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Eine starke Signalwirkung
Gespräch mit den Obleuten der Fraktionen in
der Enquete-Kommission
Die Obleute der Bundestagsfraktionen von SPD,
CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP, Siegmund,
Ehrmann, Günter Nooke, Ursula Sowa und Hans-Joachim Otto
beantworten Fragen, die Ines Gollnick stellte.
Das Parlament: Hat die
Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" die beabsichtigte
Signalwirkung für die Kultur erreicht?
Siegmund Ehrmann, SPD: Die
Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" hat aus zweierlei
Gründen eine starke Signalwirkung zu verzeichnen. Bis 1998
führte die Kultur in der Bundespolitik ein Schattendasein. Die
letzte Enquete-Kommission, die sich für die Kultur eingesetzt
hatte, liegt knapp dreißig Jahre zurück! Erst mit dem
Regierungswechsel 1998 hat sich der Stellenwert der Kultur auf
Bundesebene grundlegend geändert, und schließlich ist
auch die Einsetzung der Enquete-Kommission eine Forderung aus dem
Koalitionsvertrag von 2002. Die Einsetzung selbst war ein
deutliches Signal, dass der Bund kulturpolitische Verantwortung
übernimmt. Die zweite Signalwirkung liegt in der Auswahl der
Themen begründet, mit der sich die Enquete-Kommission befasst
hat. Die öffentliche und private Kulturförderung, die
wirtschaftliche und soziale Lage der Künstlerinnen und
Künstler und die kulturelle Bildung waren die Schwerpunkte
unserer Arbeit. Im Dialog mit der Kulturszene wurde mir immer
wieder bestätigt, dass wir die kulturpolitisch relevanten
Themen aufgegriffen und ohne die sprichwörtliche "Schere im
Kopf" mit den entscheidenden Fragen an die Sache herangegangen
sind. Als erstes Ergebnis in unserem Zwischenbericht empfehlen wir
dem Deutschen Bundestag die Kultur als Staatsziel im Grundgesetz
aufzunehmen. Ich denke, die grundgesetzliche Verankerung ist ein
sehr deutliches Signal für die Kultur und für das
Selbstverständnis unseres Staates.
Günter Nooke, CDU/CSU: Die
Signalwirkung bestand eher im Reden über Kultur. Das ist nicht
wenig, aber erst handfeste Arbeit und ein allgemeiner
Bewusstseinswandel werden zeigen, wie weit wir wirklich gekommen
sind. Die Enquete-Kommission hat im Einsetzungsbeschluss einen
definierten Auftrag erhalten: Zunächst geht es um eine genaue
Bestandsaufnahme der Situation und um eine scharfe Problemanalyse
im Zusammenhang mit dem Kulturstandort Deutschland. Ob es uns aber
gelingt, Deutschland als europäisch gewachsene Kulturnation
darzustellen, ohne nationales Pathos, aber mit herausgehobener
Bedeutung der Kultur für die nationale Identität, muss
sich noch erweisen. Dabei sind alle nichtstaatlichen und
staatlichen Ebenen gefordert, vor allem natürlich auch die
Bundesebene. Gerade die Union sollte diesen für das nationale
Bewusstsein wichtigen, Sinn und Orientierung stiftenden Aspekt von
Kunst und Kultur nicht föderalem Provinzialismus
opfern.
Ursula Sowa, Grüne: Bei
bestimmten Themen hat die Enquete-Kommission deutliche Signale
ausgesendet, die von Seiten der Kultur und der Medien auch
wahrgenommen und anerkannt wurden. Nehmen wir das Beispiel der
Künstlersozialversicherung. Hier haben sich die Mitglieder der
Kommission nach intensiven Debatten parteiübergreifend
dafür ausgesprochen, das Versicherungssystem zu erhalten und
durch punktuelle Verbesserungen zu stabilisieren. Die Forderung
nach einer Aufnahme des Staatsziels "Schutz und Förderung der
Kultur" zeigt, dass die Kommission deutliche Zeichen für die
Stärkung der Kultur in Deutschland setzt. Auch die Debatten um
dringend anstehende Reformen an den öffentlichen Bühnen
haben vielfache Beachtung gefunden. Das Interesse der
Öffentlichkeit scheint mir sehr groß zu sein, was sich
darin zeigt, dass die Signale der Kommission in Form von
Reformvorschlägen wahrgenommen und kritisch diskutiert
werden.
