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Peter Dudek
Faszination und Ernüchterung
Eine Geschichte der Hitler-Jugend
Nach den grundlegenden Arbeiten von Arno Klönne zur
Geschichte der Hitlerjugend (HJ) und zum Jugendwiderstand im
Nationalsozialismus, die bereits Ende der 50er-Jahre erschienen und
später vielfach erweitert wurden, gibt es nun eine weitere
kompetente Übersicht. Der kanadische Historiker Michael H.
Kater hat eine Geschichte der HJ vorlegt, die neue Perspektiven
eröffnet und zugleich an seine früheren Arbeiten zur
NSDAP und zur Jugendsituation in der Weimarer Republik
anknüpft.
Kater beginnt mit der öffentlichen Politisierung des
Generationenkonfliktes in der Weimarer Republik. Anfang der
30er-Jahre erfuhr der "Mythos Jugend" eine immense Politisierung;
es waren die Nationalsozialisten, die von Schlachtrufen wie jenem
Gregor Strassers "Macht Platz, ihr Alten" am meisten profitierten.
In dieser Perspektive und mit Blick auf die Geschichte der
bürgerlichen Jugendbewegung eröffnet Kater seine
Darstellung, die er in fünf Kapitel gegliedert hat.
Im Anschluss reflektiert er den Dienst in der Hitler-Jugend, den
Ausbau der Monopolstellung und die Uniformitätsbestrebungen -
immer auch mit Blick auf das Verhältnis von bündischer
Jugendbewegung und HJ sowie der Genese der HJ vor 1933. Im
nächsten Kapitel widmet Kater sich dann den Mädchen in
der HJ, also dem BDM, seiner Entwicklung, seinen
Erziehungsangeboten und seiner unbestrittenen anfänglichen
Attraktivität für viele Jugendliche - aber er geht auch
auf die besonderen Herausforderungen im Zweiten Weltkrieg ein,
denen die Jugendlichen ausgesetzt wurden.
Indoktrination
Kater fragt, welchen Zielen die HJ diente, wie die Organisation
funktionierte, wie das verzweigte Netzwerk der Indoktrination
entstand, warum Indoktrination auf die Zustimmung der
Indoktrinierten stieß und welche Rolle die HJ beiderlei
Geschlechts im Weltkrieg spielte. Seine Aufmerksamkeit gilt damit
den kollektiven Erfahrungen der zwischen 1916 und 1934 geborenen
Alterskohorten. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Kater darauf
verzichtet, eine chronologisch angeordnete Organisationsgeschichte
oder eine auf Ideologiekritik setzende Ideengeschichte der HJ und
des Erziehungssystems des NS-Staates vorzulegen. Sein
alltagsgeschichtlicher Ansatz greift Geschichten, Episoden,
Einzelbeispiele auf, die er geschickt mit einem narrativen
Schreibstil verbindet, um so aber auch übergreifende
Fragestellungen bearbeiten zu können.
Ähnlich wie Klönne richtet Kater dabei seinen Blick
auf die resistenten und oppositionellen Jugendlichen im "Dritten
Reich" und stellt hier vor allem Einzelfälle und regional
ausgeprägte jugendliche Protestgruppen in das Zentrum seiner
Beschreibungen. Mit ihnen verbindet er seine Analyse der
staatlichen Reaktionsmuster auf das nonkonforme Verhalten dieser
Jugendlichen und schildert ausführlich die Palette der
repressiven Maßnahmen des NS-Staates vorwiegend während
der Zeit des Krieges.
Katers flüssig und anschaulich geschriebenes, leider in
einigen Punkten nicht fehlerfreies Buch endet mit einem Kapitel, in
dem er über die "Verantwortung der Jugend" nachdenkt, die
Besatzungspolitik der Alliierten skizziert und sich kritisch mit
den politischen Einstellungen der westdeutschen Jugend nach 1945
auseinandersetzt. Dem kanadischen Historiker, der zu
Forschungszwecken viele Jahre in deutschen Archiven zugebracht hat,
ist es weitgehend gelungen, Einblicke in Psychologie und
Funktionsweisen der HJ sowie in die komplizierte Lebenssituation
Jugendlicher während der NS-Diktatur aus der Perspektive der
Täter und der Opfer zu ermöglichen.
Michael H. Kater
Hitler Jugend.
Primus-Verlag, Darmstadt 2005; 288 S., 24,90 Euro
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