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Interview
Provokation ist immer noch zentral
Publizist und Kurator Holger Kube Ventura zu
politischer Kunst
Kunst provoziert, Kunst soll provozieren. Das
war lange Zeit das Credo der Malerei, der Bildhauerei und
später vor allem der Aktionskunst. Inwieweit kann Kunst heute
noch gesellschaftliche Verhältnisse anklagen und will sie es
überhaupt noch? Holger Kube Ventura, Kunstwissenschaftler und
Publizist glaubt, "dass Grenzen und ihr Übertretungspotential
früher leichter kalkulierbar waren. Dennoch ist Provokation
nach wie vor ein zentraler Modus von politisch-künstlerischer
Arbeit."
Das Parlament: Herr Kube Ventura, es
scheint in der Kunst vermehrt einen Trend zu paradiesischen Idyllen
und verklärten Wirklichkeiten zu geben. In der Frankfurter
"Schirn" sucht Kurator Max Hollein nach der "Romantik in der Kunst
der Gegenwart", Fotografen wie Thomas Struth oder Bill Henson
entdecken Welten, die lange als verkitscht galten, und das, was
derzeit als "Neue Leipziger Schule" durch die Medien geistert,
zeichnet sich primär auch nicht durch Weltzugewandtheit aus.
Ist das Politische in der Kunst in die Defensive
geraten?
Kube Ventura: Es gab in den letzten
Jahren stets mehrere Trends parallel und da kommt es immer darauf
an, welchen man in den Blick nimmt. Sicherlich gibt es derzeit
große Aufmerksamkeit zum Beispiel für die Kombination
Malerei und Leipzig und sicher zeichnet sich der Großteil
davon nicht unbedingt durch Gegenwarts-Realismus aus. Gleichzeitig
jedoch zeigen sehr viele Ausstellungen - wie schon seit ein paar
Jahren - eine starke Konzentration auf dokumentarische Ansätze
und auf die Thematisierung oder Mitgestaltung gesellschaftlicher
Verhältnisse. Die Bandbreite an künstlerischen Projekten
mit politischer Positionierung ist meinem Eindruck nach enorm
gewachsen und überhaupt nicht in der Defensive. Im Gegenteil:
Es wird selbstverständlich, auch in renommierteren
Ausstellungshäusern auf "kritische Interventionen" zu
treffen.
Das Parlament: Wie kann politische
Kunst heute aussehen, um noch authentisch zu wirken und
ästhetisch nicht rückwärtsgewandt zu
erscheinen?
Kube Ventura: Ich glaube, es ist heute
schwieriger geworden, vorherzusehen, wann welche Schwelle zu einer
Provokation übertreten wird. Einerseits ist es zuweilen selbst
mit offensiv gesetzeswidrigen Aktionen nicht möglich, jene
Reaktion zu provozieren, anhand derer eine bestimmte
gesellschaftliche Lage und die ihr unterliegenden Politika sichtbar
würden. Andererseits kann schon durch ein unvorhergesehenes
Detail eine plötzliche Eskalation ausgelöst werden.
Beides ist oft sehr erstaunlich. Ich denke gerade an die
Kombination Flick und Kunst sowie an die eigentlich
unauffällige Berliner Ausstellung "When love turns to poison",
die als Verherrlichung von Pädophilie skandalisiert wurde. Ich
glaube, dass Grenzen und ihr Übertretungspotential früher
leichter kalkulierbar waren. Dennoch ist Provokation nach wie vor
ein zentraler Modus von politisch-künstlerischer Arbeit. Die
Grundrichtungen von "Kunst meets politics" -
Gegenöffentlichkeit herstellen, Machtverhältnisse
experimentell befragen, konkrete Interventionen initiieren - haben
sich eigentlich nicht verändert.
Das Parlament: Ist eine
intervenierende Kunst nicht zu vereinnahmt von politischen
Bewegungen?
Kube Ventura: Ich habe den Eindruck,
dass viele derzeitige künstlerisch-politische Aktionen sich
tatsächlich zu sehr auf die Richtigkeit ihrer politischen
Argumentationen verlassen und zu wenig auf künstlerische
Ambivalenz setzen. Im Zuge der Anti-Globalisierungsbewegungen ist
die politische Mitsprache sehr kreativ und darüber
mobilisierungsstark geworden. Von dieser eigentlich positiven
Sogkraft sollten sich künstlerische Projekte jedoch
stärker absetzen, weil es eben auch noch andere, freiere
Artikulationspotenziale, mit anderer Reichweite und einem anderen
Adressatenkreis zu nutzen gilt. Stärker betont werden sollte
wieder die Autonomie von politischer Kunst, das heißt - die
Unvorhersehbarkeit ihrer Funktionen beziehungsweise die
Verunmöglichung ihrer Funktionalisierung. Autonome politische
Kunst erschöpft sich eben nicht bereits in ihrer politischen
Positionierung und der Illustration, sondern argumentiert
antagonistisch.
Das Parlament: Welche Rolle nimmt
innerhalb einer politischen Kunst heute noch die Malerei
ein?
Kube Ventura: Wo Kunst in
gesellschaftsbezogene Handlungsprozesse führt, ist sie
politisch - egal in welchem Medium. Realistische, figurative
Tafelbilder können heute wie früher gesellschaftliche
Themen und politische Prozesse in einem anderen Licht erscheinen
lassen. Bei rein abstrakter Malerei ist ein politisches Potenzial
zunächst schwerer vorstellbar, weil mittlerweile alle formalen
Wege parallel möglich sind. Aber dann bleibt auch für
solche Malerei immer noch das politische Einsetzen der Kunstwerke,
die strategische Platzierung. Hinsichtlich politisch
künstlerischer Praxis sehe ich die größten
Potenziale für Malerei in Verbünden wie Raummalerei,
Videomalerei, Diskursmalerei.
Das Interview führte Ralf Hanselle
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