Hans-Joachim Otto, FDP: Allein die
Tatsache, dass der Deutsche Bundestag sich überhaupt mit
diesem Thema beschäftigt hat, war und ist ein positives Signal
- nach außen, für alle Bereiche der Kultur, aber auch
innerhalb des Parlamentes. Ich hätte mir manchmal ein
größeres Interesse der Öffentlichkeit und mehr
Reaktionen gewünscht. Dass dies nicht immer der Fall war,
hängt auch mit der Arbeitsweise der Enquete-Kommission
zusammen, die zunächst eine Bestandsaufnahme der Kultur in
Deutschland erarbeitet hat. Ich bin aber überzeugt, dass in
allen Bereichen der Kultur die Arbeit der Enquete-Kommission mit
großer Aufmerksamkeit verfolgt wurde. Durch eine Vielzahl von
öffentlichen Anhörungen und auch bei einigen
Delegationsreisen der Enquete-Kommission gab es einen intensiven
Kontakt mit vielen Persönlichkeiten aus allen Bereichen der
Kultur, die ihre Erfahrungen eingebracht haben und die Ergebnisse
der Diskussionen sicherlich auch weiter getragen haben. Neben der
Einsetzung und der Arbeit der Kultur-Enquete wäre
natürlich vor allem dem Abschlussbericht eine erhebliche
Signalwirkung zugekommen. Umso wichtiger ist es, dass wir diesen
Abschlußbericht in der 16. Wahlperiode noch erstellen
können.
Das Parlament: Die Enquete-Kommission
musste - wie andere auch - ihre Arbeit früher einstellen als
erwartet. Wie kann der Gefahr begegnet werden, dass die politischen
Konsequenzen zu kurz kommen oder gar ausbleiben?
Siegmund Ehrmann, SPD: Die Sorge
über ausbleibende Handlungsempfehlungen nach der
Auflösung des Bundestages hat natürlich alle Mitglieder
der Enquete-Kommission beschäftigt. Die Bestandsaufnahme, die
als Grundlage für unsere Handlungsempfehlungen dient, ist
weitestgehend abgeschlossen. Diese geleistete Arbeit, das sind
Gutachten, Anhörungen, Expertengespräche, Exkursionen
usw. ist in einer solchen Zusammenstellung bisher einmalig und
enthält sehr wichtige, weit reichende Einsichten. Um den
Bestand der bisherigen Arbeit zu sichern, haben wir uns
interfraktionell auf einen so genannten Tätigkeitsbericht
geeinigt, der Ende des Jahres veröffentlicht werden soll.
Dieser Tätigkeitsbericht dokumentiert in einer sehr
strukturierten Form, den Arbeitsstand der Enquete-Kommission und
ermöglicht eine schnelle und gezielte Wiederaufnahme der
Arbeit, die von allen Fraktionen befürwortet wird. So
gewährleisten wir, dass die Erkenntnisse erhalten bleiben und
als Grundlage für eine zukünftige Enquete-Kommission
dienen können.
Günter Nooke, CDU/CSU: Die Gefahr
sehe ich nicht, da sich hoffentlich viele Abgeordnete im
nächsten Deutschen Bundestag der Bedeutung von Kunst und
Kultur bewusst sein werden. Im Übrigen ist es bei fast allen
Enquete-Kommissionen bisher so gewesen, dass die Ergebnisse ihrer
Arbeit nicht in der laufenden Legislaturperiode umgesetzt wurden,
sondern - in je unterschiedlichem Maße - erst in den darauf
Folgenden. Und bei allem darf nicht vergessen werden: Kultur ist in
erster Linie immer noch Sache der Länder. Die politische
Handlungsfähigkeit ist also zu keiner Zeit
gefährdet.
