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Karl-Otto Sattler
Geschichten vom verregelten Völkchen
Heftig umstritten: Das
Antidiskriminierungsgesetz
Es brodelt in der politischen Hexenküche.
In Düsseldorf droht sogar eine Regierungskrise. Der grüne
Landesvorsitzende Frithjof Schmidt will "die Koalitionskarte
ziehen", sollte SPD-Ministerpräsident Peer Steinbrück im
Bundesrat gegen das Antidiskriminierungsgesetz stimmen: Dieses ADG
wird von den Fraktionen der SPD und der Grünen im Bundestag
betrieben, von Steinbrück aber als "zusätzliche Belastung
für die Wirtschaft" abgelehnt.
Wirtschaftsminister Harald Schartau, auch
Parteivorsitzender im Land, ruft die SPD-Bundestagsabgeordneten von
Rhein und Ruhr auf, das umkämpfte Projekt abzulehnen - ein
spektakulärer Vorgang. In Brandenburg hofft die CDU, die SPD
für ein Nein in der Länderkammer gegen das ADG zu
gewinnen: Potsdams Regierungschef Matthias Platzeck - "Wir sind ein
völlig verregeltes Völkchen geworden" - hatte zur besten
TV-Sendezeit gefordert, nur das in hiesiges Recht umzusetzen, was
die EU verlangt. So will es auch der Mainzer Kollege Kurt Beck. Zum
Ärger vor allem der Grünen gehen selbst
SPD-Bundesminister wie Otto Schily, Wolfgang Clement und Hans
Eichel auf Gegenkurs.
Steinbrück und Platzeck sind zu Jokern
in einem heißen Spiel avanciert: Votieren sie im Bundesrat
gegen das ADG, dann bringen sie zusammen mit den
Unions-Ministerpräsidenten eine Zwei-Drittel-Mehrheit zusammen
und damit das Gesetz zu Fall. Union und FDP schießen
krachendes Sperrfeuer gegen das ADG, das für die
CDU-Vorsitzende Angela Merkel ein "absoluter Jobkiller" ist. Ein in
der vergangenen Woche im Bundestag eingebrachter Antrag der
Unions-Fraktion fordert die Rücknahme der rotgrünen
Vorlage.
Die Befürworter sehen sich in der
Defensive. Die grüne Vorsitzende Claudia Roth verteidigt die
deutsche Ausformung der EU-Vorgaben als "pragmatisches, modernes
Gesetz". Krista Sager weist SPD-Vorwürfe als "diffus"
zurück: Die Fraktionsvorsitzende erinnert wie der
Parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck die Minister
Schily, Clement und Eichel daran, dass ihre Ressorts an der
Ausarbeitung des ADG-Entwurfs beteiligt waren. Bei der SPD wollen
Parteichef Franz Müntefering, Verhandlungsführer Olaf
Scholz oder der Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz am
Grundanliegen des Projekts festhalten. Eines aber steht schon fest:
In der jetzigen Fassung wird das ADG keine Gesetzeskraft erhalten.
Scholz, Volker Beck und andere Koalitionspolitiker erklären
sich zu Änderungen bereit. Claudia Roths Co-Parteivorsitzender
Reinhard Bütikofer: "Über alles kann man reden" - wenn am
Ziel, der Bekämpfung von Diskriminierung, nicht gerüttelt
werde.
Es herrscht helle Aufregung kurz vor
Toresschluss, und das verwundert auf den ersten Blick. Sicher, vor
der Wahl in Nordrhein-Westfalen wollen sich die Grünen mit
einem strikten Pro-Kurs profilieren, die Visa-Affäre Joschka
Fischers soll nicht alles überlagern. Und angesichts der
Massenerwerbslosigkeit möchte sich die SPD nicht dem Vorwurf
aussetzen, durch eine gegen die Wirtschaft gerichtete Linie
Arbeitsplätze zu gefährden. Der Urnengang an Rhein und
Ruhr wie das härter werdende Kräftemessen zwischen
Opposition und Koalition erklären den so unvermittelt
ausgebrochenen Fight um das ADG indes nicht im Kern. Vielmehr
musste irgendwann dieses Gewitter losbrechen: einfach deshalb, weil
das Gesetz über gravierende Änderungen des Arbeits- und
Zivilrechts tief ins Alltagsleben eingreift.
Seit Jahren ist absehbar, dass die
Bundesrepublik die Brüsseler Antidiskriminierungsrichtlinien
in nationales Recht transformieren muss. Doch eine breite
gesellschaftliche Diskussion dieses heiklen und hochkomplizierten
Themas fand nie statt. Das war die Sache von Fachpolitikern wie von
Interessengruppen, die sich auch jetzt fast unversöhnlich
gegenüberstehen: Wohlfahrtsorganisationen,
Behindertenverbände, Frauenassoziationen,
Ausländervertretungen oder Gewerkschaften machen sich für
das ADG stark, Unternehmer, Privatversicherungen, die
Wohnungswirtschaft oder die Gastronomie geben Contra, die Kirchen
lavieren. Zu den Kritikern zählen mit dem Deutschen
Richterbund und dem Deutschen Anwaltverein freilich auch
Institutionen, die nicht als Lobby agieren. Die Advokaten
dürfen sogar mit mehr Aufträgen rechnen.
