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Robert Luchs
Aids ist wie ein Buschfeuer
Nur mit Prävention besteht noch Hoffnung
für Tansania
General Lupogo ist ein alter Kämpfer
außer Dienst. Aber als die Regierung in Daressalam erfahrene
Männer im Kampf gegen die Aids-Epidemie suchte, schickte sie
Hermann Lupogo aus dem Ruhestand noch einmal an die vorderste
Front. Heute ist der Haudegen Leiter der tansanischen
Aids-Behörde Tacaid und stellt im Frage-und-Antwort-Spiel mit
deutschen Journalisten unter Beweis, dass er mit leichtem Florett
ebenso umgehen kann wie mit schwerem Säbel.
Aids ein Produkt afrikanischer Kultur? Diese
Frage kommt ihm gerade recht: "Wie sieht es denn beispielsweise bei
Euch in Italien aus?" Da predige der Papst Enthaltsamkeit und lehnt
die Benutzung von Kondomen rigoros ab, zugleich würden ja wohl
zwischen Mailand und Neapel christliche Sittenstrenge und Moral
nicht gerade hoch gehalten. Und in anderen Teilen Europas? Da sehe
es auch nicht anders aus.
Lupogo reagiert empfindlich, weil er
weiß, dass Eu-ropäer dazu neigen, mit dem Begriff
"afrikanische Kultur" Verhaltensweisen zu umschreiben, die Aids
verbreiten helfen. Im Gegenteil, früher sei in den
Stammesverbänden streng darauf geachtet worden, dass es vor
der Ehe keinen Sex gegeben habe. Lupogo weiß aber auch, wie
realitätsfremd es ist, das Rad zurück-drehen zu wollen.
Heute komme es entscheidend darauf an, die Armut zu bekämpfen:
"Alles was der Lebensqualität dient, dient der Bekämpfung
von Aids." Listig erinnert Lupogo an den Blackout in New York, wo
neun Monate später die Geburtenrate nach oben geschnellt war.
"In Gegenden ohne Strom haben wir 365 Tage im Jahr solche
Blackouts." Das Ergebnis ist zu besichtigen.
1983 ist die Stunde Null in Tansania; damals
wurden die ersten Aids-Kranken behandelt. Seitdem hat sich die
Seuche rasant ausgebreitet, beginnend in den Städten, nun auch
in den ländlichen Regionen des 36 Millionen Menschen
zählenden ostafrikanischen Landes. Die durchschnittliche
Infektionsrate bei der Bevölkerung zwischen 15 und 49 Jahren
liegt bei sieben Prozent, wie eine in 2004 durchgeführte
Untersuchung ergab. Dass es in umliegenden Ländern erheblich
schlechter aussieht - von Malawi mit 14,3 bis Botswana mit 38
Prozent - ist kein Trost für die Tansanier.
HIV/Aids ist mittlerweile die
hauptsächliche Todesursache. Es wird damit gerechnet, dass die
Lebenserwartung auf 47 Jahre sinken wird - zehn Jahre weniger als
ohne Aids. Zwei Millionen Menschen sollen seit Ausbruch der
Epidemie zwischen Daressalam und Mbeya, zwischen Arusha und Masasi
gestorben sein. Gelingt es nicht, die Bugwelle der Epidemie zu
brechen, dann werden ihre Folgen kaum mehr zu bewältigen sein.
Die Familien in einem Land, das zu den ärmsten der Welt
gehört, sind nicht länger in der Lage, auch noch die
Kinder von verstorbenen Verwandten zu betreuen. Die Zahl der Kinder
und Jugendlichen unter 15 Jahren, die beide Elternteile verloren
haben, hat sich innerhalb von drei Jahren verdoppelt. Die Anzahl
der Waisen wird auf 1,5 Millionen geschätzt.
Statistiken können nicht das Leid
erfassen, das mit Aids verbunden ist. Da vor allem Jugendliche
betroffen sind, steht die Zukunft Tansanias auf dem Spiel. Gelingt
es, die Altersgruppe zwischen 14 und 24 frühzeitig zu
beeinflussen, sie über die Dimensionen der Katastrophe
aufzuklären, ihnen die Risiken des ungeschützten
Sexualverkehrs ebenso zu vermitteln wie vorbeugende Maßnahmen,
dann besteht noch Hoffnung für Tansania. Immerhin sind 93
Prozent der Bevölkerung noch nicht mit dem Virus infiziert.
"Um unsere Gesellschaft zu ändern, muss bei jedem Einzelnen
angefangen werden." General Lupogos Strategie ist zweifellos
richtig, doch auch er weiß, dass Tansania viel Zeit verloren
hat.
Bergis Schmidt-Ehry, der in Tansania im
Auftrag der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ)
die Aktivitäten im Bereich HIV/Aids koordiniert, ist davon
überzeugt, dass keine afrikanische Regierung das Ausmaß
der Epidemie rechtzeitig erkannt hat. Das gelte auch international,
da trotz entsprechender Signale aus der Fachwelt "die Problematik
der Epidemie lange heruntergespielt" worden sei. Nachdem
Präsident William Mkapa von einem nationalen Desaster
gesprochen habe, seien in Tansania energische Schritte zur
Eindämmung von HIV/Aids ergriffen worden.
400 Kilometer weiter nördlich. In Tanga
blitzt mich Donan Nichombe mit klugen Augen an. Ob er und seine
Klassenkameraden von den Lehrern ausreichend informiert werden
über die Gefahren von Aids, ob in der Schule über
Übertragungswege und Vorbeugung gesprochen wird? Der
14-Jährige antwortet prompt: Er sei derjenige, der seine
Lehrer "unterrichtet", sie korrigiert, wenn sie falsche Angaben
machten über Infektionsmöglichkeiten oder die
Auswirkungen von Aids.
