiger als starke Reden seien Lösungen für die
Probleme im eigenen Land.
Und die wachsen seit Jahren. Mit dem Fall des Sozialismus, der
in Syrien offiziell zwar noch Programm, de facto aber tot ist, sind
die Preise dramatisch angestiegen. Zwar werden Grundnahrungsmittel
oder auch der öffentliche Nahverkehr subventioniert, doch bei
einem stagnierenden Durchschnittseinkommen von rund 100 Euro ist
alles andere, was das Leben lebenswert macht, für die
allermeisten zu teuer geworden.
Usama, ein Taxifahrer, erzählt, dass er mit seinem
Einkommen gerade auskomme, vorausgesetzt er verkaufe nach
Dienstschluss noch ein paar seiner selbstgefertigten Halskettchen
und Armringe. Sich selbst zählt er zu den Besserverdienenden,
zu einer Art "Mittelschicht", wie er meint, zu Leuten, die eben
nicht ganz arm seien. Doch Theater- oder Kinobesuche sind auch
für ihn und seine zwei kleinen Kinder nicht mehr drin. Das
Einkommen reicht gerade für das Nötigste: einfache
Mahlzeiten, Kleidung und Schuhe für die Kinder. Eine
Satellitenschüssel für den Fernseher hat er sich vor zwei
Jahren geleistet. Seitdem sieht er in seiner wenigen Freizeit die
unzähligen Seifenopern, die das arabische Fernsehen
ausstrahlt, und staunt über all die Waren, die in den
Werbeunterbrechungen angepriesen werden und eine schöne neue
Welt vorgaukeln: Mobiltelefone, Mikrowellen, einen schnellen
Internetzugang und dazu noch schnellere Autos. Alles ist in Syrien
jetzt zu haben, doch leisten kann er sich von den Errungenschaften
der westlichen Welt nichts.
Tatsächlich verschwindet in Syrien die Mittelschicht
zusehends. Mehr und mehr klafft die Schere zwischen arm und reich
auseinander. Während in den wohlhabenden Vierteln nicht selten
Porsche Boxster und Mercedes S-Klasse parken, sieht man nachts in
den ärmlichen Vierteln der Stadt Straßenkinder vor
Hauseingängen übernachten. Tagsüber betteln sie
Passanten an und putzen ihnen die Schuhe, eine Arbeit, die noch vor
wenigen Jahren ausschließlich Erwachsenen vorbehalten war.
Damals galt das als eine ehrenvolle Aufgabe, mit der man seinen
Lebensunterhalt gut bestreiten konnte. Anstatt zur Schule zu gehen,
laufen viele Kinder tagsüber mit einer Waage über die
Bürgersteige, in der Hoffnung, dass sich einer erbarmen werde,
für ein paar Cent sein Gewicht zu erfahren. Vor allem
Flüchtlingskinder aus dem Irak sind es, die so zum Unterhalt
ihrer Familien mit beitragen müssen. Aber auch ältere
Menschen gehören zu den Verlierern der neuen Freiheit und
Konsumwelt. Fast jeden Abend bietet eine alte Frau an einer der
verkehrsreichsten Straßen der Stadt ihre abgetragenen Kleider,
Bücher und Haushaltswaren zum Kauf an. Erst wenn es dunkel
wird, kommt sie zur "Straße der Revolution", wo schon andere
gleichaltrige Frauen stehen. Sie schämt sich, hier in der
Kälte ihre Habseligkeiten zu verscherbeln, aber von ihrer
bescheidenen Rente kann sie nicht mehr leben. Verkauft wird nur
wenig, denn die Konkurrenz ist groß. Noch billiger bieten
zumeist illegale Einwanderer aus den ehemaligen Sowjetrepubliken
ihre Waren an. Im christlichen Viertel Babtouma stehen sie oft die
ganze Nacht auf den Bürgersteigen und hoffen, sich ein paar
syrische Pfund verdienen zu können.
Zumindest nach außen hin wendet sich die Gesellschaft auch
zunehmend dem Islam zu, wie die Beliebtheit "islamischer Kleidung"
und das Tragen des Kopftuchs zeigen. Vor wenigen Jahren trug kaum
eine Frau den Schleier, heute ist selbst die Burka, wie sie in
Afghanistan getragen wird, keine Seltenheit. Kaum vorstellbar, dass
bis in die 70-er Jahre der Minirock in Syrien en Vogue war. Die
gewandelte Mode muss nicht unbedingt Ausdruck von Religiosität
sein, sondern dürfte pragmatische Gründe haben: Eltern,
die ihre Kinder "islamisch" kleiden, müssen sich nicht dem
Wettlauf um schickere Klamotten stellen. Mit knöchellangen
Mänteln ist man stets korrekt gekleidet.
Auch alkoholische Getränke wie der traditionelle
Anisschnaps Arak, der früher überall in den Restaurants
angeboten wurde, werden in der Öffentlichkeit kaum noch
getrunken. Softdrinks sind in, Arak und Whiskey bleiben den
Schurkenrollen in den zahlreichen TV-Seifenopern vorbehalten. Der
politische Beobachter Ghazi Hussein, ein in Deutschland
habilitierter Völkerrechtler, glaubt allerdings nicht, dass
der Islamismus in Syrien eine Chance hat. Zwar suchten heute mehr
Menschen Halt in der Religion, doch die Syrer seien für
islamische Parolen wenig empfänglich. Zudem seien die
Verfolgungen islamistischer Gruppen in den 80-er Jahren noch im
Gedächtnis der Menschen. Damals hatte Hafez al-Assad einen
Aufstand in der Stadt Hama blutig niederschlagen lassen. Trotz
einer im November 2001 erlassenen Amnestie für politische
Gefangene verbüßen laut "amnesty international" aber noch
hunderte Aktivisten von einst ihre lebenslangen Haftstrafen hinter
hohen Gefängnismauern. Dass Islamisten auch in Syrien
präsent sind, zeigen regelmäßige Ausweisungen vor
allem ausländischer Glaubenskrieger durch die syrische
Regierung. Auch die Besucher in den wenigen, staatlich
kontrollierten Internetcafés der Stadt klicken gern
islamistisch gefärbte Websites an. Im Zeitalter der
Globalisierung braucht es keine Jihad- oder Hamasvertretungen mehr,
die die Regierung auf Drängen Amerikas aufgelöst hatte,
um islamistisches Gedankengut zu transportieren.
Im Goetheinstitut erzählt eine Deutsche, die seit über
30 Jahren im Land lebt, dass die Entwicklung in Syrien vielen
Ausländern Angst bereite. Sollte es der Regierung nicht
gelingen, die zunehmende Verarmung breiter
Bevölkerungsschichten in den Griff zu bekommen, könnten
indes islamische Heilsversprecher auch im Levantestaat auf offene
Ohren stoßen.
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