Henning von Löwis of Menar
Königsberg lebt - in Kaliningrad
750. Stadtjubiläum verbindet Russland und
Deutschland
Wieder einmal war er schneller - der Baron auf
seiner Kanonenkugel. Schon zehn Tage bevor Russlands Präsident
und Deutschlands Kanzler an den Pregel kamen, um Königsberg
zum 750. Geburtstag zu gratulieren, wurde im Zentralpark für
Kultur und Erholung - gleich neben der Luisenkirche - das Denkmal
für Karl Friedrich Hieronymus Freiherr von Münchhausen
eingeweiht.
Zweimal war der "Lügenbaron" zu
Lebzeiten in Königsberg: 1738 und 1750. Und der Legende nach
soll er Zechpreller gewesen sein - ein Bier nicht bezahlt haben.
Das brachte die Stadtväter von Bodenwerder, der Geburtsstadt
von Münchhausen, auf die Idee, die Rechnung zu begleichen,
Brücken zu schlagen an den Pregel - ins russische Kaliningrad
- und der Stadt zum Jubiläum ein Münchhausen-Denkmal zu
schenken: der Baron als Silhouette auf der berühmten
Kanonenkugel - eine Szene aus dem Krieg gegen die Türken, in
dem Freiherr von Münchhausen auf Seiten der russischen Armee
kämpfte.
Auf der Bodenplatte der zweieinhalb Meter
hohen Skulptur: zwei Namen für eine Stadt: Königsberg /
Kaliningrad. Der Blick durch die Silhouette: ein Blick vom Gestern
ins Heute.
Das Heute ist russisch - und wird von Tag zu
Tag russischer. Das Stadtjubiläum war eine Demonstration vor
der Welt, dass Russlands Westgrenze an der Ostsee nicht zur
Disposition steht. An diesem Ort habe Russland die ersten Kontakte
mit den Ländern Europas geknüpft, betonte Präsident
Putin. Hier habe sich Zar Peter der Große an der Spitze der
Großen Ambassade nach Europa aufgehalten. "Wir werden niemals
die Taten unserer Vorfahren vergessen, die mehr als einmal an
dieser Ostseegrenze die Interessen unseres Vaterlandes
glänzend verteidigt haben."
Der Kreml führte Regie beim
Stadtjubiläum. Moskau zahlte - und bestimmte die Musik,
verordnete das Motto: "750 Jahre Kaliningrad."
Ohne Putin wäre nichts gelaufen. Und
manche munkeln, Ehefrau Ljudmila, die aus Kaliningrad stammt, soll
letztlich dafür gesorgt haben, dass man 750 Jahre
Stadtgeschichte aufs Schild hob und nicht - wie einigen vorschwebte
- 60 Jahre Kaliningrad feierte.
Auch der Vorschlag, Lenin ausgerechnet jetzt
zu restaurieren - und rechtzeitig zum Jubiläum aus dem Verkehr
zu ziehen - soll aus dem Kreml gekommen sein.
So präsentierte sich denn das neue
Stadtzentrum am Nordbahnhof mit der fast 70 Meter hohen
marmor-weißen Christus-Erlöser-Kathedrale den Gästen
aus aller Welt ohne den ins Depot verbannten Lenin.
Der Revolutionär hätte sich wohl
auch schaudernd abgewandt angesichts des Andrangs der
Gläubigen bei der Einweihung des neuen Gotteshauses. Jene, die
keinen Einlass fanden, konnten die dreistündige Liturgie auf
riesigen Bildschirmen am Dom Sowjetow verfolgen.
Das Haus der Räte - die ewige Bauruine
im Herzen Königsbergs - hatte zur Feier des Jubiläums auf
einer Seite einen weißen Anstrich erhalten, auf der anderen
war sie mit einem riesigen Plakat zugehängt. Schließlich
sollte das "Monster" die Jubiläumsgäste nicht
verschrecken. Auch Präsident und Kanzler kamen ja hier vorbei
auf dem Wege zu Kant.
Immanuel der Große war d i e Hauptperson
beim Stadtjubiläum. Zwar erhielten auch die Könige am
Königstor ihre 1945 abgeschossenen Köpfe zurück,
doch im Mittelpunkt stand eindeutig Kant. Dem Philosophen
müssen die Ohren geklungen haben angesichts der Loblieder, die
auf ihn angestimmt wurden.
Als Russlands Staatsrat am 2. Juli in
Königsberg zusammentrat, klärte Wladimir Putin die aus
allen Regionen des Riesenreiches angereisten Politiker erst einmal
über den Ort des Geschehens auf: "Unser Treffen findet in der
Geburtsstadt des großen deutschen Gelehrten und
weltberühmten Philosophen Immanuel Kant statt." Kant habe in
seinen Werken stets die Bedeutung des Prinzips der Gewaltenteilung
in Staaten hervorgehoben. Diese Ideen hätten ihre
Gültigkeit bis heute nicht verloren, nicht nur für
Russland, sondern für alle Länder ohne
Ausnahme.
