Dieter Michel
Kaum Interesse am Volksentscheid
Sachsen-Anhalt: Keine Betreuung für alle
Kinder
Bei der Kinderbetreuung bleibt In Sachsen-Anhalt alles beim
alten. Der Volksentscheid zu diesem Thema ist mit einem klaren
Votum deutlicher als vermutet gescheitert. Das Volksbegehren zur
Kinderbetreuung (siehe "Das Parlament" Nr. 3/2005) verfehlte klar
die notwendigen Mehrheiten. Für Ministerpräsident
Wolfgang Böhmer (CDU) ist das Ergebnis eindeutig: "Wir haben
in Sachsen-Anhalt ein gutes Kinderbetreuungsgesetz, das Ergebnis
des Volksentscheids ist der Beleg dafür", sagte er nach der
Stimmenauszählung.
2,08 Millionen Wahlberechtigte waren am 23. Januar aufgefordert
worden, ihre Stimme für oder gegen ein Kinderbetreuungsgesetz
abzugeben, das das "Bündnis für ein kinder- und
jugendfreundliches Sachsen-Anhalt" in den Landtag eingebracht
hatte. Es sah künftig wieder den Anspruch auf einen
Ganztags-Betreuungsanspruch für alle Kinder unabhängig
vom Erwerbsstatus ihrer Eltern vor.
Ausgangspunkt: Anfang 2003 hatte Sachsen-Anhalts
CDU/FDP-Landesregierung mit den Stimmen der SPD einen Kompromiss
geschlossen, der eine Ganztagsbetreuung lediglich für Kinder
berufstätiger Eltern vorsieht. Die Kinder
Nichterwerbstätiger sollten dagegen nur fünf Stunden
täglich in Krippen oder Kindergärten betreut werden. Da
die Hauptzeit der Bildung und Beschäftigung ohnehin der
Vormittag sei, könnten alle Kinder soziale Kontakte pflegen
und lernen. Arbeitslosen Eltern aber müsste es möglich
sein, ihre Kinder am Nachmittag in der eigenen häuslichen
Umgebung zu betreuen. Dagegen argumentierte die Initiative mit
ihrem Gesetzentwurf: Alle Kinder sollten den gleichen Anspruch
haben, sollten ganztägig betreut werden.
Während die Landesregierung betonte, mit dem gültigen
Kinderbetreuungsgesetz ohnehin schon eine bundesweit einzigartige
Kinderbetreuung zu besitzen, sammelte die Initiative 260.588
Unterschriften dagegen und stellte im Landtag den ihrer Meinung
nach "besseren" Gesetzentwurf als direkten Bürgerwillen vor.
Mit der Volksabstimmung hatten die Sachsen-Anhalter nun die Wahl,
den neuen Vorschlag anzunehmen und damit das bestehende
gültige Gesetz zu kippen und sich so wieder für die
frühere Regelung zu entscheiden, allen Kindern einen
Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung zuzugestehen, oder
dagegen zu votieren.
Die Wähler haben entschieden: Statt der für einen Sieg
der Volksinitiative notwendigen 521.258 Ja-Stimmen (25 Prozent
aller Wahlberechtigten), wurden lediglich 331.913 erreicht. Im
Gegensatz dazu hatten 216.626 Wähler mit ihrem Nein deutlich
gemacht, dass ihrer Meinung nach das bestehende Gesetz mit
lediglich einer fünfstündigen Betreuung pro Tag für
Kinder von Nichtberufstätigen völlig ausreichend ist.
Damit hatten offensichtlich viele gezeigt, dass die Gesellschaft
nicht für alles verantwortlich sein könne und auch den
Eltern Pflichten obliegen.
Für Katrin Esche, Initiatorin und Sprecherin der
Volksinitiative, ist die Abstimmung "eine Enttäuschung, aber
wir erkennen das Ergebnis ohne Wenn und Aber an". Auch die PDS, die
die Initiative gemeinsam mit den Bündnisgrünen, den
Gewerkschaften und selbst den Kirchen unterstützt hatte,
zeigte sich vom Ergebnis der Abstimmung enttäuscht.
Was Wahlforscher schon am Abend nach der Abstimmung
aufschreckte: Lediglich 26,4 Prozent der Wahlberechtigten waren im
Land zwischen Elbe und Harz überhaupt zur Abstimmung gegangen.
Landtagspräsident Adolf Spotka (CDU) sagte, für ihn sei
wichtig gewesen, dass Befürworter und Gegner des
Gesetzentwurfs mobilisiert wurden. Somit habe sich, Spotka zufolge,
der Volksentscheid als politisches Instrument bewährt.
Nun bleibt das gegenwärtige Gesetz gültig. Ein
Ergebnis, das auch Finanzminister Karl-Heinz Paqué (FDP) mit
Interesse zur Kenntnis genommen haben mag: Bleibt ihm doch erspart,
im Landeshaushalt einen Betrag von rund 40 Millionen Euro, den der
neue Vorschlag gekostet hätte, durch Streichungen in anderen
Ausgabebereichen zusammen zu kürzen.
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