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Karl-Otto Sattler
Peter Müller setzt den Rotstift an
Saarland: Massive Proteste gegen
Sparpolitik
Die Schließung jeder dritten Grundschule
und massive Kürzungen beim Theater mobilisieren eine ungeahnte
Welle von Bürgerprotest gegen die Rotstift-Politik von
CDU-Ministerpräsident Peter Müller. Angesichts der
Haushaltsnotlage will die Regierung hart bleiben. Die Opposition
sieht sich im Auftrieb.
Trommeln und Trillerpfeifen machen einen
Höllenlärm, ein Meer von Transparenten wogt durch
Saarbrücken, Parolen wie "Rettet die Grundschulen" oder
"Über den Schulen kreist der Schreier" springen ins Auge.
Kultusminister Jürgen Schreier, der sich auch blicken
lässt, schallt ein gellendes Pfeifkonzert entgegen. Ebenfalls
ausgepfiffen wird der CDU-Fraktionsvorsitzende Peter Hans, als er
ans Mikrophon tritt, Rufe wie "Pfui!" oder "Lügner"
ertönen. Kinder tragen Holzkreuze mit den Namen von
Grundschulen, die nach dem Willen der Regierung dichtgemacht werden
sollen. Viele Bürgermeister wie etwa Fritz Decker aus
Neunkirchen oder Hans-Heinrich Rödle aus Ottweiler haben sich
eingereiht, Mitarbeiter des Saarländischen Staatstheaters
(SST) marschieren mit. Sprecher von Elterninitiativen lassen an
Ministerpräsident Peter Müller und Schreier kein gutes
Haar, selbst die GEW-Bundesvorsitzende Eva-Maria Stange ist
angereist und zieht kräftig vom Leder. Gut 10.000 Leute sind
auf den Beinen, die größte Demonstration seit Jahren an
der Saar.
Die Manifestation dieser Tage markiert den
bisherigen Höhepunkt einer gewaltigen Protestwelle, die das
ganze Land erfasst hat und die sich gegen die von der CDU-Regierung
geplante Schließung von 90 Grundschulen zwecks Einsparung von
zehn Millionen Euro richtet. Betroffen ist ein Drittel dieser
Bildungseinrichtungen. Auch rund 100 Lehrerplanstellen sind
bedroht. Jörg Dammann, Vorsitzender der
Grundschul-Elternvertretung im Land, kündigt schon mal an, die
Demonstration sei "nur eine kleine Kostprobe" von dem, was noch
folgen werde.
In kurzer Zeit sind Dammann und Bernhard
Strube, der Sprecher unzähliger Elterninitiativen vor Ort, zu
populären Matadoren einer Volksbewegung avanciert. Ob in
Heusweiler, Rehlingen, Fechingen, Kleinblittersdorf oder wo auch
immer: Überall veranstalten Eltern mit ihren Kleinen im
Schlepptau, Gemeinderäte unabhängig vom Parteibuch sowie
Leute von der Feuerwehr und vom Fußballverein Fackelzüge,
Info-Stände und Unterschriftensammlungen. Motto auf vielen
Transparenten: "Die Schule muss im Dorf bleiben".
Lassen sich Dammann und Strube schon mal auf
einem Parteitag der Saar-SPD feiern, so müssen sich Peter
Müller und Jürgen Schreier an der Kulturfront eines
bildungsbürgerlichen Aufstands erwehren. Das SST soll bis 2009
rund 25 Millionen Euro und damit ein Viertel seines Etats
einsparen. Eine Spielstätte in Saarbrücken-St. Arnual
macht bereits dicht, Opernproduktionen werden gestrichen,
Programmhefte nicht mehr gedruckt, und das ist erst der Anfang.
Nicht nur die Theaterbeschäftigten unter Intendant Kurt-Josef
Schildknecht widersetzen sich den harten Einschnitten: Auch eine
"Bürgerinitiative Staatstheater" macht mobil - und an deren
Spitze stehen Staranwalt Egon Müller, Ex-Wirtschaftsminister
Werner Klumpp (FDP) sowie regional prominente Unternehmer. Egon
Müller sieht ein "Herzstück der Kultur im Land" bedroht.
