Karin Tomala
In beiden Völkern verblassen allmählich
die Hassbilder
Die schwierigen deutsch-polnischen
Beziehungen
Viele unterschiedliche Bücher sind in den letzten Jahren in
Deutschland wie in Polen über die deutsch-polnischen
Beziehungen erschienen. Der in Deutschland bekannte polnische
Streiter Wladyslaw Bartoszewski, der sich seit vielen Jahrzehnten
um die Aussöhnung der beiden Völker bemüht, 1986 den
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, hat nun ein Buch
über die schwierige Aussöhnung veröffentlicht.
Es ist eine besondere Publikation, autobiografische
Aufzeichnungen, die im Rahmen eines jahrelangen Projekts der
Polnischen Robert Schuman Stiftung in Warschau mit
Unterstützung der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart unter
Projektleitung von Ulrike Kindt entstanden sind. Vor uns liegt eine
spannende Lektüre mit einer Fülle von Informationen,
Geschichten, Anekdoten darüber, wie der Autor die
wechselseitigen Beziehungen persönlich erlebte, reflektierte
und auch versuchte, sie mitzugestalten.
Sein Leben hat er immer wieder dem Kampf gegen
menschenverachtende Politik gewidmet. Er half verfolgten Juden,
nahm am Warschauer Aufstand teil, saß jahrelang im
stalinistischen Polen für "antikommunistische
Aktivitäten" in Gefängnissen und wurde nach
Einführung des Kriegsrechts interniert. Bartoszewski
gehört zu den wahrlich faszinierenden Persönlichkeiten in
Polen, die Mut gezeigt haben für eine Sache, die in Polen zu
den "nicht einfachen" gehört, seine christliche Seele zu
öffnen.
Nach dem politischen Umbruch begann seine politische Karriere.
Besonders als Außenminister galt sein Engagement wieder der
Versöhnung. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, schreibt er
über die zwiespältige Vergangenheit der Aktivisten der
deutschen Minderheit in Polen, die dann in Deutschland groß
hofiert wurden. Erzählt wird auch, wie er als "Kurier"
für "Free Europe" unterwegs war.
Es ist alles spannend, was er zu berichten weiß. Dem Autor
fehlen selten passende Antworten, wenn er sich herausgefordert
fühlt. So beschreibt er eine Episode aus Anlass der Verleihung
des Friedensnobelpreises an Lech Walesa, als ihn der deutsche
TV-Korrespondent Klaus Bednarz fragte, ob die Folgen wohl andere
sein könnten, als damit beabsichtigt, da die Polen
bekannterweise doch unberechenbar seien. Die Antwort lautete "Herr
Bednarz, dass ich in diesem Land so wenige Jahre nach dem Zweiten
Weltkrieg von der politischen Unberechenbarkeit der Polen zu
hören bekomme, scheint mir doch sehr merkwürdig... die
Polen haben 1980 eine Friedensrevolution der ,Solidarnosc' ohne
Blutvergießen erlebt."
Die Erinnerungen sind natürlich keine wissenschaftliche
Aufarbeitung oder Analyse dieser für beide Seiten schwierigen
Beziehungsgeschichte. Doch sie erschließen dem aufmerksamen
Leser manche neue Details. Da Bartoszewski viele Jahre im
kommunistischen Polen als Publizist für katholische
Zeitschriften tätig war - hier sei vor allem die Krakauer
Wochenzeitschrift "Tygodnik Powszechny" erwähnt -, konnte er
sehr genau beobachten, wie die deutsch-polnische Problematik in der
katholischen Kirche Polens wahrgenommen wurde.
Deren Haltung war nicht eindeutig, sondern voller
Widersprüche. Sie reihte sich in die allgemeine offizielle
Rhetorik ein und sprach ständig von den "wiedergewonnenen
Gebieten". Kardinal Wyszynski brachte während einer Predigt im
August 1960 in Malbork seine Besorgnis zum Ausdruck, als er sagte:
"Ihr hört die Echos der Drohungen, die ein feindseliger Mensch
aus dem fernen Westen, machtgewiss und anmaßend gegen unser
Vaterland und unsere Freiheit erhebt" - eine Anspielung auf Konrad
Adenauer.
Diese Veröffentlichung ist ein neuer Ausschnitt im
Labyrinth der so komplizierten, vielfältig
widersprüchlichen politischen und gesellschaftlichen
deutsch-polnischen Beziehungen. Vor uns liegt ein sehr
persönliches, sehr schönes Buch, in dem die
deutsch-polnischen Beziehungen vor allem aus kirchlicher Sicht
beschrieben werden, die gewiss eine nicht zu unterschätzende
Rolle im Aussöhnungsprozess spielten.
Das Buch besteht aus fünf Kapiteln: Kapitel I 1945 - 1955 -
Ende der Naziherrschaft als Ausgangspunkt; deutsche und polnische
Vertriebene; kommunistische Machtübernahme in Polen. Kapitel
II: 1956 - 1968 - Erste Annäherungen - Rolle der Kirchen und
einzelner Persönlichkeiten. Kapitel III: 1969 - 1977 - Brandts
Entspannungspolitik, Helsinki-Prozess und dessen Auswirkungen auf
die polnische Opposition, "Aktion Sühnezeichen" und "Pax
Christi". Kapitel IV: 1978 - 1988 - Papstwahl und die Folgen,
Solidarnosc, Kriegsrecht, Friedenpreis des Deutschen Buchhandels.
Kapitel V: 1989 - 2000 - Wende in Polen und Mauerfall, vom
Professor zum Botschafter und Außenminister. Als Anhang wurde
Bartoszewskis Rede von 1982 anlässlich der Verabschiedung von
Reinhold Lehmann als Generalsekretär von "Pax Christi"
abgedruckt. Bibliografie und Personenregister runden das Buch
ab.
Trotz des auffälligen Titels erfahren wir leider recht
wenig von dem authentischen und auch verständlichen Hass der
Polen gegenüber allem, was deutsch war. Zwar lesen wir, dass
im allgemeinen Begriffe wie "Rache" oder "Vergeltung" abgelehnt
wurden. Doch manches hätte klarer formuliert werden
können. Fehlte es doch in Polen wie auch in anderen
europäischen Staaten nicht an solchen Tiraden wie: aus
Deutschland ein Arbeitslager machen, das "deutsche Lager" nach
Männern und Frauen aufteilen - oder Stimmen aus dem Posener
Westinstitut, alle 15 Millionen Mitglieder der NSDAP, SA und SS
aufzuhängen.
Gerade in "Tygodnik Powszechny" wurde 1948 vor dem Bazillus Hass
gewarnt. Doch es tut gut, dann zu lesen, dass angesichts eines
anderen, vereinten deutschen Volkes die negativen Wertungen
eigentlich zur Vergangenheit angehören sollten. Vergangenheit
muss in Polen immer noch aufgearbeitet werden, auch ethische
Fragen, so dass die neuen Zwiespältigkeiten hoffentlich nicht
erneut zu schmerzhaften Irritierungen führen und Emotionen
entladen werden, die der Versöhnung wahrlich nicht dienen.
Wladyslaw Bartoszewski
Und reiß uns den Hass aus der Seele.
Die schwierige Aussöhnung von Polen und
Deutschen.
Deutsch-Polnischer Verlag, Warschau 2005; 273 S., 19,90
Euro
Die Autorin arbeitet als Wissenschaftlerin und Publizistin in
Warschau.
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