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Hans-Martin Schönherr-Mann
Der Bruder des Philosophen
Fritz und Martin Heidegger
Kann man über einen "kleinen Mann" schreiben? Schwerlich.
Die Geschichte würde niemand lesen, sowenig wie sich dessen
Fastnachtsreden in Buchform verkaufen ließen. Weil den
Berliner Literaturwissenschaftler Hans Dieter Zimmerman aber das
Leben der so genannten kleinen Leute interessiert, greift er auf
einen Trick zurück: Gelegentlich haben kleine Leute
berühmte Verwandte.
Es geht Zimmermann also primär um Fritz Heidegger, den
fünf Jahre jüngeren Bruder des bedeutenden Philosophen.
Daher versteckt sich die Biografie des Filialleiters der Volksbank
in Meßkirch nahe dem Bodensees in 27 einzelnen Abschnitten,
die nur ansatzweise chronologisch geordnet sind, sondern eher
kollagenartig ein Mosaik ergeben, in dem sich beider Leben, das
Leben des Bankbeamten - als diese noch nicht Banker hießen -
und das des Professors ineinander reflektieren.
Daraus entfaltet sich das halb romantische, halb realistische
Gemälde vom Leben in der südwestdeutschen Provinz in
finsteren Zeiten, gegen die sich der kleinstädtische
Bankangestellte konsequenter wehrte - und sei es in
mitreißenden Fastnachtsreden - als der Vordenker der
Seinsvergessenheit, der Kritiker des anonymen "man" mit dessen
Gerede, der Prediger der Gelassenheit als Antwort auf das rasende
Wesen der modernen Technik; vom Rektor der Universität
Freiburg mit dessen berüchtigter Antrittsrede, vom
NSDAP-Mitglied, der Hitlers Austritt aus dem Völkerbund
wortgewaltig unterstützte, ganz zu schweigen.
Die Sympathien des Autors gehören dem Bruder Fritz,
während er Martin sowohl als Mensch wie auch als Denker in ein
eher kritisches Licht taucht, das trotzdem auf knappstem Raum
erhellend in dessen Philosophie einführt und zugleich viele
Gedanken biografisch verständlich werden lässt. So
verkläre der Philosoph die ländliche Idylle seiner
Schwarzwaldhütte als Einbindung seines Denkens in das
Bodenständige des Bauerntums. Seine Abkehr vom Katholizismus,
der in Meßkirch dominierte, öffnete seine Philosophie
für nationale Träume, denen gegenüber sein Bruder
Fritz gut katholisch und resistent blieb; der erst 1942 in die
NSDAP eintrat - mit der Sorge um die Zukunft seiner Söhne
beschönigt Zimmermann diesen an sich nicht erbaulichen Akt -
und der schnell wieder rausgeworfen wurde, weil er beim
Hitlergruß die Hand nicht recht nach oben bekam.
Fritz Heidegger galt seinen Mitbürgern in der
Meßkircher Gegend als kauziges Original. Sein Stottern hatte
ihm das Studium und somit die Priesterlaufbahn verbaut, was ihn
indes nicht von publikumswirksamen Fastnachtsreden abhielt, die in
der Gegend berühmt waren. So wagte er 1937 den Satz: "Der eine
sieht am helllichten Tag Gespenster, der andere zittert vor dem
Schlag der Zeit und wieder ein anderer verwechselt die Volkswerdung
mit einem alten Kasernenhof. Die wunderbare Tatsache: Alles zieht
an einem Strick - und keiner traut dem anderen!"
Fritz Heidegger machte sich nicht nur seine eigenen Gedanken, er
schrieb auch vieles davon auf, was wahrscheinlich doch nie das
Licht der Öffentlichkeit erblicken wird - außer jenen
zitierten Sätzen in Zimmermanns Buch. Natürlich
können sie sich nicht mit der Philosophie seines Bruders
messen, auf die er jedoch zumindest einen gewissen Einfluss hatte.
Denn mit Beginn des Krieges sorgte sich Martin Heidegger um seine
Manuskripte und brachte sie weitgehend zu seinem Bruder nach
Meßkirch, der sie nicht nur in seiner Bank abtippte und
vervielfältigte, sondern der auch stilistisch eingriff und so
manchen Satz verständlicher machte, was der Philosoph
geschehen ließ.
Fast zuviel geht das Buch auf den berühmten Philosophen und
zuwenig auf dessen unbekannten Bruder ein. Ersatzweise schildert es
außerdem die Zeitgeschichte aus Meßkircher Perspektive,
so den Bombenangriff auf den Bahnhof im Februar 1945. Oder die
letzten Aktivitäten der mit den Deutschen verbündeten
französischen Kollaborateure zwischen Konstanz und
Sigmaringen, wo die Reste der Vichy-Regierung mit ihrem Führer
Petain residierten. Eine gelungene, nicht zu weit ausufernde
Geschichte aus der Provinz, auch der des Denkens, die gelegentlich
stilistisch holpert und manchmal pädagogisch zuviel
erklärt.
Hans Dieter Zimmermann
Martin und Fritz Heidegger - Philosophie und
Fastnacht.
Verlag C.H Beck, München 2005; 176 S., 17,90
Euro
Der Autor ist Essayist und Professor für Politische
Philosophie an der Universität München.
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