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Igal Avidan
Das wirtschaftliche Interesse des syrischen
Geheimdienstes am Libanon
Die Zukunft Libanons bleibt in den aktuellen
Auseinandersetzungen ungeklärt
Wie heißt der libanesische Botschafter in
Syrien? Die Frage mag etwas merkwürdig klingen, aber trotz der
sehr engen Beziehungen zwischen beiden Nachbarstaaten amtiert kein
libanesischer Botschafter in Damaskus. Vielleicht gerade deswegen.
Weil Damaskus den von Frankreich 1920 geschaffenen Libanon nicht
anerkennt, gibt es bis heute auch keine syrische Botschaft in
Beirut. Die anti-syrischen Demonstrationen in Beirut könnten
den Traum von Großsyrien, dem in Damaskus immer noch
nachgehangen wird, endlich begraben.
Wenn dies der Fall sein wird, könnten
Historiker immerhin den Anfang vom Ende der syrischen Besatzung des
Libanon genau datieren. Am 14. Februar wurde im Herzen Beiruts der
ehemalige libanesische Ministerpräsident Rafik Hariri bei
einem Bombenanschlag auf seine Fahrzeugkolonne ermordet.
"Hariri war der libanesische
Nachkriegspolitiker", sagt der Islamwissenschaftler und Politologe
Bernhard Hillenkamp, der in Beirut als Berater für
internationale NGOs arbeitet. "Nicht nur war er seit 1992 zehn
Jahre lang Ministerpräsident, sondern auch der Architekt des
Nachkriegs-Libanons. Das kann man im Libanon nur sein, wenn man
Politiker und reicher Unternehmer ist. Hariri war beides und konnte
daher mit seinen Geschäftskontakten - vor allem in
Saudi-Arabien und Frankreich - den Wiederaufbau des Landes
unterstützen. Für die Sunniten stellte Hariri das Symbol
und den Garanten dieser selbstbewussten religiösen Gruppe im
fragilen Staat Libanon dar."
Der Syrien-freundliche Präsident Lahoud
konnte im September 2004 sein abgelaufenes Mandat um drei Jahre
verlängern lassen, indem Syrien eine Verfassungsänderung
im libanesischen Parlament erzwang. Aus Protest trat Hariri als
Regierungschef zurück, und Marwan Hamada verließ das
Kabinett. "Seitdem wurden wir durch die Geheimdienste verfolgt",
sagte Hamada. "Sie wollen die libanesische Opposition brechen, wohl
wissend, dass wir gute Chancen auf einen Sieg bei den
Parlamentswahlen im Mai haben." Im Oktober 2004 wurde auf Hamada
ein Anschlag verübt, der jedoch scheiterte. Die Ermittlungen
zu diesem Attentat verliefen dermaßen schleppend, dass Hamada
nun lautstark eine internationale Untersuchung des Hariri-Anschlags
fordert.
Gleichzeitig wuchs im September 2004 der
internationale Druck auf Syrien durch die Resolution 1559 des
UN-Sicherheitsrats. In seltener Übereinstimmung setzten die
USA und Frankreich die internationale Aufforderung an Syrien durch,
alle Truppen aus dem Libanon abzuziehen. Je mehr das Land
versuchte, seine Kontrolle über den Libanon zu manifestieren,
desto häufiger musste Damaskus dafür Manipulationen und
Gewalt anwenden. "In der Zeit vor dem Attentat wurde viel von den
Verrätern in der Opposition geredet", erinnert sich
Hillenkamp. "Die anti-syrische Opposition trat mit Hariri sehr
geschlossen auf und brachte die libanesische Regierung in
Bedrängnis."
Wenn Syrien darauf spekulierte, dass gerade
aufgrund der instabilen Verhältnisse im Libanon die
Dis-kussion um einen Abzug seiner 15.000 Soldaten in Keim erstickt
würde, dann wurde es enttäuscht. Zwar fehlte der
Opposition nun die Galionsfigur Hariri, dafür
verständigten sich unerwartet Christen, Sunniten und Drusen
und forderten ein Ende der syrischen Besatzung im Libanon. Der
überraschende Rücktritt des sunnitischen
Ministerpräsidenten Omar Karame am 1. März 2005
stärkte die Opposition. "Wahrscheinlich trat Karame unter dem
Druck der libanesischen Armee und nach Beratung mit seinen
syrischen Freunden zurück", vermutet der libanesische
Herausgeber und Filmemacher Lokman Slim, ein aktiver
Oppositionelle. "Karame wollte dadurch eine Zuspitzung der
Situation und eine Debatte über das pro-syrische Regime im
Libanon verhindern. Die pro-syrischen Kräfte haben weiterhin
die Mehrheit im Parlament, und daher wird auch der neue
Ministerpräsident, der vom Präsidenten nominiert wird,
pro-syrisch sein."
