Erik Spemann
Ambitionen und Stammesdenken
Bayern: Diuskussionen um eine mögliche
Stoiber-Nachfolge
Die Frage einer Neuwahl auf Bundesebene
elektrisiert die bayerische Landespolitik in besonderem Maße.
Unter der Prämisse, dass Ministerpräsident und CSU-Chef
Edmund Stoiber im Falle eines Unions-Sieges nach Berlin wechselt,
steht nämlich im Freistaat die Erneuerung der Regierungsspitze
an. Dabei sind einerseits die einzelnen bayerischen Stämme
eifersüchtig darauf bedacht, angemessen im Kabinett vertreten
zu sein. Andererseits sieht man in der CSU die Chance, bereits
jetzt Nachwuchskräfte für die Ära nach Stoiber zu
positionieren und sich zu verjüngen. Die Opposition wiederum
macht sich Hoffnung auf bessere Wahlergebnisse und letztlich auch
darauf, die seit mehr als vier Jahrzehnte allein regierende CSU
einmal vom Thron zu stoßen.
Landespolitische Themen geraten angesichts
dieser personellen Weichenstellungen fast in den Hintergrund. Am
meisten Beachtung fand noch das vor allem von der Opposition,
Erziehern und Kindergartenträgern abgelehnte Kinderbildungs-
und Betreuungsgesetz aus dem Haus von Sozialministerin Christa
Stewens, das nach einer 14-stündigen Marathondebatte erst kurz
nach Mitternacht mit CSU-Mehrheit verabschiedet wurde. Davor war
ein Volksbegehren gegen die überhastete Einführung des
noch lange nicht reibungslos funktionierenden G-8-Gymnasiums an
breiter Interesselosigkeit gescheitert.
Viel mehr bewegt die Frage, ob Stoiber bei
einem Wahlsieg ins Bundeskabinett eintritt und wer dann Nachfolger
in Bayern wird. Wenn es nach der Beliebtheit beim Wähler
ginge, hätte der aus Nürnberg kommende Innenminister und
stellvertretende Ministerpräsident Günther Beckstein (61)
die besten Karten. Doch der hat als möglicher künftiger
Bundesinnenminister eher eine Fahrkarte nach Berlin in der
Tasche.
Wenn Stoiber seinen mutmaßlichen
Favoriten durchbrächte, müsste nach allen
Überlegungen der Chef der Staatskanzlei und Vertraute des
Ministerpräsidenten, der Niederbayer Erwin Huber (58), die
Nummer Eins in Bayern werden. Doch der hat sich in der letztlich
darüber entscheidenden CSU-Fraktion viele Sympathien
verscherzt, als er bei seiner rigorosen Verwaltungsreform die
Abgeordneten immer wieder vor vollendete Tatsachen stellen
wollte.
So wurde bereits spekuliert, dass der hohes
Ansehen genießende und bei der Fraktion beliebte
Landtagspräsident Alois Glück aussichtsreicher Kandidat
werden könnte. Der Leiter der CSU-Grundsatzkommission und
langjährige Landtags-Fraktionschef, der bei großen Themen
immer wieder Stellung bezieht, ist soeben als Vorsitzender des
mächtigen oberbayerischen CSU-Bezirksverbands mit 97 Prozent
der Delegiertenstimmen wiedergewählt worden.
Nachwuchshoffnungen
Profil hat sich inzwischen auch der
mittelfränkische CSU-Bezirkschef und Fraktionsvorsitzende
Joachim Herrmann erworben, der als Glücks Nachfolger auf
diesem Platz der Staatskanzlei wiederholt diskret wie
hartnäckig ihre Grenzen aufgezeigt hat. Seit erst zwei Jahren
auf diesem Posten, käme eine Kandidatur des 48-Jährigen
für das Ministerpräsidentenamt derzeit aber noch zu
früh. Wer auch immer Stoiber nachfolgt: Im Rampenlicht werden
automatisch auch die Nachwuchshoffnungen der auf rechtzeitige
Verjüngung bedachten CSU stehen. Spätestens nach der
nächsten Bayernwahl 2008 werden sie eine größere
Rolle spielen.
Die bisher als chancenreichste
Anwärterin auf höchste Ämter gehandelte
Strauß-Tochter und zurück-getretene Kultusministerin
Monika Hohlmeier (43) freilich ist nach ihrer Verstrickung in die
Affäre um manipulierte Vorstandswahlen in der Münchner
CSU bis auf weiteres erst einmal aus dem Rennen. Ein
Untersuchungsausschuss bemüht sich seit Wochen um neue
Erkenntnisse. Hohlmeiers Nachfolger als Kultusminister, der aus dem
oberbayerischen Eichstätt stammende Siegfried Schneider (49),
zählt inzwischen ebenfalls zu den Hoffnungsträgern der
Partei. Doch muss er erst einmal seine schwierigen Hausaufgaben bei
der Reform des Bildungswesens machen.
Zur ersten Garde ambitionierter
Nachwuchspolitiker zählt seit neuestem der erst
40-jährige Europaabgeordnete Markus Ferber aus Augsburg. Die
Schwaben-CSU wählte ihn zu ihrem neuen Bezirksvorsitzenden,
womit er beste Aussichten hat, nach der nächsten Landtagswahl
ins Kabinett aufzurücken. Sein Karrieresprung ist ein Beispiel
für die häufig unterschätzte Eigenständigkeit
der CSU-Bezirksverbände. Als Schwaben-Chef hätte Stoiber
am liebsten seinen Innen-Staatssekretär Georg Schmid gesehen,
der dann aber knapp unterlag. Die Delegierten trauten ihm wohl
nicht unbedingt zu, schwäbische Interessen auch einmal gegen
Widerstände in München durchzusetzen. Auch die beiden
anderen Minister aus Schwaben, Josef Miller (Landwirtschaft) und
Beate Merk (Justiz), gelten nicht gerade als die mächtigsten
Mitglieder im Kabinett.
Dort gut vertreten zu sein, ist immer wieder
vorrangiges Ziel der oft miteinander konkurrierenden
Bezirksverbände der CSU. Dies um so mehr, da Oberbayern mit
der Region München stets mit dem üppigsten Wachstum im
Land glänzt und schnell Neider auf den Plan ruft. Zur
Stärkung der von Wegzug und Auszehrung bedrohten
nördlichen Regionen wie Oberfranken hatte der von dort
stammende Umweltminister Werner Schnappauf immerhin eine Dependance
des Umweltamtes aus dem schwäbischen Augsburg an Land ziehen
können. Den gleichfalls mit den Problemen der Randlage
konfrontierten Oberpfälzern gelang es, den Sitz der aus der
Forstreform hervorgegangenen Bayerischen Staatsforste für
Regensburg zu ergattern. Der bei Freising entstandene boomende
Münchner Flughafen strahlt inzwischen Wirtschaftskraft weit
nach Erwin Hubers Niederbayern aus.
Ein Ministerpräsident, der in Bayern auf
regionalen Proporz im Kabinett verzichten will, riskiert Ärger
und Lustlosigkeit in den übergangenen Bezirken - das aber
würde Einbußen bei den Wahlen bedeuten: Enttäuschte
Parteifunktionäre gelten als schlechte Wahlkämpfer. Die
jahrzehntelangen Erfolge der CSU als Volkspartei beruhen nicht
zuletzt auf der gelungen Einbindung aller ihrer Stämme. Das
dürfte sich auch unter einem Nachfolger Stoibers nicht
ändern.
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