Im Jugendzentrum "Novelty" nimmt Donan an
locker organisierten Diskussionsrunden teil, in denen er
umfassender über sexuell übertragbare Krankhei-ten
informiert wird als in der Schule. Das von der deutsch-tansanischen
Entwicklungszusammenarbeit unterstützte Zentrum bietet nicht
nur Diskussionen an, in einem kleinen Nebenraum finden auch
Beratungsgespräche statt. Hier geht es meist um HIV/Aids, aber
auch um Probleme mit den Eltern oder im Zusammenhang mit Drogen.
Neben einer kleinen jugendfreundlichen Klinik stehen außerdem
Computer zur Verfügung, die die Jugendlichen kostenlos
benutzen dürfen.
Als wir das Jugendzentrum verlassen, kommt
uns singend und tanzend eine Gruppe entgegen, die überwiegend
aus Frauen besteht. Mit fröhlichem Gesang holen sie uns ab und
begleiten uns zu einem von mächtigen Mangobäumen
umsäumten Platz. Nach einigen Rollenspielen, die wiederum das
Thema Prävention zum Inhalt haben, entwickelt sich schnell
eine Diskussion mit den freiwilligen Gesundheitshelfern, genannt
"Community Based Distributors" (CBD), also von den Gemeinden
gestützte Dienste. CBD werden in dreiwöchigen Kursen
darin ausgebildet, mit ihren Nachbarn (etwa 100 Haushalte)
über Familienplanung, sexuell übertragbare Krankheiten
und HIV/Aids-Prävention zu sprechen sowie Kondome und orale
Verhütungsmittel zu verteilen.
Diese Themen, mit denen in Europa zumeist wie
selbstverständlich umgegangen wird, sind vor allem auf dem
Lande ein Tabu. Entsprechend schwierig ist die
Aufklärungsarbeit der Gesundheitshelfer, die im Umkreis von
200 Kilometer in sechs Distrikten der Tanga-Region tätig sind.
Die Pille? Davon bekomme man Geschwüre im Bauch oder man
könne nie mehr Kinder gebären. Kondome? Diese seien
erstens nicht sicher und, so die auch von Heilern und
Medizinmänner genährte Fehlinformation, sie
übertragen Infektionen. Dass Kondome genau das Gegenteil
bewirken und gegen die Ansteckung der Seuche schützen, muss
den Dorfbewohnern in geduldiger Überzeugungsarbeit vermittelt
werden.
150.000 Kondome sind bisher pro 100
Gesundheitshelfer verteilt worden, was allein wenig über den
Erfolg aussagt. Das Wichtigste scheint zu sein, dass die Helfer
Menschen erreichen, die sonst keinen Zugang zu Informationen
über Verhütung und HIV-Prävention haben. Und das in
Gebieten, wo es heute immer noch vorkommt, dass Frauen, die den
Virus in sich tragen, aus der Familie und oft sogar aus der
Dorfgemeinschaft verstoßen werden. Dass es zumeist der eigene
Mann ist, der seine Frau angesteckt hat, spielt dabei keine Rolle.
Die Infektion wird von etwa 30 Prozent der schwangeren Frauen auf
die Kinder übertragen, die unbehandelt nicht lange nach der
Geburt sterben. Neben der Prävention sprechen die Helfer aber
auch über gesunde Ernährung, Durchfallerkrankungen und
über Schutz vor Malaria.
"Aids ist wie ein Buschfeuer, das unser Haus
bedroht. Aids ist aber auch tückisch wie die Schlange im
Busch." Im 900 Kilometer südwestlich gelegenen Mbeya
beschwört Tuli Mtatiro in eindringlichen Bil-dern die Gefahren
der Epidemie. Er ist Sprecher von Kihumbe, einer vor zwölf
Jahren mit Unterstützung der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit ins Le-ben gerufenen Selbsthilfegruppe.
Die Gäste werden mit stampfenden Tanzrhythmen und
fröhlichen Gesängen begrüßt, die nicht ahnen
lassen, dass viele in der Gruppe an Aids erkrankt sind. Schon bei
den ersten Klängen, die schnell in ohrenbetäubenden
Lärm übergehen, ist die starke Solidarität zu
spüren, die die Menschen trägt, die Kranke und Gesunde
miteinander verbindet.
Da sind zum einen die Waisenkinder, die von
Kihumbe aufgefangen werden. Nicht selten werden sie aus den
Hütten geholt, wo sie nach dem Tod ihrer Eltern noch unter
Schock und wie paralysiert gelebt haben. Die Gruppe begann ihre
Arbeit mit freiwilligen Helfern aus den verschiedenen Stadtteilen
Mbeyas, die chronisch Kranke aufsuchten. Heute unterstützen
sie vor allem Patienten, die mit lebensverlängernden
(antiretro-viralen) Medikamenten behandelt werden. Die Helfer
achten auf die regelmäßige und exakte Einnahme der
Mittel, wodurch sich der Kontakt untereinander festigt. Mehrere
Frauen von Kihumbe haben sich zusammengetan, um mit Töpfer-
und Webarbeiten zur Finanzierung der Selbsthilfegruppe
beizutragen.
Kihumbe ist ein Projekt, das Hoffnung
ausstrahlt. Eine Hoffnung, die den Kranken von Mbeya das Leben mit
Aids leichter ertragen lässt.
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