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Bernd-Jürgen Wendt
Dolch und Kugel statt Diplomatie
Politischer Mord in der Geschichte
Am 28. Juni 1914 löste der serbische
Nationalist Princip mit der Ermordung des österreichischen
Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajevo eine verhängnisvolle
Kettenreaktion aus. Sie hätte nicht automatisch zum
großen europäischen Krieg führen müssen,
sondern hätte durch ein entschlossenes Dazwischentreten der
beteiligten Großmächte durchaus noch unterbrochen werden
können. Aber durch deren Unentschlossenheit, Halbherzigkeit
und Revanchelust schlitterte Europa dann doch in die große
Katastrophe.
Das Mordkomplott entwickelte sich, wie
Imanuel Geiss eindringlich nachweist, auf dem Nährboden eines
radikalen großserbischen Nationalismus, in dem wie in einem
Brennspiegel teilweise uralte Konfliktlinien bis 1914
zusammentrafen und sich gegenseitig dynamisch aufluden. In dem
allseits ungeliebten Mordopfer habe sich damals nach Geiss
gleichsam die ganze verfassungspolitische und
verfassungsstrukturelle "Ausweglosigkeit" Österreich-Ungarns
verkörpert.
Kann ein politischer Mord dem Gang der
Weltgeschichte eine neue, gar unerwartete Wendung geben? Das
spektakuläre Ereignis vom 28. Juni 1914 lässt Zweifel
aufkommen, wenn wir dem Ereignisablauf retrospektiv einen
zwingenden Automatismus unterstellen. Auch wenn es sich hier um
äußerst komplexe individuelle Vorgänge handelt,
denen wir fälschlicherweise oft ex eventu einen epochalen
Charakter zuweisen, hat der politische Mord doch einen hohen
politisch-historischen Stellenwert. Dies umso mehr, wenn er hier an
29 Beispielen von der Antike bis zur unmittelbaren Gegenwart so
fachlich kompetent, interessant und oft mit beachtlichem
kriminalistischem Spürsinn aufgearbeitet erscheint.
Die einleitend vom Herausgeber formulierten
methodischen und thematischen Vorgaben werden in den
Einzelbeiträgen konsequent berücksichtigt, so dass der
Sammelband in sich geschlossen wirkt: Hintermänner und Motive
eines Mordes, sein politischer, gesellschaftlicher und kultureller
Gesamtzusammenhang, seine Fanal- und Symbolwirkung und seine
mögliche "Botschaft", seine Reich- und Tragweite, die Rolle
des Individuums in der Geschichte und das Dilemma des Zufalls.
Kontrafaktisch gefragt: Welchen Zufällen hatte Hitler am 20.
Juli 1944 sein Leben zu verdanken und wie wäre die Entwicklung
nach einem Gelingen des Attentates verlaufen?
Besondere Aufmerksamkeit verdienen - auch
wegen ihres Symbolgehaltes - die Morde an Philipp II. von
Makedonien, an Cäsar, Wallenstein, Franz Ferdinand, Matthias
Erzberger, Mahatma Gandhi, John F. Kennedy, Martin-Luther King,
Hans-Martin Schleyer, Aldo Moro, Yizak Rabin und zuletzt Zoran
Djindjic. Jeder Beitrag vermittelt interessante Einblicke in das
politische und soziale Gefüge des Gemeinwesens, in dem die
Mordtat begangen worden ist, und in ihre
Zeitumstände:
Der Tod Philipps II. ebnete seinem Sohn
Alexander und damit dem Siegszug des Hellenismus den Weg. Die
Ermordung Caesars, obwohl geplant zum Schutz der Republik,
bereitete den Weg zum Prinzipat des Augustus. Das Attentat auf
Erzberger führte ebenso wie die Tötung Aldo Moros zu
einer zeitweiligen Solidarisierung der Demokraten, ohne den Blick
auf die tiefen politischen Strukturdefekte der Weimarer Republik
und Nachkriegsitaliens zu verstellen.
Gandhi wurde zum Märtyrer der indischen
Unabhängigkeit, dies aber zu einem Preis, den er so niemals
gewollt hatte. Die Ermordung Martin-Luther Kings brachte wichtige
Impulse für den Durchbruch der amerikanischen
Bürgerrechtsbewegung. Mit der Ermordung Kennedys , deren
Hintergründe und Motive wohl für immer in ein Geheimnis
bleiben werden, starb für viele Amerikaner ein
zukunftsweisender "American Dream". In Schleyer sollten das
kapitalistische System, bürgerliche Selbstgefälligkeit
und die Verweigerung der "Vätergeneration" getroffen werden,
sich rückhaltlos mit der NS-Vergangenheit
auseinanderzusetzen.
Rabin wurde als eine charismatische
Führungsgestalt der Aussöhnung mit den
Palästinensern von der Kugel eines jüdischen
Fundamentalisten getroffen. Der serbische Ministerpräsident
Djindjic erschien den Europäern nach Milosevic als eine
Lichtgestalt der serbischen Reformfähigkeit und war doch, wie
wir heute wissen, tief in die mafiosen Strukturen seines Landes
verstrickt.
Claus Leggewie reflektiert in anregender
Weise darüber, warum in einem säkularen
Transformationsprozess von einer "patriarchalischen Konstellation
der Politik in eine metaphorisch als Vaterlosigkeit zu deutende
Schwebesituation des Politischen" politische Mordanschläge
sich nicht mehr notwendig wie früher gegen herausragende
Herrscherfiguren richten, "sondern aus der Anonymität gegen
einigermaßen wahllos herausgegriffene Repräsentanten des
politischen Systems".
Michael Sommer (Hrsg.)
Politische Morde.
Vom Altertum bis zur
Gegenwart.
Wissenschaftliche Buchgesellschaft,
Darmstadt 2005; 280 S., 29,90 Euro
Der Autor ist emeritierter Hochschullehrer
für Neuere Geschichte an der Universität
Hamburg.
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