Eckhard Stengel
SPD und CDU haben Koalitionskrise schnell
gemeistert
Bremen: Misstrauensantrag wegen
Brechmitteleinsatz gescheitert
Das war Mord, Herr Röwekamp!" Wer am 26. Januar die
Bremische Bürgerschaft betreten wollte, musste an etwa 150
Demonstranten vorbei, die mit markig formulierten Plakaten den
tödlichen Brechmitteleinsatz der Polizei gegen einen
mutmaßlichen Kokainhändler anprangerten. Drinnen
debattierte das Landesparlament über einen Misstrauensantrag
der Grünen gegen Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) wegen
der Brechmittelaffäre. Erwartungsgemäß stimmte die
große Koalition weitgehend geschlossen gegen den Abwahlantrag.
Wenige Tage zuvor hätte noch niemand auf dieses Ergebnis
wetten mögen, denn da hatte sich das Bündnis gerade in
eine Krise hineinmanövriert.
Mehrere Streitpunkte waren zusammengekommen und hatten die
Koalitionslust der SPD deutlich gedämpft:
- Bau- und Umweltsenator Jens Eckhoff (CDU) hatte in der
Lokalpresse SPD-Senatskollegen kritisiert und für
künftige Wahlperioden auch ein Bündnis mit den
Grünen für denkbar erklärt. CDU-Landesparteichef
Bernd Neumann (MdB) rügte zwar sofort das "Schwadronieren"
seines politischen Ziehsohnes, aber die Sozialdemokraten waren
dennoch verschnupft über Eckhoffs "Absetzbewegung".
- Dann veröffentlichte die "tageszeitung" (taz) das
Protokoll einer CDU-Landesvorstandssitzung, aus dem hervorging, wie
die Partei mit dem drohenden Scheitern von Verhandlungen zwischen
Bürgermeister Henning Scherf (SPD) und dem Bundeskanzler um
weitere Finanzhilfen umgehen wollte: "Bernd Neumann erklärt
dazu, dass die CDU keinesfalls Überbringer dieser Botschaft
sein dürfe, sondern Scherf gezwungen werden müsse, mit
dieser Nachricht vor die Öffentlichkeit zu treten und damit
den Offenbarungseid zu leisten." Die SPD sah darin einen Versuch
des Koalitionspartners, sich aus der gemeinsamen Verantwortung zu
stehlen und "Schwarzer Peter" zu spielen.
- Und schließlich war da noch das Verhalten von
Innensenator Röwekamp nach dem Brechmitteleinsatz: Er
verließ sich unkritisch auf mangelhafte Polizeiinformationen,
wonach der Dealer seinen Zusammenbruch selber verschuldet hatte.
Außerdem erklärte der Senator den Brechzwang
zunächst für weiterhin "unverzichtbar" und meinte,
"Schwerstverbrecher" müssten nun mal mit "körperlichen
Nachteilen" rechnen. Die SPD zweifelte deshalb an seiner
rechtsstaatlichen Haltung und warf ihm vor, den Dealer-Tod wie
einen Betriebsunfall zu bewerten. Die Genossen wollten das
Gesundheitsrisiko dieser Prozedur nicht länger mittragen und
machten ihre Ablehnung des Grünen-Misstrauensantrages davon
abhängig, dass auch die CDU auf das notfalls gewaltsame
Einflößen des Brechsirups per Schlauch verzichtet.
Statt die Streitpunkte direkt mit der Union zu erörtern,
wählten SPD-Fraktionschef Jens Böhrnsen und sein
Landesvorsitzender Carsten Sieling einen ungewöhnlichen Weg:
Sie luden zu einer Pressekonferenz, auf der sie eine wenig
schmeichelhafte Bilanz der fast zehnjährigen Elefantenehe
zogen. Sie sprachen von "Lähmung" und "Lethargie",
erklärten die Haushaltssanierung für mehr oder weniger
gescheitert, warfen Eckhoff wie Röwekamp "Illoyalitäten
und Profilierungsgelüste" vor und stellten fest, in der
gegenwärtigen Verfassung sei der Koalitionssenat "nicht in der
Lage, die Herausforderungen zur Absicherung unseres Bundeslandes zu
meistern." Das Bündnis verliere seine Grundlage, wenn die
Union nicht zu einer "sachorientierten und gemeinsam verantworteten
Politik" zurückkehre, mahnten die SPD-Oberen.
