Andrea Berg
Das Volk will Ruhe und Stabilität
Kirgistan nach den
Präsidentschaftswahlen
Bei vorgezogenen Neuwahlen am 10. Juli wurde Kurmanbek Bakijew
mit knapp 90 Prozent zum neuen Präsidenten Kirgistans
gewählt. Kirgistan ist damit das erste Land in Zentralasien,
das einen postsowjetischen Machtwechsel vollzogen hat. Im Vergleich
zu den turbulenten Entwicklungen im ers-ten Halbjahr 2005 gewesen
waren und zum Sturz des früheren Präsidenten Askar Akajew
geführt hatten, verliefen die Wahlen unerwartet ruhig und
unspektakulär. Keiner der fünf anderen
Präsidentschaftskandidaten und -kandidatinnen kam auf einen
nennenswerten Anteil an Stimmen, so dass Proteste von
enttäuschten Anhängern diesmal ausblieben und gehofft
werden darf, dass in Kirgistan vorerst politische Ruhe einkehren
wird.
Doch einige Zeit sah es nicht so aus, als würde sich das
kleine Land, in dem eine aufgebrachte Menge am 24. März das
Regierungsgebäude in der Hauptstadt Bischkek gestürmt und
damit auch die Opposition selbst überrascht hatte, wieder
beruhigen. Anders als beim Machtwechsel in Georgien und in der
Ukraine - die jeweils mit klarem Symbol und charismatischem
Oppositionsführer erfolgten, war in Kirgistan die Verwirrung
über Zeichen und Farbe des Umsturzes symptomatisch für
das Misstrauen zwischen Bevölkerung und Opposition sowie
für die Uneinigkeit innerhalb der Opposition, die in mehr als
40 stark personalisierte Parteien zerfällt. Über die
politischen Visionen der Opposition war kaum etwas bekannt und ihre
demokratische Gesinnung mehr als fraglich. In erster Linie war sie
durch ihre Anti-Akajew Haltung bekannt.
Im März ging es weniger um einen politischen
Richtungswechsel, als um einen Machtwechsel innerhalb der Eliten.
Auslöser für die Stürmung des Weißen Hauses war
die Unzufriedenheit von Teilen der Bevölkerung - insbesondere
aus dem Süden - mit dem Ablauf und den Ergebnissen der
Parlamentswahlen vom 27. Februar und 13. März. Im ersten
Wahlgang am 27. Februar wurden nur 31 der 75 Parlamentssitze
vergeben, kaum einer der Oppositionskandidaten war erfolgreich. Als
deutlich wurde, dass bestimmte Kandidaten nicht ins Parlament
einziehen würden, ging die Bevölkerung in
Südkirgistan auf die Straße. Nach dem zweiten Wahlgang am
13. März waren 71 der 75 Parlamentssitze vergeben, davon
jedoch nur fünf an Oppositionspolitiker. Die Bevölkerung
im Süden demonstrierte weiter. Am 18. März stürmte
eine aufgebrachte Menge das Gebäude der Provinzverwaltung in
Osch. Zwei Tage später wurde auch die Provinzverwaltung in
Dschalal-Abad von Demonstranten eingenommen und später am
selben Tag der Flughafen der Stadt. Die Proteste weiteten sich
immer mehr aus und erreichten schließlich die Hauptstadt
Bischkek.
Prominente Oppositionspolitiker wie Kurmanbek Bakijew und Rosa
Otunbajewa machten sich den Unmut der Bevölkerung zunutze und
setzen sich an die Spitze der Proteste im Süden. Obwohl sie
beide und später auch Felix Kulow in den internationalen
Medien als neue Oppositionsführer präsentiert wurden,
sind sie im Lande selbst keine Unbekannten, gehören seit
langem zur Führungsriege und waren zeitweise enge Vertraute
des geflohenen Präsidenten Akajew.
Bakijew war von 1997 bis 2000 Gouverneur der Nordprovinz Chui
und von Dezember 2000 bis Mai 2002 Ministerpräsident. Aufgrund
der Demonstrationen in der südkirgisischen Siedlung Aksy, bei
denen im Frühjahr 2002 sieben Menschen von der Miliz
erschossen wurden, musste er von seinem Amt zurück-treten.
Kulow war unter anderem Innenminister, Vizepräsident und
Bürgermeister von Bischkek. Im März 2000 wurde er
verhaftet und im Januar 2001 zu sieben Jahren Gefängnis wegen
Amtsmissbrauchs verurteilt, um seine Kandidatur bei den damaligen
Präsidentschaftswahlen zu verhindern. Am 24. März wurde
er von seinen Anhängern aus dem Gefängnis befreit und
inzwischen vor Gericht rehabilitiert. Otunbajewa war schon unter
Akajew Außenministerin Kirgistans und arbeitete als
Botschafterin in den USA, Kanada und Großbritannien.