Dass Karames Nachfolger ebenfalls ein Sunnit
sein muss, ist im libanesischen Proporzsystem aus dem Jahre 1942
fest verankert. Der Staatspräsident ist immer ein Christ, der
Ministerpräsident ein sunnitischer Muslim und der
Parlamentspräsident ein Schiit. Die Regierung besteht zur
Hälfte aus Christen und Muslimen, ebenso wie das
128-köpfige Parlament. Könnte Hariris Schwester seine
Nachfolge antreten und erste Premierministerin eines arabischen
Staates werden? Mit einer bewegenden Forderung nach Karames
Demission hatte sie die Parlamentsdebatte eröffnet, in deren
Verlauf der Ministerpräsident zurücktrat. "Aber erstens
ist die Familie Hariri noch in der 40-tägigen Trauerzeit, und
zweitens käme eine solche Nominierung für viele
verfrüht", sagt Hillenkamp. "Bei den letzten Parlamentswahlen
hing man zum Beispiel in konservativen Wahlkreisen nicht ihr Plakat
auf, sondern das ihres Bruders."
Für zusätzliche Spannungen im Land
sorgte die Ankündigung, der zurückgetretene libanesische
Ministerpräsident Omar Karame werde möglicherweise sein
Amt wieder übernehmen. Einer solchen "neutralen" Regierung
stimmt Staatspräsident Lahoud zu. Der oppositionelle
Drusenführer Walid Dschumblat erklärte bereits, dass eine
erneute Kandidatur Karames "wie ein weiterer Mord an Hariri"
wäre. Seine Forderungen an die Regierung sind klar: Die
Umstände von Hariris Todes müssen untersucht werden; die
Chefs der libanesischen Geheimdienste müssen
zurücktreten; Syrien muss einen Zeitplan für den
Rück-zug vorlegen.
Wann wird Lahoud, der Vasall Syriens, gehen
müssen? Syrien will eine Neuwahl des Staatspräsidenten,
wie es die UN-Resolution 1559 fordert, verhindern. Auch die
Forderung nach einer Auflösung aller Milizen, die sich auf die
schiitische Hisbollah bezieht, lehnt Syrien ab. Während die EU
den militärischen Arm der Hisbollah als Terrororganisation
auflistet, setzt Syrien je nach Bedarf diese Organisation gegen
Israel ein, ohne eine direkte militärische Konfrontation zu
riskieren. Da Iran Hisbollah-Pate ist, könnte Syrien seine
Truppen im Libanon durch iranische Revolutionsgardisten ersetzen,
die in der Hisbollah Dienst tun. Aus diesem Grund nannte Baschar
Assad in seiner Rede eine andere Grundlage für den syrischen
Rückzug: Nicht die UN-Resolution, sondern der Taif-Vertrag von
1989, der den libanesischen Bürgerkrieg beendet hatte, soll
demnächst als Basis für den Rückzug dienen. Im
Abkommen ist die Rede von einer einvernehmlichen Einigung zwischen
Syrien und dem Libanon, nicht von einem internationalen Ultimatum.
Außerdem ist in Taif festgelegt, dass Syrien seine Soldaten
nur bis in die ost-libanesische Bekaa-Ebene zurückziehen wird.
Dort sind ohnehin bereits zwei Drittel der syrischen Truppen im
Libanon stationiert. Ob die Truppen bis zu den Parlamentswahlen aus
dem Libanon vollständig abgezogen werden, ist
unwahrscheinlich.
"Die Diskussion um den Abzug ist nur ein
Nebenschauplatz", meint Hillenkamp. "Die syrischen Geheimdienste
haben große wirtschaftliche Interessen im Libanon. Durch ihren
Druck wurden syrische Unternehmen bei der Vergabe von
Aufträgen, vor allem im Baubereich, und von Lizenzen
bevorzugt. Auch am Menschenschmuggel waren sie beteiligt.
