Bernd Wagner
Kultur durch Macht - Macht durch Kultur
Herausbildung und Begründung
öffentlicher Kulturpolitik
Aufgabe öffentlicher Kulturpolitik, so das
allgemeine Verständnis, ist der Schutz und die
Unterstützung von Kunst und Kultur durch ihre Förderung,
die Sicherung infrastruktureller Grundlagen und die Schaffung
kulturfreundlicher Rahmenbedingungen. Durch diese öffentliche
Förderung werden aber nicht nur Kunst und Künstler
unterstützt und anderen Menschen eine kulturelle Teilhabe
ermöglicht, sondern sie ist immer auch davon bestimmt, dass
sich der "Kultur als Mittel für Machtzwecke" bedient wird. "In
der kürzesten Antithese", wie es in einer der ersten
Erläuterungen zu "Kulturpolitik" im "Politischen
Handwörterbuch" von 1923 heißt, "der Sinn der
Kulturpolitik ist entweder Kultur durch Macht oder Macht durch
Kultur."
Zu unterschiedlichen Zeiten dominierte mal
der eine, mal der andere Aspekt, und es gab in der deutschen
Geschichte Phasen, in denen Kulturpolitik weitgehend dem Lobpreis
der Macht diente. Aber auch in Phasen intensiver "Staatskunst" war
stets das andere Element in der Kulturpolitik mit vorhanden, die
Hervorbringung von Kultur und Kunst, die nicht dem Staatszweck
diente. Umgekehrt ist aber in demokratischen Gemeinwesen
Kulturpolitik immer auch ein "Mittel für Machtzwecke", und sei
es nur in Gestalt des repräsentativen Glanzes eines
Kulturereignisses, in dem sich die politischen Vertreter einer
Kommune gerne sonnen oder "dreier Opern", von denen geglaubt wird,
dass sich dies für die Hauptstadt der groß gewordenen
Bundesrepublik geziemt.
Kulturpolitik wirkt vielfach stärker als
andere Formen politischen Handelns auf Staat und Macht zurück
und gibt ihnen, etwa als "Kulturstaat", eine besondere Gestalt.
Dieser "Repräsentationscharakter" ist kein Nebenprodukt von
Kulturpolitik, sondern ein Teil ihrer Funktion. Jeder Museumsneubau
und jede Opernpremiere ist - allen Bekenntnissen zum Trotz, dass es
um die Kunst geht - immer auch ein Ausdruck der gegenseitigen
Spiegelung und Verstärkung von Kultur und Politik.
Kulturpolitik und Cultur-Policey
Die Zusammenführung der beiden Begriffe
"Kultur" und "Politik" zu "Kulturpolitik" ist erstmals in den
40er-Jahren des 19. Jahrhunderts nachweisbar. Sie wird aber erst in
den 1910er-Jahren und vor allem in der Weimarer Republik
gebräuchlich und steht seither für staatliches respektive
kommunales Handeln im Bereich von Kultur und Kunst und lange Zeit
auch von Bildung. Ihre Wurzeln liegen in der im 19. Jahrhundert
entstandenen Wortfügung "Cultur-Policey" - "Policey" war die
Bezeichnung für Verwaltungs- und Regierungsbelange.
Die Etablierung des Begriffs "Kulturpolitik"
markiert einen Wandel im Verhältnis von Staat und Kultur und
ist eng verknüpft mit der Herausbildung der bürgerlichen
Gesellschaft und demokratischer Regierungsformen. Sein
Vorläufer "Cultur-Policey" trat zu einer Zeit auf, als
zunehmend mehr fürstliche Kunstsammlungen, Bibliotheken und
Theater für die Allgemeinheit zugänglich wurden, als sich
öffentliche Konzerte etablierten und Museen gegründet
wurden und als die Forderungen nach öffentlicher
Unterstützung von künstlerischen und kulturellen
Aktivitäten zunehmend häufiger erhoben und dem von
städtischen und landesherrlichen Obrigkeiten schrittweise
nachgekommen wurde.
Neue Akteure
Gegen Ende dieses Jahrhunderts hatte die
Förderung von Kunsteinrichtungen durch Kommunal- und
Landeshaushalte beträchtlich zugenommen, das 1871 entstandene
Reich trat mit der Zeit auch als kulturpolitischer Akteur auf, vom
Bürgertum gegründete Museen, von Privatunternehmern
betriebene Theater und von Fürsten nicht mehr zu finanzierende
Kunstsammlungen wurden immer häufiger von Kommunen und
Ländern übernommen.
