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Wassilios Fthenakis
Das Kind im Mittelpunkt
In den ersten zehn Lebensjahren stehen die Lernfenster von
Kindern besonders weit offen. Noch immer jedoch wird das hohe
Bildungspotenzial in dieser Lebensphase unterschätzt und zu
wenig genutzt. Was fehlt sind Steuerungsmodelle von ganz neuer
Qualität, die nicht die einzelnen Institutionen in den
Mittelpunkt rücken, sondern das einzelne Kind. Das Land Hessen
will - als Reaktion auf internationale und nationale Entwicklungen
- als erstes Bundesland diesen Weg einschlagen und hat einen
Bildungs- und Erziehungsplan vorgelegt, der nicht nur den
Orientierungsrahmen für die Bildung und Erziehung von Kindern
von der Geburt bis zum Ende der Grundschule bieten soll.
Vielmehr wird der Versuch unternommen, bisherige Grenzen bei der
Entwicklung von Bildungsplänen und der Organisation des
Bildungsverlaufs in mehrfacher Sicht zu überwinden: Hessen
entwickelt einen Bildungsplan von hoher Beständigkeit in den
Bildungszielen, den Inhalten und im Bildungsverlauf, verbindet
Angebote der Jugendhilfe mit Bildungsangeboten und bezieht alle
Lernorte mit ein, in denen Bildung und Erziehung von Kindern
stattfindet - von der Familie über die Tagesbetreuung bis zu
den Spielgruppen. Weil gerade die Familie nicht zum Zaungast der
Entwicklung werden darf, wird das Verhältnis zwischen Familie
und Bildungsinstitution im Sinne einer Bildungs- und
Erziehungspartnerschaft definiert.
Der Bildungsplan focussiert auf die Stärkung kindlicher
Entwicklung und auf die Moderierung kindlicher Lernprozesse.
Kindertageseinrichtungen und Grundschulen werden aufgefordert, die
gleichen Grundsätze und Prinzipien anzuwenden, wenn es um
Bildung und Erziehung von Kindern geht. Somit wird die bisherige
Auffassung zurückgewiesen, der zufolge die Tageseinrichtungen
und die Grundschulen unterschiedlichen bildungstheoretischen und
-philosophischen Grundsätzen folgen sollten. Die
Kontinuität in den Bildungszielen wird durch die Konzentration
auf die Kompetenzen des einzelnen Kindes und dessen Ressourcen
erreicht sowie durch solche Kompetenzen, die ein
verantwortungsvolles Handeln im sozialen Kontext ermöglichen.
Es sind demnach dieselben Kompetenzen, die in unterschiedlichen
Entwicklungsniveaus und in unterschiedlichen Lernorten zum
Gegenstand von Bildung werden.
Die Stärkung lernmethodischer Fähigkeiten und die
Entwicklung von Reorganisationskompetenz, die Kinder befähigt
mit Veränderungen und Risikosituationen angemessen umzugehen,
sind zentrale Aufgaben sowohl der Tageseinrichtungen als auch der
Grundschulen. Neu im hessischen Bildungsplan ist auch die
Orientierung von Bildungsinhalten an fünf Bildungsdimensionen
sowie die Moderierung von Lernprozessen. Die Gestaltung von
Lernprozessen erfährt eine Kontinuität vom Kindergarten
in die Grundschule hinein. Auch die Fachkräfte werden
verpflichtet, Kontinuität im Bildungsverlauf auf der
prozessualen Ebene herzustellen. Es wird demnach eine Konsistenz
auf prozessualer und philosophischer Grundlage angestrebt, und
nicht wie bislang - nur - eine strukturell-organisatorische
Verzahnung der beiden Bildungsbereiche.
Der Autor ist Professor an der Fakultät für
Bildungswissenschaften der Freien Universität Bozen und
zugleich Leiter des bayerischen Staatsinstituts für
Frühpädagogik. Er hat die Erziehungs- und
Bildungspläne für Bayern und Hessen ausgearbeitet.
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