|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Astrid Pawassar
Zusammenrücken gegen Neonazis
Sachsens Landtag will keine Bühne für
NS-Propaganda sein
Der Schock sitzt tief über den Eklat, den
die NPD vor gut einer Woche im Sächsischen Landtag
produzierte. Doch inzwischen haben sich die Gemüter etwas
beruhigt und es breitet sich Zuversicht aus, von Mal zu Mal mit den
Provokationen der Rechtsextremen besser fertig zu werden. "Was wir
hier machen, ist learning by doing", beschreibt SPD-Fraktionschef
Cornelius Weiss den Umstand, dass es dem Sächsischen Landtag
an Erfahrung mit aggressiv nationalistisch auftretenden Rednern
mangelt.
Das Landtagspräsidium war gleich nach
der Sitzung zusammengetreten, um über eine Reaktion auf die
provozierenden Äußerungen zu beraten. Die Reden der
NPD-Abgeordneten werden vom juristischen Dienst geprüft und
gegebenenfalls noch im Nachhinein vom Landtagspräsidenten mit
Ordnungsrufen belegt. Dies ist der noch vorherrschenden
Unsicherheit des Präsidiums bei der Anwendung von
Ordnungsmaßnahmen gegen die NPD geschuldet. "Die haben doch
einen Freibrief", meint Fritz Hähle, der langjährige
Vorsitzende der CDU-Fraktion und spielt damit auf den Schutz der
freien Meinungsäußerung von Abgeordneten
(Indemnität) an.
Tatsächlich hatte sich
Landtagspräsident Erich Iltgen (CDU) schwer getan, dem
schreienden Stakkato der NPD-Redner, das zuweilen von erregten
Zwischenrufen übertönt wurde, Einhalt zu gebieten. Nicht
provozieren lassen, keine Fehler machen, die von der NPD
propagandistisch ausgeschlachtet werden können, das ist die
Maxime, nach der das Landtagspräsidium verfährt. Niemand
hatte erwartet, dass die NPD sich so offen in die Karten blicken
lassen würde.
Die Weigerung der politischen
Rechtsaußen, an einer Schweigeminute für die Opfer der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft teilzunehmen, war
einkalkuliert. Das Landtagspräsidium und die anderen fünf
Fraktionen wollten sich nicht von der NPD vorführen lassen.
Sie kamen deren Antrag zuvor. Doch dass die NPD die Erinnerung an
die Bombenangriffe auf Dresden so unverhohlen zur
Geschichtsumdeutung im nationalsozialistischen Stil nutzen
würde, hatte niemand vorausgeahnt.
Seit Jahren hatte zwar der sächsische
Verfassungsschutz darauf hingewiesen, dass die NPD ihre Kräfte
im Freistaat bündelt und mit ideologisch und taktisch
geschultem Personal aus dem Westen der Republik verstärkt.
Auch dass der Landtag als Bühne für öffentliche
Auftritte der NPD zur Vorbereitung ihres Bundestagswahlkampfes
dienen soll, war einigen Parlamentariern bereits klar geworden.
Aber noch war man hauptsächlich damit beschäftigt, die
Finessen auszuloten, mit denen die zwölf rechtsextremen
Abgeordneten die Geschäftsordnung des Landtages für ihre
Zwecke nutzen wollen. "Wir haben ja aus DDR-Zeiten keine Erfahrung
mit Nazi-Propaganda", sucht Landtagsvizepräsident Gunther
Hatzsch (SPD) nach Erklärungen für das lähmende
Entsetzen im Landtag, "diese Worte mussten wir erst mal verdauen."
Als "Bombenholocaust" hatte der aus Westdeutschland nach Sachsen
importierte Jürgen Gansel die Bombardierung Dresdens im
Februar 1945 bezeichnet. Sein Fraktionskollege Holger Apfel,
ebenfalls ein Westimport, sprach von viel zu niedrig angesetzten
"Propagandazahlen" über die Dresdener Opfer eines
"kaltblütigen Massenmordes" der alliierten Truppen.
Um die erwarteten Provokationen der NPD nicht
durch eine umfangreiche Debatte aufzuwerten, hatten sich CDU, SPD,
FDP, Grüne und PDS darauf verständigt, nur einen Redner
für die Aktuelle Stunde zu benennen.
Alterspräsident Cornelius Weiss (SPD)
rügte die "in Goebbelscher Manier mit Schaum vor dem Mund
vorgetragenen Hasstiraden". Er rückte die historische
Reihenfolge der Ereignisse wieder zurecht, die zum Zweiten
Weltkrieg führten: "Zuerst brannten Bücher... nach den
Büchern brannte Guernica... die Synagogen... Die englische
Stadt Coventry... In den Krematorien der Vernichtungslager des
NS-Regimes verbrannten Millionen Juden, Sinti und Roma... Dann
kehrte das Feuer zurück." Weiss forderte, mit Entschiedenheit
jenen in den Arm zu fallen, "die schon wieder nach der Brandfackel
greifen".
"Wir müssen begreifen: Die NPD ist nicht
unser Gegner, sondern unser Feind. Wenn wir diese Leute nach
fünf Jahren wieder im Landtag haben, dann haben wir versagt",
beschreibt Cornelius Weiss heute die Konsequenz aus der
tumultartigen Landtagssitzung. Mehr Ordnungsrufe, auch die
Möglichkeit, Provokateure von den Landtagssitzungen
auszuschließen, müssten in Zukunft zum Einsatz kommen,
"und wir haben noch weitere wundervolle Möglichkeiten im
Köcher".
Auch CDU-Fraktionschef Hähle erwartet
ein stärkeres Zusammenrücken der anderen Fraktionen im
Landtag: "Es ist richtig, wenn wir so wenig wie möglich
über NPD-Anträge in Streit geraten." Unterstützung
statt Schuldzuweisungen wünscht sich Hähle von der
bundespolitischen Ebene ebenso wie von den Medien. Ein wenig mehr
Verständnis auch für die Zwickmühle, in der sich
nach dem Scheitern des NPD-Verbotsantrages vor dem
Bundesverfassungsgericht nun der Sächsische Landtag befinde.
Für ein neues Verbotsverfahren plädiert in Sachsen nur
die PDS, alle anderen Parteien halten eine politische
Auseinandersetzung mit der NPD für aussichtsreicher. Und
Cornelius Weiss hat schon ganz zur sprichwörtlichen
sächsischen Gelassenheit zurückgefunden und will sich von
den Provokationen der NPD nicht beeindrucken lassen. "Meine
Prognose ist, dass die sich selbst überleben, weil sie
lästig werden. Die Bevölkerung wird eines Tages fragen:
Haben die denn nichts anderes zu tun?"
Zurück zur Übersicht
|