Nach dem Ersten Weltkrieg nahm mit der
Ablösung der monarchischen durch eine
demokratisch-republikanische Regierungsform dieser Prozess der
Kommunalisierung und Verstaatlichung von Kunst- und
Kultureinrichtungen erheblich zu. Seit dieser Zeit hat auch der
Begriff "Kulturpolitik" den der "Cultur-Policey" abgelöst und
sich etabliert.
Wie die Herausbildung der bürgerlichen
Gesellschaft gerade in Deutschland ein langer, widerspruchsvoller
Prozess war, so war auch die damit verknüpfte, in der
frühen Neuzeit beginnende Entwicklung der Kulturpolitik alles
andere als geradlinig und eindimensional. Eine Vielzahl
unterschiedlicher Entwicklungsstränge gingen in sie ein und
prägen auch noch die heutige Kulturpolitik.
Es sind vor allem vier große
gesellschaftliche Traditionsstränge, die Kulturpolitik
konstituieren: der "Fürstenhof" mit seiner Kultur der
Machtverherrlichung und des Vergnügens aber auch der
Reglementierung, die "Bürgergesellschaft" mit kulturellen
Institutionen der Selbstverständigung und Unterhaltung, das
Ideal der "Kulturnation" bei der Bildung der deutschen Nation und
aufgeklärt-kultivierter Menschen mittels Kunst und Kultur
sowie das Bild vom "Wohlfahrtsstaat" mit den Vorstellungen einer
staatlichen Gewährleistung nicht nur sozialer sondern auch
kultureller "Versorgung".
Diese vier unterschiedlichen Traditionen und
Einflüsse laufen in der entstehenden Kulturpolitik im 19. und
beginnenden 20. Jahrhundert zusammen und vermischen sich kaum mehr
unterscheidbar zu den verschiedenen Funktionen auch heutiger
Kulturpolitik wie kulturell-künstlerische Teilhabe,
repräsentativer Glanz, gesellschaftliche Integration,
kulturelle Bildung und gemeinschaftliche Selbstverständigung
sowie Unterhaltung. Manche überlagern andere ohne sie ganz zu
verdrängen und in unterschiedlichen Phasen bestimmt mal die
eine, mal die andere Funktion das Erscheinungsbild von
Kulturpolitik
In dem Maße wie öffentliche Mittel,
die einer Kontrolle ständischer oder parlamentarischer
Vertretungskörperschaften unterlagen, für kulturelle
Einrichtungen und künstlerische Aktivitäten aufgewandt
wurden, bedurfte es einer gesellschaftlichen Legitimation anstelle
fürstlichen Beliebens und bürgerschaftliche
Selbstorganisation. Aus kulturellen "Klasseninstitutionen" des
Adels und des Bürgertums beziehungsweise solchen, die sich
über Angebot und Nachfrage reguliert hatten, wurden
Kultureinrichtungen der gesamten Gesellschaft, die von Kommunen und
Staat unterstützt und viele mit der Zeit auch getragen
wurden.
Zur Begründung dieses neuen
kommunal-staatlichen Handelns im Bereich von Kunst und Kultur wurde
vor allem auf Programmschriften des aufgeklärten
Bürgertums und des Deutschen Idealismus zurückgegriffen,
in denen die Kultur und Kunst wichtige Orte gesellschaftlicher
Kommunikation, individueller Emanzipation und demokratischer
Öffentlichkeit waren. Dabei kam besonders dem Theater als
"moralische Anstalt" und "Wegweiser durch das bürgerliche
Leben" (Friedrich Schiller) eine wichtige Bedeutung zu.
