Karl-Otto Sattler
Ganztagsunterricht wird dem "Ländle" zu
teuer
Baden-Württemberg: Viele Schulen und
Kommunen sind verärgert über die
Bildungspolitik
Annette Schavan ist stets um Seriosität und souveräne
Gelassenheit bemüht. Rhetorisch pflegt sie mit dem
geschliffenen Florett und nicht mit dem schweren Säbel zu
fechten. Zuweilen wird die Stuttgarter Kultusministerin aber auch
deutlicher: Als "unsinnig, falsch und böswillig" konterte die
CDU-Politikerin empört vom "Focus" erhobene Vorwürfe,
wonach Baden-Württemberg das "Sorgenkind" bei der Umsetzung
des milliardenschweren Ganztagsschulprogramms der Bundesregierung
sei.
Im Berliner Bildungsministerium moniere man, so das Magazin,
dass in Baden und Schwaben bei der Auswahl der vom Geldregen
begünstigten Schulen pädagogische Konzepte nicht im
Vordergrund gestanden hätten. Die dünnhäutige
Reaktion Schavans auf einen einzelnen Medienbericht kommt nicht von
ungefähr, trifft dieser Streit doch einen wunden Punkt der
Bildungspolitik im Südwesten: Bei der Ganztagsbetreuung an
Schulen nimmt das "Musterländle" republikweit nicht gerade
einen vorderen Rang ein.
Bei der Verteilung der Bundesmittel gingen 349 Schulen zwischen
Bodensee und Odenwald leer aus, weil der Baden-Württemberg
zustehende Finanztopf bereits ausgeschöpft ist. Er gebe "offen
zu", sagt Günther Oettinger, den Bedarf unterschätzt zu
haben. Der neue Ministerpräsident wird jetzt schon in seinen
ersten 100 Tagen von einem handfesten Konflikt heimgesucht: Viele
Kommunen, der Städtetag, die Opposition, Lehrerverbände
und selbst CDU-Politiker fordern eine Aufstockung des Programms mit
Landesgeldern - und dies bei einem ausgemergelten Etat.
Rund vier Milliarden Euro stellt die Bundesregierung zwischen
2003 und 2007 den Ländern im Rahmen des "Investitionsprogramms
Zukunft, Bildung und Betreuung" (IZBB) zur Verfügung, um den
Ganztagsunterricht auszubauen. Bei den einzelnen Projekten vor Ort
zahlt Berlin 90 Prozent der Kosten, zehn Prozent müssen die
jeweiligen Städte und Gemeinden übernehmen. 528 Millionen
Euro entfallen auf Baden-Württemberg.
Die CDU-Ministerin hat sich immer vehement gegen die Einmischung
des Bundes in Bildungsfragen als einer Domäne der Länder
gewehrt. So entschied man sich in Stuttgart bei der Verteilung der
Gelder für das eher formale "Windhundverfahren": Die Schulen
bekamen Geld in der Reihenfolge ihrer Anträge. 565 Schulen
bekamen bisher den Zuschlag. Allerdings wollten in diesem Jahr
weitere 349 Bildungseinrichtungen einen Ganztagsbetrieb aufnehmen;
sie hatten dafür oft viel Aufwand in pädagogische
Konzepte investiert. Diese Schulen schauen nun in die Röhre.
So ist es kein Wunder, dass man in vielen Rektoraten und auch in
zahlreichen Rathäusern sauer ist.
Das Hauptproblem sind nicht die Zuteilungskriterien; es ist
einfach nicht genügend Geld da. Mehrere hundert Millionen Euro
wären zusätzlich nötig, um auch die leer
ausgegangenen 349 Schulen in dieses Modell einzubeziehen. In dieser
Situation wird die Erinnerung wach an den Konkurrenzkampf zwischen
Oettinger und Schavan um die Teufel-Nachfolge: Dabei hatte
Oettinger in erster Linie mit seiner Wirtschaftspolitik, aber auch
mit der Zusage gepunktet, den Ganztagsunterricht zu
verstärken.
So bleibt es nicht aus, dass sich der
baden-württembergische Städtetag für eine
Aufstockung der Landesmitteln stark macht: Dies sei "dringend
notwendig", sagt Präsident Ivo Gönner, OB in Ulm. Der
Kommunalverband der Südwest-CDU bläst ebenfalls in dieses
Horn und plädiert für ein eigenes Landesprogramm.
Natürlich lässt sich auch die Opposition die Chance
nicht entgehen, Oettinger in die Enge zu treiben. Die SPD verlangt
eine mit 400 Millionen Euro ausgestattete Initiative, die je zur
Hälfte von der Landesregierung und von den Kommunen
aufgebracht werden sollen. Die SPD-Vorsitzende Ute Vogt wirft
Schavan "Politikverweigerung" vor, wenn sie lediglich auf den
leeren Fördertopf des Bundes verweise. Die Grünen mahnen
ein 100-Millionen-Landesprogramm an.
Doch weder die Kultusministerin noch der Regierungschef zeigen
sich bislang bereit, solchen Forderungen nachzukommen. Oetinger und
Schavan verweisen gleichermaßen auf die Finanzlage. In der Tat
ist der Haushalt auch im reichen Baden-Württemberg dramatisch
überschuldet, auf insgesamt 40 Milliarden Euro belaufen sich
die Kredite. Allein in diesem Jahr sollen wegen magerer
Steuereinnahmen 100 Millionen Euro zusätzlich eingespart
werden. Immerhin erhält Sozialminister Andreas Renner weitere
1,6 Millionen, um die Betreuung von Kleinkindern unter drei Jahren
in Krippen oder durch Tagesmütter auszuweiten. Aber für
Ganztagsschulen wollen Oettinger, Schavan und Finanzminister
Gerhard Stratthaus bisher nicht mehr zahlen.
Die missliche Finanzlage war Oettinger natürlich bekannt,
als er beim Kampf um den Einzug in die Villa Reitzenstein seine
Versprechungen für mehr Ganztagsunterricht machte. Die
Geister, die er rief, dürfte er so schnell nicht loswerden.
Immerhin hat der Ministerpräsident Gespräche mit den
Kommunalverbänden angekündigt, falls die Bundesregierung
ihrerseits die IZBB-Mittel angesichts der enormen Nachfrage nicht
noch erhöhen sollte.
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