Nachdem Präsident Akajew am 4. April 2005 im Moskauer Exil
seinen Rücktritt unterzeichnet hatte, wurden vom kirgisischen
Parlament vorgezogene Neuwahlen für den 10. Juli 2005
festgesetzt. Sofort begannen die Spekulationen, ob Bakijew oder
Kulow größere Chancen hätten und wer von beiden es
schaffen würde, sowohl den Norden als auch den Süden
hinter sich zu vereinen. Dann gaben beide in einer gemeinsamen
Erklärung am 13. Mai bekannt, dass Kulow nicht für die
Wahlen kandidieren und stattdessen dem Wahlkampfteam Bakijews
beitreten würde. Seit diesem Zeitpunkt galt ein Sieg Bakijews
mehr oder weniger als ausgemacht - sowohl in der Bevölkerung
als auch bei internationalen Beobachtern.
Als der offizielle Präsidentschaftswahlkampf am 14. Juni
dann begann, wurde er klar von Bakijew dominiert. Bereits einen Tag
nachdem die Zentrale Wahlkommission die Zulassung von sieben
Kandidaten - unter ihnen eine Frau -- bekannt gegeben hatte, war
ganz Bischkek mit Plakaten und Handzetteln übersät, die
sein Porträt zeigten. Darauf verkündete Bakijew: "Die
Zukunft unseres Landes liegt in der Arbeit und in der Einheit."
Insbesondere letzteres Thema ist von großer Bedeutung
für die Bevölkerung. Nach den Unruhen im Frühjahr,
waren die Unterschiede zwischen dem Norden und dem Süden
einmal mehr deutlich zutage getreten. Die instabile Sicherheitslage
verunsicherte die Bevölkerung und bestärkte auch
internationale Beobachter in ihrer Einschätzung, dass sich das
staatliche Gewaltmonopol in Kirgistan immer mehr auflöst und
Macht zunehmend auf die regionale und lokale Ebene verlagert
wird.
Dort dominieren Politiker mit undurchsichtigen
Geschäftsverbindungen den Alltag und kämpfen um die
Aufteilung des politischen und wirtschaftlichen Vakuums, das Akajew
und seine Familie durch ihre Flucht hinterlassen haben. In den
Wochen nach dem Sturz der Regierung kam es immer wieder zu
gewalttätigen Auseinandersetzungen und Schießereien, die
zahlreiche Verletzte und mehrere Tote forderten. Unter anderem
wurde Anfang Juni der Abgeordnete Dschiralbek Surabaldijew in
Bischkek tagsüber auf offener Straße erschossen. Neben
seiner politischen Tätigkeit war er Besitzer eines riesigen
Marktes für Gebrauchtwagen vor den Toren der Hauptstadt, den
er erst letztes Jahr einem Konkurrenten mit Gewalt abgenommen
hatte.
Einige Tage später lieferten sich Anhänger und Gegner
eines weiteren Abgeordneten, Baiyaman Erkinbajew, einen
Schusswechsel in Osch, bei dem eine Person starb. Erkinbajew
kontrolliert mehrere Märkte im Süden des Landes, unter
anderem in Kara-Suu an der usbekischen Grenze. Im selben Zeitraum
wurde ein Anschlag auf das Wahlbüro Bakijews in Bischkek
verübt, bei dem zwei Wächter verletzt wurden. Am 17. Juni
gelang es Anhängern von Urmat Baryktabasow sogar, den
Regierungssitz in Bischkek erneut zu stürmen. Zuvor war seine
Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen abgelehnt
worden, da er seit 2002 kasachischer Staatsbürger ist.
Weiteres Konfliktpotenzial enthielten ethnische Spannungen in
Südkirgistan. In den Provinzen Osch und Dschalal-Abad machen
Usbeken jeweils ein Viertel der Gesamtbevölkerung aus. Sie
waren im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen äußerst
besorgt darüber, wie ihre Interessen künftig gewahrt
werden sollen. Unvergessen sind die blutigen
Zusammenstöße zwischen Kirgisen und Usbeken in Osch und
Özgen im Juni 1990, bei denen 300 Menschen ums Leben kamen.
Von Bakijew, der in der Nähe von Dschalal-Abad geboren wurde,
wußte die usbekische Minderheit zumindest, dass er das Leben
im Süden und das Miteinander von Kirgisen, Usbeken und anderen
ethnischen Gruppen aus eigener Erfahrung kennt.
Die wachsende Instabilität führt in der
Bevölkerung zu einem immer stärker werdenden Wunsch nach
Ruhe und Stabilität. Viele haben Angst, dass ihre mühsam
aufgebauten Existenzen weiter zerstört werden. Ob der neue
Präsident Kurmanbek Bakijew die Sicherheitslage auf Dauer
stabilisieren kann, bleibt abzuwarten. Möglicherweise
müssen wir uns aber auf eine Zeit der fehlenden staatlichen
Kontrolle in Kirgistan einrichten.
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