Gewalt gegen Frauen thematisieren
Interview zum Weltfrauentag und zur Lage der
Frauen in der Türkei
Fraktionsübergreifend haben die
Abgeordneten des EP in einer Resolution zum Weltfrauentag am 8.
März unter anderem die brutalen Übergriffe gegen
türkische Frauen auf einer Demonstration in Istambul
verurteilt. Die EVP-Abgeordente Angelika Niebler hat die
Türkei im Januar mit dem Frauenausschuss besucht.
Das Parlament: Wie beurteilen Sie die
Lage der Frauen in der Türkei?
Angelika Niebler: Es ist ein sehr
zwiespältiges Bild: ich erkenne an, dass es in der Türkei
Fortschritte zum Beispiel durch eine Verfassungänderung oder
die Änderung des Zivil- oder Strafrechts gegeben hat, aber die
Lebenswirklichkeit sieht anders aus: es gibt "Ehrenmorde", es gibt
Polygamie, Zwangsverheiratungen und Gewalt gegen Frauen in den
Familien und zwar nicht nur im Osten und Südosten des Landes,
sondern auch außerhalb der Großstädte. Insofern bin
ich skeptisch, was die Beitrittsreife der Türkei in die
Europäische Union anbelangt.
Das Parlament: Wie kann die Lage der
Frauen verbessert werden?
Angelika Niebler: Zentral ist der
Bildungsbereich, denn die Situation kann nur über
Aufklärung und Bildung verbessert werden und, da sieht es nach
offiziellen Statistiken schlecht aus: 25 Prozent der Frauen sind
Analphabetinnen. Viele Mädchen in der Türkei werden erst
gar nicht registriert. Die Bildung ist einer der
Schlüsselbereiche, da muss man ansetzen, sonst bewegt sich
nichts.
Das Parlament: Zurück zur Frage
der Gleichberechtigung der Frauen in der EU. Was gibt es hier
konkret zu tun?
Angelika Niebler: Die Europäische
Union hat in den letzten 40 Jahren unwahrscheinlich viel gemacht.
Ohne sie wären wir heute nicht soweit. Gerade der
Europäische Gerichtshof hat in Sachen Gleichberechtigung schon
fast revolutionäre Urteile gefällt. Momentan werden die
Antidiskriminierungsrichtlinien überarbeitet und als so
genannte Recast-Richtlinie zusammengefasst. Neben der legislativen
Arbeit setzen wir uns zum Beispiel in Gesprächen mit den
Sozialpartnern weiter für den Ausgleich des Lohngefälles
zwischen Männern und Frauen ein, denn noch heute differieren
die Einkommen unter den Geschlechtern zwischen 16 und 35 Prozent.
Sowohl die Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite sind
aufgefordert, sich zu überlegen,wie diese Ungleichheit
beseitigt werden kann.
Das Parlament: Laut Statistik hat jede
fünfte Frau in der EU schon einmal Gewalt erlebt. Was
können Sie auf europäischer Ebene dagegen
unternehmen?
Angelika Niebler: Wichtig ist, dass
das Thema aufgegriffen und nicht tabuisiert wird. Das Parlament
kann das Thema auf die politische Agenda setzen nicht nur am
Weltfrauentag. Es darf nicht sein, dass eine Frau Opfer von Gewalt
wird und sich dafür auch noch schämt. Wir müssen
für eine Sensibilisierung der Gesellschaft sorgen und das
Problem auch beim Namen nennen. Ich befürworte daher, das Jahr
2006 offiziell zum "Jahr gegen die Gewalt gegen Frauen" zu
erklären.
Das Parlament: Was wird in der
Europäischen Union getan, um betroffenen Frauen wirklich zu
helfen - außer mit Reden und
Absichtserklärungen?
Angelika Niebler: Das Europäische
Parlament setzt sich zum Beispiel dadurch ein, dass Mittel für
die sogenannten DAPHNE-Programme bewilligt werden. Mit diesen
Geldern, 10,2 Millionen Euro alleine im Jahr 2005, werden Projekte
zur Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen
unterstützt wie zum Beispiel die Betreung von Opfern und
Zeugen bei Menschenhandel. Hier können wir ganz konkret
helfen.
Das Interview führte Annette
Sach
Informationen zum DAPHNE II-Programm
unter:
www.europa.eu.int/comm/justice_home/funding/daphne/funding_daphne_en.htm
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