Jüngst wurde ein Ring entdeckt, der Kurden aus Syrien nach
Italien eingeschleust hatte." Nicht von ungefähr verlor Assad
in seiner Rede kein Wort über seine Geheimdienste, die in
Syrien viel Macht besitzen. Deren ehemaliger Chef im Libanon, Ghazi
Kanaan, ist syrischer Innenminister.
Die Wirtschaftsinteressen der
Geheimdienstoffiziere liegen nicht zuletzt im Drogenhandel mit
einem Umsatz von einer Milliarde Dollar jährlich. Auf Druck
der Amerikaner wurde vor zehn Jahren der Cannabisanbau in der
Bekaa-Ebene reduziert, dafür der Heroin- und Kokainhandel
verstärkt. Ein Rückzug aus dem Libanon würde den
Verlust der Gewinne aus den Drogengeschäften bedeuten.
Experten warnen bereits, dass ein Rückzug aus dem Libanon
einen finanziellen Kollaps Syriens auslösen könnte.
Paradoxerweise würde eine syrische Militärpräsenz im
Libanon die gleichen Folgen haben. Fast der gesamte Geldverkehr
Syriens läuft über die libanesischen Banken. Daher
könnten UN-Sanktionen den Geldfluss von und nach Syrien
unterbrechen.
Kein Wunder also, dass die Ermittlungen im
Fall Hariri nur schleppend verlaufen. Der internationale Druck
bleibt jedoch nicht ohne Folgen. Sogar die Hisbollah stimmt
inzwischen einer internationalen "fact finding mission" zu. Diese
soll lediglich die Frage beantworten, wie der Mord möglich
wurde und nicht, wer die Mörder oder Auftraggeber waren. Steht
zu befürchten, dass unter Druck geratene Geheimdienste wieder
zurückschlagen? "Dass die Augen der Welt auf den Libanon
gerichtet sind, könnte das verhindern", meint Hillenkamp. "Am
meisten ist zur Zeit Drusenführer Dschumblat gefährdet,
der immer wieder auf die Verstrickung der Geheimdienste hingewiesen
hat. Der radikale Politiker, der sich erst vor kurzem von Damaskus
abgewandt hat, meidet in diesen Tagen nicht nur sein dortiges Haus,
sondern auch Beirut und verschanzt sich in seinem Schloss in den
Schuf-Bergen.
"Im Libanon herrscht Konsens gegen die
Entwaffnung der Hisbollah, weil sie die Option eines bewaffneten
Widerstandes gegen Israel repräsentiert", sagt Hillenkamp. Die
militanten Schiiten, die Waffen aus dem Iran über Syrien
erhalten, genießen immer noch den Ruhm als "die Vertreiber der
Israelis aus dem Südlibanon". Die Hisbollah wiederum hat
absolut kein Interesse an einem Abzug der syrischen Truppen. Durch
eine pro-syrische Demonstration zeigten die Milizionäre ihre
Macht nach innen. Die Schiiten bilden nicht nur die
größte Minderheit (ein Drittel der Bevölkerung),
sondern sind auch die treuesten Anhänger Syriens. Durch den
Kampf gegen Israel und das soziale Engagement unter allen
Volksgruppen konnte die Hisbollah viel Sympathie gewinnen. Mehrere
tausend Hisbollah-Anhänger protestieren in Beirut gegen die
"ausländische Einmischung" in die libanesische Politik und die
UN-Resolution 1559. Manche hielten Bilder des syrischen
Präsidenten Assad in der Hand, große libanesische Fahnen
und Plakate mit der Aufschrift "Danke Syrien" oder "Nein zu
ausländischer Einmischung."
Solche Bilder braucht Assad zurzeit, umso
mehr, da der internationale Druck auf ihn wächst und seine
Isolierung innerhalb der arabischen Welt zunimmt. "Der nächste
Putsch könnte in Damaskus stattfinden", sagt Slim. Der
internationale Druck auf Assad könnte seinen Sturz durch die
eigene Armee herbeiführen. Damit wäre er nicht der erste
ausländische Politiker, der im libanesischen Sumpf seine
Karriere begraben musste.
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