|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Claudia Heine
Es gibt keine absolute Sicherheit
Diskussion um Gesetzeslage nach Londoner
Terror-Anschlägen
Nach den Terror-Anschlägen vom 7. Juli in
London ist auch in Deutschland erneut eine Debatte über die
Innere Sicherheit entbrannt. Zwar waren sich Regierung und
Opposition in der Bewertung der Sicherheitslage relativ einig:
Bundesinnenminister Otto Schily sagte am Tag der Anschläge:
"Es gibt einen weltweiten Gefahrenraum, in dem die Strukturen des
islamischen Terrors noch handlungsfähig sind." Dennoch
gäbe es keine Hinweis auf eine erhöhte Gefahrenlage
für die Bundesrepublik.
Auch Bayerns Innenminister Günther
Beckstein teilte diese Aufassung: "Es gibt keinen Hinweis auf
irgend einen bevorstehenden Anschlag, aber eine abstrakte Gefahr
ist offensichtlich gegeben", sagte der CSU-Politiker einen Tag nach
den Anschägen. Unterschiedlicher Aufassung waren die Parteien
jedoch in der Frage, welche politischen Reaktionen auf die Londner
Anschläge folgen müssten.
Nicht abstrakt, sondern ganz konkret
reagierten zunächst die deutschen Sicherheitsbehörden und
Verkehrsunternehmen noch am Tag der Anschläge. Die Berliner
Verkehrsbetriebe (BVG) erhöhten ihre Sicher-heitsvorkehrungen
in U-Bahnen, Straßenbahnen und Bussen, indem sie vorbeugend
die Sicherheitsstufe "gelb", die zweite von drei Stufen, ausriefen.
Mit dieser Maßnahme ist das Personal angewiesen, auf
herrenlose und verdächtige Gegenstände zu achten.
Außerdem wurden die Patrouillen des Sicherheitspersonals
ausgeweitet. Auch die Deutsche Bahn verstärkte ihre
Sicherheitsvorkehrungen. Auf Anordnung des Bundesinnenministeriums
wurde zudem die Polizei-Präsenz auf Flughäfen und
Bahnhöfen sowie die Überwachung der Grenzen
verstärkt.
Nicht umsonst steht der öffentliche Nah-
und Fernverkehr im Zentrum der Aufmerksamkeit der
Sicherheitsorgane. In London explodierten am vergangenen Donnerstag
Bomben in drei U-Bahnzügen und einem Buss. Sie rissen mehr als
50 Menschen (Stand: 8. Juli) in den Tod und verletzten über
700 schwer. Londons Polizeichef Ian Blair sagte jedoch am Freitag,
er gehe davon aus, dass die Gesamtzahl der Todesopfer auf eine
dreistellige Zahl steigen werde. Zwar trügen die Attentate die
Handschrift von Al Qaida, jedoch deute nichts auf einen
Selbstmordanschlag hin. Ein im Internet aufgetauchtes
Bekennerschreiben einer europäischen Al Qaida-Gruppe nehmen
die britischen Behörden "sehr ernst", bekräftigte
Innenminister Charles Clarke.
In der britischen Hauptstadt hatte man schon
seit längerem mit solchen Anschlägen gerechnet und sich
intensiv darauf vorbereitet. Ken Livingston, der
Bürgermeister, sagte schon vor Jahren, dies sei nur eine
"Frage der Zeit". In einer aufwendigen Übung hatte die Polizei
vor einigen Monaten ihr Vorgehen nach einem Anschlag auf die U-Bahn
geprobt. Entsprechend reibungslos und professionell verlief dann
auch der Ernstfall vom 8. Juli. Um eine Massenpanik zu verhindern,
verbreitete die Polizei zunächst das Gerücht, ein
Kurzschluss habe zu den Unglücken geführt.
Anschließend klappte das Zusammenspiel von Polizei und
Notdiensten, die Versorgung der Verletzten, die Räumung der
Straße nach einstimmigen Berichten perfekt. Damit konnte
jedoch nicht verhindert werden, dass in der Millionenmetropole, in
der täglich drei Millionen Menschen die U-Bahn nutzen,
zunächst Chaos ausbrach. Viele Pendler mussten zu Fuß zu
ihren Arbeitsstätten und auch wieder nach Hause laufen. Schon
am Freitag normalisierte sich der Zustand aber wieder.
