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Volker Kronenberg
Sektierertum und Massenbewegung
Nationalismus und Faschismus in vergleichender
Analyse
Das neue Werk des Hamburger Soziologen Stefan Breuer kommt zur
rechten Zeit. Genau 60 Jahre nach Ende jenes großen Krieges,
der wesentlich ein Konflikt der Weltanschauungen war, ist eine
erneute Analyse der ideologischen Strömungen im Kraftfeld von
Extremismus, Totalitarismus und liberaler Demokratie an der Zeit.
Zumal, wenn sie nicht durch Redundanz oder Neukompilation von
Altbekanntem, sondern durch Originalität auffällt.
Originell und den Interpretations-Mainstream provozierend sind
Breuers Arbeiten immer.
Dem Autor gelingt auf knapp 200 Seiten eine souveräne
Bilanz der bisherigen Nationalismus- und Faschismus-Forschung. Wer
sich mit den Interpretationen und Forschungstrends der
zurückliegenden Jahrzehnte auf diesem Gebiet vertraut machen
will, sollte zu diesem Buch greifen. Wie bei ihm gewohnt,
imponieren auch diesmal die Souveränität der
Argumentation und die Differenziertheit der meisten Urteile.
In zwei großen Kapiteln, einem einführenden
theoretischen und einem empirisch-konkreten über das jeweilige
Verhältnis von Nationalismus und Faschismus in Frankreich,
Italien und Deutschland sucht Breuer zwei gängige Annahmen
über "Faschismus" zu widerlegen. Erstens, dass es sich bei
diesem um ein primär ideologisches Phänomen gehandelt
habe, und zweitens, dass Faschismus die extremste Form des modernen
europäischen Nationalismus gewesen sei.
Beide Annahmen, so Breuer, hielten einer genaueren Analyse der
historischen Realität nicht stand. Gerade die zweite Annahme
habe dazu geführt, jene oftmals tiefgehenden Differenzen
sowohl innerhalb der einzelnen Faschismen als auch zwischen
denselben zu unterbelichten, "und dies, obwohl schon eine
oberflächliche Betrachtung die Frage aufwirft, was etwa der
sich auf Mazzini berufende Nationalismus der revolutionären
Syndikalisten Italiens mit dem völkischen Nationalismus der
NSDAP zu tun haben soll".
Die "Action française"
Erweitert man die Perspektive und bezieht die französische
"Action française" mit ein, so zeigt sich bei allen
Differenzen zwischen italienischem Normal- und deutschem
Radikalfaschismus doch die Verwandtschaft beider Bewegungen im
Unterschied zum französischen Rechtsnationalismus. War
letztere eindeutig auf der intellektuellen Ebene gelagert, so ging
es den faschistischen Bewegungen nie allein um Ideen und Doktrinen,
sondern stets auch um Emotionen, Affekte und strategische
Ziele.
Damit setzten sie sich über alles hinweg, was ins
Sektierertum hätte führen können, wie dies bei der
"Action française" der Fall war. Als elitistischem Zirkel
gelang es dieser von Charles Maurras geprägten Bewegung nie,
das Stadium des Sektierertums zu verlassen. Anders bei Mussolini
und Hitler, die aufgrund ihrer hohen ideologischen
Integrationskraft und rhetorischen Geschmeidigkeit unterschiedliche
Strömungen massenwirksam zu integrieren verstanden: seien es
die Syndikalisten, Nationalisten und Revisionisten in Italien,
seien es Völkische, Nationalisten oder Rassenaristokraten in
Deutschland.
Breuer akzentuiert die Feindschaft gegenüber dem
Kommunismus als das verbindende Wesensmerkmal aller faschistischen
Bewegungen und nationalistischen Bestrebungen An diesem zentralen
Punkt seiner Argumentation nähert sich der Autor - und nicht
nur hier - einer Interpretation des Faschismus an, die er an
verschiedenen Stellen des Buches zurückweist: derjenigen Ernst
Noltes. Breuer weist im Verlauf seiner stringenten Argumentation
manche Interpretation, stamme sie von Roger Griffin, Zeev
Sternhell, Stanley Payne oder Emilio Gentile, zurück -
sachlich begründet und konziliant im Stil. Nicht so im Fall
Noltes. Breuer vermittelt den Eindruck, eine tiefergehende
Behandlung dieses Autors, der vor 40 Jahren das Standardwerk im
deutschsprachigen Raum zum Thema Faschismus verfasst hat, sei der
Mühe nicht wert.
Anmerkung zu Nolte
Wie kann das sein? Bei aller Kritik, mit der man - Stichwort:
Historikerstreit - dem Spätwerk Noltes, seiner Theorie eines
ideologischen Bürgerkrieges von 1917 - 1945 und seiner
historisch-genetischen Totalitarismustheorie begegnen mag, gilt es,
zweierlei anzuerkennen: Erstens ist Nolte kein Revisionist, sondern
ein die Fachgrenzen überschreitender Quer-Denker. Zweitens
wird sein "Faschismus in seiner Epoche" von 1963 bis heute
international als wegweisende Deutung des Faschismus anerkannt:
Nicht nur, dass hier bereits ein Vergleich von "Action
française", italienischem Faschismus und deutschen
Nationalsozialismus vorgenommen und die Singularität der
nationalsozialistischen Judenvernichtung erstmals umfassend
begründet wurde. Vor allem wurde der Faschismus als
Anti-Marxismus eindeutig der politischen Rechten zu- und im
Koordinatensystem von Nationalismus, Rassismus und Expansionismus
eingeordnet, - lange vor Eric Hobsbawm, François Furet und
anderen Interpreten Anfang der 90er-Jahre.
Die Verbindung von Faschismus- und Totalitarismusforschung oder
der Versuch einer "transzendentalen Soziologie" des Faschismus,
harren seit 1963 ihrer Fortentwicklung - eine Chance, die Breuer,
der historisch forschende Soziologe, mit seiner wichtigen
Neu-Betrachtung desselben Phänomens nicht nutzen wollte.
Schade, dass er damit einem Mainstream folgt, dem er ansonsten so
souverän und gewinnbringend opponiert.
Stefan Breuer
Nationalismus und Faschismus. Frankreich,
Italien und Deutschland im Vergleich.
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005; 208 S.,
44,- Euro
Der Autor ist Privatdozent und Akademischer Oberrat am Seminar
für Politische Wissensachaft der Universität Bonn.
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