Kulturelle Orte, die sich das neue
Bürgertum und die bürgerliche Gesellschaft unter
Einbeziehung des Adels und aufgeklärter Fürsten zum
geselligen Austausch, zur Verständigung, Unterhaltung und
Repräsentation geschaffen hatte, waren besonders
Lesegesellschaften, Geselligkeits-, Kunst- und Musikvereine und
ähnliche "Associationen". Auch Theateraufführungen
gehörten, wenn auch eher am Rande, dazu. In dieser Zeit und in
diesem Kontext entstanden in der deutschen Sprache in engem Bezug
miteinander die Begriffe "Öffentlichkeit", "Publikum" und
"Bürger", die teilweise synonym benutzt und zunehmend mit
Kultur, Kunst und Bildung verbunden wurden. Diese
theoretisch-konzeptionelle Engführung war der Ansatzpunkt
für die Begründung kulturpolitischen Handelns durch
kulturelle Reformschriften des aufgeklärten
Bürgertums.
Da diese aber mit der Zeit immer weniger mit
den realen Kulturorten zu tun hatten und im Widerspruch zur
damaligen Bedeutung der Vordenker einer "ästhetischen
Erziehung des Menschen" standen, trat an deren Stelle die
Konstruktion einer solchen Bedeutung durch die Erfindung der
"Klassik" als literarischer Epoche und die Kanonisierung der
"Klassiker" als die Repräsentanten der deutschen Nation wie
bei den Schillerfeiern von 1859 mit Veranstaltungen in 448
deutschen und 50 ausländischen Städten. Im
"Klassikerjahr" 1867 - hier endete die Schutzfrist für
Autoren, die vor 1837 gestorben waren - entstanden zahlreiche
"Klassikerausgaben" und "Klassiker-Nationalbibliotheken" und
startete Reclam seine Universalbibliothek mit Goethes "Faust".
Diese Schaffung eines literarisch-künstlerischen Kanons etwa
ab den 1850er-Jahren ging einher mit seiner Verknüpfung vor
allem mit dem Theater als Bildungs- und moralische Anstalt, der
Trennung von "Bildung" und "Unterhaltung" sowie der Kreierung einer
"Hochkultur" in Abgrenzung zu der in dieser Zeit in
größerem Umfang entstandenen kommerziellen
"Massenkultur". Kunst wurde von "Nichtkunst" geschieden und
Kunstaneignung zur Weihestunde, die in den Theatern, Museen und
Konzerten zunehmend zur leeren Selbstpräsentation des
Bürgertums und des Adels wurden, was später Herbert
Marcuse treffend als "affirmative Kultur" charakterisiert
hatte.
Die Berufung auf diese "Hochkultur" und die
bildungsbürgerliche, obrigkeitsstaatliche
Klassikerkanonisierung mit der Formulierung eines Bildungsauftrags
an die Kultureinrichtungen bildete die zentrale Legitimation
öffentlicher Kunstförderung und Kulturpolitik in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Schillers soziokulturelle Erdung
Diese kulturpolitischen Begründungen,
die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts umfassender
ausgearbeitet worden waren, bildeten auch die Grundlage für
die Kulturpolitik in den ersten zwei bis drei Jahrzehnten der
Bundesrepublik Deutschland. Erst ab Ende der 60er-Jahre kam es zu
einer kulturpolitischen Neuorientierung.
Diese Neue Kulturpolitik war Teil eines
gesamtgesellschaftlichen Modernisierungs- und
Demokratisierungsprozesses und der Ausdehnung wohlfahrtsstaatlicher
Politik auf die Teilhabe-Möglichkeiten größerer
Bevölkerungskreise an kulturell-künstlerischen Prozessen
unter den Zielsetzungen Demokratisierung von, Partizipation an und
Emanzipation durch Kultur und den beiden zentralen Motti "Kultur
für alle" (Hilmar Hoffmann) und "Bürgerrecht Kultur"
(Hermann Glaser). Zur ihrer Begründung bezog man sich nicht
nur auf Schiller, die bürgerliche Aufklärung und den
deutschen Idealismus, sondern genauso zentral auf die Marcusesche
Kritik an der "affirmativen Kultur" und auf die Alltagskultur.
Damit wurde versucht, den "Geburtsmakel" früherer
Begründungen öffentlicher Kulturpolitik und ihrer darauf
aufbauenden langjährigen Praxis zu korrigieren und die
"Trennung zwischen der ,reinen' Welt des Geistes und den
Niederungen der Realität" (Hermann Glaser) in einer anderen,
soziokulturellen, alltagsorientierten Kulturpolitik zu
überwinden.
Internet: www.kupoge.de
Der Autor ist wissenschaftlicher Leiter des Instituts für
Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft Bonn.
Zurück zur Übersicht
|