Berlins Innensenator Erhart Körting
(SPD) bekräftigte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk,
auch in der deutschen Hauptstadt sei man auf eine solche
Anschlagserie sehr gut vorbereitet: "Wir haben dafür
Pläne. Wir haben Evakuierungspläne. Wir haben für
Großschadensereignisse oder auch für
Katastrophenereignisse das entsprechende Wissen. Das wird auch
geübt." Gleichzeitig lehnte er jedoch den Ruf nach
stärkeren Sicherheitsgesetzen ab, wie er insbesondere aus den
Reihen der CDU/CSU am Ende vergangener Woche laut wurde.
Körting kritisierte statt dessen, dass sich die Union bisher
geweigert habe, den Bundesnachrichtendienst und Teile des
Bundeskriminalamtes nach Berlin zu verlegen. "Man sollte erst
einmal damit beginnen, bevor man Bürgerrechte weiter
einschränkt, das organisatorisch zu machen, was machbar ist",
sagte der Politiker. Dazu gehöre die "Zusammenführung der
Dienste in der Nähe der Bundesregierung", um einen
ständigen Informationsaustausch zu
gewährleisten.
Den Informationsaustausch zwischen den
Behörden möchte auch die Union verbessern und
bekräftigte ihre Forderung nach einer Anti-Terror-Datei. Die
Einrichtung einer solchen Datei, in die die zuständigen
Sicherheitsbehörden ihre Informationen in Bezug auf
terroristische Aktivitäten einstellen und auf die auch alle
anderen Behörden Zugriff haben sollen, war jedoch erst
kürzlich am Widerstand der Koalitionsfraktionen im Bundestag
gescheitert. CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach betonte in einem
Zeitungsinterview: "Wir müssen jetzt Sicherheitslücken
schließen und dürfen damit nicht bis zur nächsten
Wahlperiode warten." Die Wiedereinführung der
Kronzeugenregelung zur Terrorismusbekämpfung forderte
Unions-Fraktionsvize Wolfgang Schäuble. Gleichzeitig betonte
er, islamische Bürger in Deutschland nicht unter
Generalverdacht zu stellen. Sie müssten aber mithelfen,
Terroristen zu finden, die sich hinter dem Islam
versteckten.
"Wir sollten jetzt nicht Aktionismus
verfallen", sagte dagegen der innenpolitische Sprecher der
SPD-Fraktion Dieter Wiefelspütz. Es gebe keine Lücken in
der Gesetzgebung. Ex-Bundesjustizmisterin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) betonte: "Ich sehe nicht, dass
man aus diesen schrecklichen Ereignissen Gesetzgebungsbedarf
ableiten kann."
Wie in fast allen europäischen Staaten,
so schnürte auch der deutsche Innenminister Schily nach den
Anschlägen auf das World-Trade-Center am 11. September 2001
umfangreiche Gesetzes-Pakete zur Terrorbekämpfung, die von
Menschenrechtsgruppen als Einschränkung elementarer
Bürgerrechte kritisiert worden waren. Das Sicherheitspaket I
machte es mit dem neu ins Strafgesetzbuch eingefügten
Paragrafen 129b möglich, in Deutschland lebende Mitglieder und
Unterstützer ausländischer Terrorgruppen zu bestrafen.
Außerdem wurde das Religionsprivileg abgeschafft, das
extremistische Religionsgemeinschaften vor dem Verbot
schützte. Mit dem zweiten Sicherheitspaket wurden die
Kompetenzen der Geheimdienste, des Bundskriminalamtes (BKA) und des
Bundesgrenzschutzes (BGS) gestärkt. BGS-Beamte können zum
Beispiel in Flugzeugen als so genannte Sky-Marshals zum Schutz der
Passagiere eingesetzt werden. Außerdem wurden die
ausländerrechtlichen Bestimmungen weiter verschärft und
Ausweisungen erleichtert. Zu den umstrittensten Maßnahmen
gehört das im vergangenen Jahr verabschiedete
Luftsicherheitsgesetz, das es erlaubt, entführte oder als
Waffe eingesetzte Flugzeuge künftig im Extremfall
abzuschießen.
Als "Generalverdächtigung aller
Bundesbürger" wurde die Einführung biometrischer
Pässe von Kritikern bezeichnet. Am 8. Juli billigte der
Bundesrat jedoch eine entsprechende Vorgabe des Innenministeriums.
Ab 1. November 2005 werden nun Pässe mit Fingerabdrücken
ausgestellt. Für Otto Schily ist auch dies allein ein Mittel,
um die Innere Sicherheit zu erhöhen: "Ein Aspekt der
Terrorbekämpfung ist die Sicherheit von Reisedokumenten",
sagte er am 8. Juli - und flog anschließend nach London, um
sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen.
Zurück zur Übersicht
|