Mehr als 100.000 Unterschriften wurden gegen das Spardiktat
gesammelt, unter der Parole "Zerschlagen: Nein!" zogen 1.000
Theaterleute und Sympathisanten mit einem Sarg zur
Staatskanzlei.
Proteste der Opposition
Opposition gegen den Rotstift bei
Grundschulen und beim SST, Landesbeschäftigte protestieren
gegen Gehaltskürzungen, zudem lehnt sich die Industrie- und
Handelskammer, ansonsten eher auf Seiten des CDU-Kabinetts, gegen
Erhöhungen der Gewerbesteuer auf: Die Saar ist aufgewühlt
wie seit Jahren nicht mehr. Fast entsteht der Eindruck, derzeit
hole das Land den Wahlkampf nach: Der verlief vor dem Urnengang am
5. September politisch eher flau, der Ein-Mann-Show Peter
Müllers konnte eine paralysierte SPD mit ihrem matt wirkenden
Spitzenmann Heiko Maas kein Paroli bieten.
Wenige Wochen nach dem haushohen Sieg aber
dekretierten Müller und Finanzminister Peter Jacoby angesichts
der Haushaltsnotlage ein rigides Sparprogramm, die unvorbereitete
Öffentlichkeit war konsterniert. Bei einem Etat von 3,3
Milliarden Euro für 2004 werden 800 Millionen neue Schulden
aufgenommen, das ist ein Viertel des Haushalts. Gekürzt werden
insgesamt 130 Millionen Euro. Maas geißelt einen "Wahlbetrug".
In der Tat ist das Gefühl verbreitet, bei der Wahl im
September von der CDU hinters Licht geführt worden zu sein.
Auf kaum einer Demo fehlt dieser Vorwurf. Die Union betont zwar,
auf die Notwendigkeit hingewiesen zu haben, angesichts der
Finanzsituation und der demografischen Entwicklung öffentliche
Aufgaben zu überprüfen und "in manchen Bereichen"
Leistungsangebote zurückzuführen. Doch dieser Hinweis
wurde, so er überhaupt erwähnt wurde, im Wahlkampf eher
versteckt. Von der Schließung jeder dritten Grundschule war
nie die Rede, das Staatstheater wurde gar nicht
thematisiert.
Gegen alle Proteste will die CDU,
ausgestattet mit einer absoluten Mehrheit, am Sparkonzept
festhalten. Fraktionschef Hans wirft Kritikern
"Realitätsverweigerung" vor, man werde "die notwendigen
Entscheidungen" treffen, und dies "ohne Angst vor denen, die
demonstrieren". Ministerpräsident Müller verteidigt das
Aus für die Grundschulen, dieses Erfordernis sei angesichts
sinkender Schülerzahlen und der Haushaltsnotlage
"unbestreitbar". Die Klassengrößen würden auch
künftig im Bundesschnitt liegen.
Indes erscheint offen, wie das große
Kräftemessen ausgeht. Auch manche CDU-Bürgermeister
begehren gegen die Schließung von Grundschulen auf - so etwa
der Völklinger Bürgermeister Klaus Lorig, und der ist
Präsident des Städte- und Gemeindetages. Den Kommunen
passt auch nicht, dass sie künftig die Kosten für den
Schülertransport zu entfernten Standorten tragen sollen.
Beifall findet Elternsprecher Dammann für seine Forderung nach
Runden Tischen auf Landes- und regionaler Ebene, an denen alle
Beteiligte nach Lösungen suchen sollen.
Vor allem aber gibt die Protestwelle der
Opposition Auftrieb. SPD, Grüne und FDP schlagen sich auf die
Seite der Betroffenen. Die größte Gefahr dürfte der
CDU-Regierung von dem Volksbegehren drohen, das die Initiative
"Rettet die Grundschulen" starten will. Heiko Maas unterstreicht,
die SPD werde diesem Vorstoß "jede nur mögliche
Unterstützung gewähren". Auch die Fraktionsvorsitzenden
Hubert Ulrich (Grüne) und Christoph Hartmann (FDP) sind
für ein Volksbegehren. Unabhängig von dessen Ausgang
hält eine solche Aktion auf jeden Fall über Wochen und
Monate den Widerstand gegen Müllers Rotstift-Politik
wach.
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