Aber auch mit ihrem Genossen Bürgermeister gingen sie ins
Gericht. Scherf müsse "endlich Klarheit" schaffen, was aus den
Verhandlungen um die weiteren Bundesbeihilfen werden solle.
Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte im Juli 2000 den
rot-schwarzen Bremern einen Ausgleich für etwaige Nachteile
aus der rot-grünen Steuerreform in Aussicht gestellt - als
Belohnung für Bremens Zustimmung zur Reform im Bundesrat. Die
Hansestadt beziffert den nötigen Ausgleich auf mehr als 500
Millionen Euro, aber der Bund denkt bisher nicht daran, solche
Summen locker zu machen.
Scherf reagierte pikiert auf den Vorstoß der beiden
Spitzengenossen und nahm sich die beiden zur Brust. Drei Tage
später traf sich das Schlichtungsgremium des Bündnisses,
der Koalitionsausschuss, zu einer Krisensitzung. Nach drei Stunden
dann Entwarnung: SPD und CDU vertrugen sich wieder. "Wir haben uns
vorgenommen, den Umgang miteinander zu verbessern", sagte CDU-Chef
Neumann. Seine Partei kam dem Bündnispartner entgegen, indem
sie dem geforderten Ende des Brechzwangs zustimmte. Künftig
sollen Tatverdächtige, die nicht freiwillig Brechsirup
trinken, inhaftiert werden, bis etwaige verschluckte Drogenkapseln
per Stuhlgang ausgeschieden werden und sich so als Beweismittel
sicherstellen lassen.
Damit war für die SPD der Weg frei, sich bei der
Misstrauensabstimmung auf Röwekamps Seite zu stellen.
Vorsichtshalber drohte Scherf auch noch mit Rücktritt: "Bei
Thomas Röwekamp wird auch über mich entschieden." Am Ende
nutzten sieben Koalitionsabweichler die geheime Abstimmung, um doch
für die Abwahl zu votieren; ein weiterer enthielt sich. Das
lag aber noch im Rahmen des Koalitionsüblichen, so dass SPD
und CDU die erste Bewährungsprobe nach ihrer Krise für
bestanden erklärten. Die Grünen dagegen fordern jetzt
Neuwahlen: Rot-Schwarz sei mit seiner Sanierungspolitik gescheitert
und habe nicht die Kraft für einen Neuanfang.
In der Debatte ums Misstrauensvotum erinnerte die
Oppositionsfraktion daran, dass der Todesfall hätte vermieden
werden können, wenn die Bürgerschaft bereits 2001 einen
Grünen-Antrag zum Brechmittel-Stopp gebilligt hätte. Die
CDU konterte mit dem Hinweis, die Prozedur sei schon 1992 von der
rot-gelb-grünen Ampelkoalition eingeführt worden.
Einig waren sich alle demokratischen Parteien darin, dass sie
den Tod des mutmaßlichen Dealers bedauerten. Nur der
DVU-Einzelabgeordnete Siegfried Tittmann meinte: "Wer sich in
Gefahr begibt, der kommt darin um." Dieses "schwerkriminelle
Gesindel" habe "keine Würde" und verdiene "absolut kein
Mitleid". Ein Grüner warf ihm daraufhin vor, sich
außerhalb des Grundgesetzes zu stellen ("Die Würde des
Menschen ist unantastbar"). Er fügte hinzu: "Ich weise das
hoffentlich im Namen aller Kollegen entschieden zurück."
Dafür bekam er fraktionsübergreifenden Beifall.
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