Die Erörterung zentraler Fragen verblieb
weithin im Kreis innerer Zirkel. Was ist eigentlich
"Diskriminierung", wie wird das präzise definiert? Was kann,
was soll, was muss man gegen derartige Benachteiligungen tun?
Ziehen Gegenstrategien vielleicht anderweitig negative Konsequenzen
nach sich - vor allem dann, wenn die Bekämpfung von
Diskriminierungen kompromisslos selbst den letzten denkbaren
Einzelfall eliminieren will?
Die Crux des verfahrenen Streits um das ADG
wurzelt auch im seltsamen Verhältnis zwischen nationaler und
europäischer Politik. Vor fünf Jahren verabschiedete die
EU zwei verschiedene Richtlinien, die für das Arbeitsrecht und
das Zivilrecht auf differenzierte Weise Verbote für
Diskriminierungen verlangen. Dieses Brüsseler Recht hätte
bis Ende 2003 in allen Mitgliedsländern umgesetzt werden
müssen. Schon 2000 war zu beobachten, dass die EU-Vorschriften
öffentlich kaum registriert wurden, auch deren Ausarbeitung
zuvor spielte sich hinter den Kulissen ab. Dieses Phänomen
trifft auf weite Bereiche der EU-Politik zu, Ausnahmen wie etwa der
Dauerclinch um den Stabilitäts-pakt oder momentan der Kampf um
die Dienstleistungsrichtlinie bestätigen diese
Regel.
Nun heißt es: Brüssel fordert ein
Antidiskriminierungsgesetz. Dieser Eindruck ist falsch. Die EU ist
kein außerhalb der Bundesrepublik angesiedeltes politisches
Gebilde, das Berlin einfach so zu irgendetwas zwingt. Die
Brüsseler Politik ist nichts anderes als der politische Wille
der nationalen Regierungen, die mal im Konsens, mal per
Mehrheitsvotum entscheiden: Die haben nämlich im
Kräftespiel mit Kommission und EU-Parlament das letzte Wort.
Den Richtlinien von 2000 hat die deutsche Regierung jedenfalls
zugestimmt. Die Integration der EU-Vorgaben in hiesiges Recht ist
also das, was Berlin seinerzeit in Brüssel beschlossen hat.
Daran führt kein Weg vorbei.
Der innenpolitische Streit kreist in der
Substanz um die Frage, ob das ADG über das EU-Recht
hinausgehen soll oder nicht. Die Gegner, von denen sich nur bei den
Grünen keine finden, wollen es bei der Transformierung der
Brüsseler Richtlinien belassen, sozusagen eins zu eins. Die
Koalitionfraktionen haben die EU-Vorgaben indes genutzt, um einen
Entwurf mit viel tiefgreifenderen Verboten zu präsentieren:
Dies gilt vor allem für die Geltendmachung sämtlicher
"Diskriminierungstatbestände" im Zivilrecht, aber etwa auch
für die Ausweitung der Beweislastumkehr. Mit Diskriminierung
gleichgesetzt wird überdies eine "Belästigung" - die im
Gesetz nicht präzise definiert wird, sondern ziemlich
ausgedehnt interpretierbar ist. Das Draufsatteln war es, das
jahrelang eine Umsetzung der Brüsseler Regelungen verhindert
hat, die frühere Justizministerin Hertha Däubler-Gmelin
etwa galt nicht als Befürworterin eines solchen
Vorgehens.
Warum, fragen die Anhänger des ADG, soll
man im Zivilrecht, etwa bei der Vermietung von Wohnungen oder bei
der Überlassung von Hotelzimmern, weniger streng sein als in
der Arbeitswelt? Die grüne Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk
wendet sich dagegen, "Diskriminierungsmerkmale zu hierarchisieren".
Andererseits wird die Vertragsfreiheit tangiert, so die juristische
Kategorie: Arbeitgeber können nicht mehr frei über
Einstellungen befinden, Wohnungseigentümer nicht mehr frei
über Vermietungen und Wirte nicht mehr frei über den
Zugang zu ihren eigenen Lokalen entscheiden - zumindest wird diese
Freiheit massiv beschnitten.
In diesem Zusammenhang und im Blick auf die
rechtsstaatlich zweifelsohne fragwürdige Beweislastumkehr
steht auch der Vorwurf von Unternehmern, Wohnungswirtschaft und
anderen Kritikern, das ADG provoziere einen Wust an
Bürokratie: Man müsse von der Suchanzeige über das
Einstellungsgespräch bis zum Verlauf der Arbeitstätigkeit
wie auch beim Vermieten alles dokumentieren, um für den Fall
einer eventuellen Klage die "diskriminierungsfreie" Behandlung des
Betreffenden belegen zu können - weil eben in letzter
Konsequenz Arbeitgeber oder Hausbesitzer ihre Unschuld beweisen
müssen.