Kaliningrads Universität trägt
jetzt den Namen "Russische Staatliche
Immanuel-Kant-Universität". "Wir achten das Vermächtnis
des großen Aufklärers und Weltbürgers", so Wladimir
Putin bei der Enthüllung der Kant-Gedenktafel am
Universitätsgebäude. "Das verbindet uns mit unseren
deutschen Partnern."
Es war ein strahlender Sommertag, als der
russische Präsident und der deutsche Kanzler Immanuel Kant
ihre Reverenz erwiesen - Kaiserwetter in Königsberg mit
Wolkenschiffen, wie sie so nur am Himmel über Ostpreußen
segeln. Der alte Philosoph - mit Spazierstock und Dreispitz -
blickte von seinem Sockel wohlgefällig in die Runde. Und
Gerhard Schröder schien sich bewusst, dass er nicht
irgendeinen Ort in Russland besuchte an diesem Sonntag im Juli
2005. Diese Stadt, die heute Kaliningrad heiße, sie sei
für viele Deutsche "im Herzen immer Königsberg
geblieben".
Königsberg ist von der Landkarte
verschwunden. Doch Königsberg lebt - in
Kaliningrad.
Der Dom, der "greise Ordensmann" am Pregel,
er strahlt in neuem Glanz. Das Königstor - Symbol des
Stadtjubiläums - wurde endlich restauriert. Und wenn es nach
Wladimir Putin geht, soll das erst der Anfang sein. Er sei absolut
sicher, dass man Zug um Zug die gesamte Stadt und das
Königsberger Gebiet wieder aufbauen werde.
In diesem Punkt sind auch Russlands deutsche
Partner gefordert. So sehr man sich in Kaliningrad über ein
Denkmal für Münchhausen oder Ausstellungen der
ZEIT-Stiftung freut, es gibt viele Baudenkmäler, die darauf
warten, endlich restauriert zu werden. An Ideen mangelt es nicht in
Kaliningrad - sogar über einen Wiederaufbau des Schlosses wird
nachgedacht, doch Mittel und Möglichkeiten vor Ort sind
begrenzt.
Professor Vera Zabotkina, stellvertretende
Rektorin der Universität, wünscht sich viele
Jubiläen, um die Stadt auf Vordermann zu bringen. "Wir sind
stolz, dass wir Ruinen haben. Keine andere Stadt Russlands hat zum
Beispiel eine solche Militärarchitektur mit Katakomben und
Festungen. Königsberg existiert nicht mehr, aber wir glauben,
dass Königsberg in Zukunft existieren wird. Und wir versuchen,
Brück-en zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu
bauen."
Die Kant-Universität hat
Partnerschaftsverträge mit nicht weniger als zwölf
deutschen Universitäten abgeschlossen. Der Brückenbau
nach Westen ist für Russlands Insel im Meer der EU
lebenswichtig - überlebenswichtig. Für die knapp eine
Million Menschen zwischen Kurischer Nehrung und Rominter Heide ist
der wichtigste Bezugspunkt längst Europa, rückt Russland
- Kernrussland - in immer weitere Ferne. "Wir sind aus König",
sagen sie und hoffen, dass sie bald schon in ihrer Stadt Visa
für Reisen nach Deutschland erhalten werden.
Ein Gebäude für das deutsche
Generalkonsulat wurde nach langen Irrungen und Wirrungen -
pünktlich zu Stadtjubiläum und Kanzlervisite - gefunden.
Generalkonsul Cornelius Sommer wird sogar in einer Straße
residieren, die nach einem Deutschen benannt ist: in der
Thälmann-Straße…
Das Bier, das eigens zum Stadtjubiläum
auf den Markt kam, heißt übrigens "Königsberg 750".
Und auf der Flasche ist ausdrücklich vermerkt: "Nach dem
Reinheitsgebot aus dem Jahre 1516 gebraut."
Keine Frage: Königsberg lebt. Und es
wird nach 750 Jahren immer lebendiger. Daran vermögen auch
fünf goldene Zwiebeltürme einer orthodoxen Kathedrale
nichts zu ändern. Im Gegenteil, künden sie doch weithin
davon, dass die Zeit nicht stehen geblieben ist am Pregel, dass
Stalins Kriegsbeute Königsberg gute Chancen hat, um mit Kant
zu sprechen, wieder zu einem "schicklichen Platz" zu werden - "zur
Erweiterung sowohl der Menschenkenntnis als auch der
Weltkenntnis".
Ein Anfang ist gemacht. Das Königstor
weist den Weg - in die Zukunft von Königsberg.
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