Patrick Keller
Zwischen missionarischem Anspruch und
strategischer Wirklichkeit
Traditionslinien amerikanischer
Außenpolitik
Die entschlossene Außenpolitik der USA in den letzten vier
Jahre hat die Beobachter vor eine besondere Herausforderung
gestellt. Die Administration unter George W. Bush gestaltete eine
Politik, die für Freund und Feind klar erkennbar war und die
den jüngsten Reden des Präsidenten zufolge auch in den
kommenden Jahren Bestand haben wird. Viel ist geschrieben worden
über den Hang zum Unilateralismus und zur Selbstgerechtigkeit,
über die Rechtfertigung präventiver Kriege und die
missionarische Rhetorik zur Verbreitung von Freiheit und
Demokratie.
Dennoch bleibt die zentrale Frage unbeantwortet, wie sich diese
radikale Politik erklären und mit den Traditionen
amerikanischer Außenpolitik vereinbaren lässt. Ist es
eine revolutionäre Abkehr von diesen Traditionen, wie Ivo
Daalder und James Lindsay behaupten? Oder hat vielmehr John Lewis
Gaddis Recht, der in Präemption/Prävention,
Unilateralismus und Hegemonialstreben die wahren Traditionslinien
amerikanischer Außenpolitik und in George W. Bush einen
direkten politischen Nachfahren von John Quincy Adams erkennt?
Lothar Rühl ist einer der großen deutschen Kenner
amerikanischer Außen- und Sicherheitspolitik. Sein Buch bietet
eine Gesamtschau der amerikanischen Außenpolitik von ihren
Anfängen bis heute. Ausgehend von den geografischen und
historischen Vorbedingungen der "Neuen Welt" schildert er Schritt
für Schritt den Aufstieg Amerikas zur einzigen Weltmacht. Die
Erschließung des eigenen Kontinents, die Etablierung der
Dominanz über die westliche Hemi-sphäre durch die
Monroe-Doktrin, der Stepp-Schritt über den Atlantik und
schließlich die siegreiche globale Auseinandersetzung mit dem
Sowjetkommunismus werden routiniert nacherzählt.
Folgen des Irak-Krieges
Nach dieser Pflicht folgt die Kür in Form einer Analyse der
gegenwärtigen Position der USA im internationalen System,
insbesondere im Hinblick auf die Folgen des 11. September 2001 und
des umstrittenen Irak-Krieges. Während im ersten Teil also die
historischen Antriebsfaktoren amerikanischer Außenpolitik
aufgezeigt werden, fragt Rühl im zweiten, ob diese heute noch
Gültigkeit besitzen.
Im historischen Überblick gelingen Rühl viele
treffende Feststellungen. So beschreibt er die amerikanische
Politik als ein stetiges Streben nach "globalem Sicherheitsgewinn"
durch Ausdehnung des freiheitlich-demokratischen Modells. Die neuen
Weltordnungen von 1917, 1941 und 1991 sind markante Etappen auf
diesem Weg. In diesem Sinne waren die Vereinigten Staaten schon
immer eine revolutionäre Macht, die gegen den Status quo
aufbegehrte, aber gleichwohl realpolitischen Prinzipien
Priorität einräumte, wie die Analyse des neuen
Mächtegleichgewichts nach dem Zweiten Weltkrieg zeigt.
Insgesamt gerät die Darstellung der Kontinuitätslinien
allerdings zu unübersichtlich. Von der missionarischen und
manichäischen Rhetorik John Winthrops, Ronald Reagans und
George W. Bushs über Woodrow Wilsons berühmten "Vier
Freiheiten" bis zur Nixon-Doktrin und den Warnungen George
Washingtons kommen alle Leitmotive amerikanischer Außenpolitik
zur Sprache, aber deren stringentere Verknüpfung wäre
wünschenswert gewesen. Historische Skizzen und beispielhafte
Analysen ergänzen sich zu selten, sondern stehen meist
unverbunden nebeneinander - der Verzicht auf eine streng
chronologische Darstellungsweise vermindert die Nachvollziehbarkeit
der Argumente.
Dementsprechend schwierig gestaltet sich auch die Anwendung der
Traditionslinien auf die gegenwärtige Außenpolitik. Die
Spannung zwischen idealistischer Rhetorik und interessegeleitetem
Engagement im Nahen und Mittleren Osten entspricht demnach
bekannten Mustern, aber die Rigorosität und diplomatische
Schroffheit der gegenwärtigen amerikanischen Administration
bleibt in dieser Darstellung eine unerklärliche und
törichte Abweichung. Ratlos wie viele Beobachter fragt der
Autor, wie unter diesen Bedingungen die Zukunft des westlichen
Bündnisses gelingen kann: "Die Antworten sind unsicher und
spekulativ."
Bei aller Kritik an Stil und Inhalt der amerikanischen Politik
steht für Rühl fest, dass aus deutscher und
europäischer Sicht ordnungspolitisch selbst ein
übermäßig starkes, rücksichtsloses Amerika
immer einem schwachen, isolationistischen Amerika vorzuziehen ist.
Das ist für ihn eine der Lehren der Geschichte, die in diesem
belesenen und erfahrungssatten Buch deutlich werden. Wir
Europäer sollten es also immer noch mit Winston Churchill
halten: "Es ist Verlass darauf, dass die Amerikaner das Richtige
tun, nachdem sie alle anderen Möglichkeiten erschöpft
haben."
Lothar Rühl
Das Reich des Guten.
Machtpolitik und globale Strategie.
Klett-Cotta: Stuttgart 2005, 366 S.,19,50 Euro
Der Autor ist Doktorand am Seminar für Politische Wissenschaft
der Universität Bonn.
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