Der Verweis auf alltägliche Vorkommnisse
dient Befürwortern des ADG als Begründung für ein
über das EU-Recht hinausreichendes Gesetz. Da wird Behinderten
keine Ferienwohnung überlassen oder ihnen werden im Kino nur
Plätze in der ersten Reihe zugewiesen. Schwulen Paaren bleibt
ein Hotelzimmer versperrt. Ein Unternehmer stellt lieber einen
Deutschen als einen Ausländer ein. Ein Türke wird nicht
in die Disco eingelassen. Eine Deutsche erhält die Wohnung
doch nicht, als der Makler kurz vor der Unterzeichnung des
Mietvertrags von der schwarzen Hautfarbe ihres Freundes Wind
bekommt.
"Immer wieder", schreibt der Sozialverband
Deutschland, höre man von solchen Dingen. Das ist unstreitig
so. Wie häufig ist das aber der Fall? Bei einem Hearing im
Bundestag sagten auch Anhänger des ADG, Diskriminierungen
kämen nur selten vor.
Bei einer TV-Debatte kontert Renate
Künast den Alarmruf von Arbeitgeber-Präsident Dieter
Hundt wegen Bürokratie und drohenden Prozesswellen so: "99
Prozent der Unternehmen werden dieses Gesetz gar nicht lesen
müssen, weil sie gar kein Problem haben" - weil sie
nämlich das bereits jetzt existierende gesetzliche
Diskriminierungsverbot beachten. Diese Argumentation der
grünen Ministerin liefert freilich auch den Gegnern des ADG
Munition: Muss man, wenn die Untersagung von Benachteiligungen
rechtlich schon heute auf vielfältige Weise verankert ist,
noch über die EU-Richtlinien hinausgehen? Und rechtfertigt die
geringe Zahl von Diskriminierungsfällen die negativen oder
sogar kontraproduktiven Konsequenzen, die ein ins letzte Detail der
Lebenswirklichkeit eingreifendes Gesetz mit sich bringt?
Wenn Behinderten- oder Ausländergruppen
von unschönen Erfahrungen im Alltag berichten, so führen
die Kritiker des ADG ebenfalls viele praktische Beispiele an. Eine
Stellenanzeige wirbt um "Verstärkung für unser junges
dynamisches Team": Ist das nicht mehr machbar, weil Ältere
diese Formulierung bei einer Klage als "Diskriminierungstatbestand"
präsentieren können? Das umfassende
Benachteiligungsverbot soll bei Vermietungen nur fürs
"Massengeschäft" gelten, bei denen es nicht auf die einzelne
Person ankommt: Aber spielt dieser Aspekt nicht bei jeder
Vermietung eine Rolle? Wenn Hausbesitzer künftig einfach
Bewerber mit dem höchsten Einkommen nehmen, um so ein
objektives "gerichtsfestes" Auswahlkriterium vorweisen und
Vorwürfen einer Benachteiligung wegen Geschlecht oder
Nationalität von vornherein aus dem Weg gehen zu können:
Wird so nicht die soziale Auslese auf dem Wohnungsmarkt
verstärkt? Werden Betriebe zwecks Umschiffung von Ärger
mit "korrekten" Stellenanzeigen Mitarbeiter vermehrt unter der Hand
suchen? Werden Einstellungsgespräche nicht verkrampft
verlaufen, wenn Chefs penibel auf die Vermeidung von
Äußerungen achten müssen, die eventuell später
gegen sie verwandt werden könnten? Werden Arbeitgeber lieber
ganz auf übertarifliche Zahlungen verzichten, wenn solche
freiwilligen Leistungen nur noch "diskriminierungsfrei" erlaubt
sind?
Wie das Ringen um das ADG enden wird, ist
offen. Olaf Scholz deutet eine Befristung von
Klagemöglichkeiten an, um die Bürokratie
einzudämmen. Volker Beck meint, bei der Haftung von
Arbeitgebern für das Verhalten von Beschäftigten oder
Geschäftspartnern lasse sich was machen. Reinhard
Bütikofer sagt, über die Antidiskriminierungsstelle bei
der Bundesregierung könne man reden.
Möglicherweise geht aber alles viel
schneller als gedacht. Einer hält sich bislang aus dem Streit
heraus: der Kanzler. Gerhard Schröder gilt nicht unbedingt als
Freund eines ADG in einer über das EU-Recht hinausgehenden
Form. Diese Woche trifft sich der Regierungschef mit Angela Merkel
und Edmund Stoiber zum Wirtschaftsgipfel. Dort dürfte die
Unionsspitze auch das ADG auf Tapet bringen. Wenn dieses Treffen
einen Sinn machen soll, wird es wohl irgendwelche Annäherungen
und Kompromisse geben ...
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