Ursula Sowa, Grüne: Durch die
Neuwahlentscheidung des Bundeskanzlers kann die Arbeit der
Enquete-Kommission in der laufenden Legislaturperiode nicht beendet
werden. Eine Reihe kontroverser Themenfelder wie beispielsweise die
Würdigung kultureller Leistungen von Migranten- und
Migrantinnengruppen konnte bisher nicht debattiert werden. Wenn es,
wie alle Parteien fordern, zu einer Neuauflage kommt, sehe ich der
Auseinandersetzung bei Themen mit deutlichen parteipolitischen
Unterschieden gespannt entgegen. Bei einer Neuauflage würde es
lediglich zu einer zeitlichen Verzögerung beim Erstellen von
politischen Handlungsempfehlungen kommen. Das wäre nicht
weiter dramatisch. Was die politischen Konsequenzen aus unseren
Empfehlungen betrifft, bin ich sicher, dass alle
Bundestagsfraktionen intensiv verfolgen werden, ob die
Bundesländer, die in Deutschland über die Kulturhoheit
verfügen, die dringend geboten Gesetzgebungsprozesse
einleiten. Wesentliche Konsequenzen aus den Empfehlungen
müssen aber die Akteure vor Ort ziehen - in den kommunalen
Gremien, an den Theatern und Museen, bei den soziokulturellen
Zentren oder in der freien Szene.
Hans-Joachim Otto, FDP: Die Arbeit der
Enquete-Kommission wurde in einer Phase unterbrochen, als die
allermeisten Daten und Informationen bereits auf dem Tisch lagen
und wir dabei waren, die daraus resultierenden
Handlungsempfehlungen zu diskutieren und zu formulieren. Ohne einen
Abschlussbericht, der alle Handlungsempfehlungen der Kommission
auflistet, würden die politischen Konsequenzen wahrscheinlich
ausbleiben. Daher kann dieser Gefahr allein durch eine erneute
Einsetzung der Enquete-Kommission begegnet werden.
Das Parlament: Ihre Themenpalette war
umfangreich. Wo sehen Sie denn den dringlichsten politischen
Handlungsbedarf für die Kultur?
Siegmund Ehrmann, SPD: Wir haben bei
der Bestandsaufnahme immer wieder festgestellt, dass gerade der
Kulturbereich oftmals als Einsparungspotential für knappe
Haushaltskassen herhalten muss. Sicherlich ist die finanzielle
Entwicklung der öffentlichen Haushalte in den letzten
Jahrzehnten, gerade im kommunalen Umfeld, nicht einfach. Umso
wichtiger ist es, die vorhanden finanziellen Ressourcen im
Kulturbereich optimal zu nutzen. Hier muss im Sinne der Kultur
entschieden werden und neue Wege wie die Kooperationen mit
zivilgesellschaftlichen Akteuren oder die pragmatische
Strukturierung der einzelnen Einrichtungen beschritten werden
können. In dubio pro cultu! Sollte sich dieser Gedanke nicht
durchsetzen, wird die ohnehin schon schwierige Situation für
Künstlerinnen und Künstler noch dramatischer. Die
wirtschaftliche und soziale Situation hängt direkt mit den
Einsparungen bei Kultureinrichtungen zusammen. Künstlerinnen
und Künstler leben Durchschnittlich von ca. 11.000 Euro im
Jahr, oftmals als Selbständige, ohne eine ausreichende
finanzielle Absicherung für das Alter. Kunst lebt von
Künstlern, und ich betrachte es als eine der Prioritäten
dieser Enquete-Kommission im Künstlerumfeld für ein
Mindestmaß an sozialer Gerechtigkeit einzutreten.
Günter Nooke, CDU/CSU: Gute
Kulturpolitik zeichnet sich dadurch aus, dass man Künstler
Kunst machen lässt. Mir ist wichtig, dass Politik
Künstler nicht für ideologische Ziele und
volkspädagogische Konzepte einsetzt. Es wäre auch falsch,
mit Kunst und Kultur die Defizite von Politik an anderer Stelle
reparieren zu wollen. Schlechte Erziehung im Elternhaus und in der
Schule kann nicht durch kulturelle Bildung beseitigt werden. Das
sagt aber gerade nichts aus über die für mich extrem hohe
Bedeutung kultureller Bildung vom frühen Kindesalter über
die Schulzeit bis ins hohe Alter hinein. Wenn sich Kinder und
Jugendliche nicht mehr für das Theater, die Oper, für
Konzerte oder Museen interessieren, weil sie nichts darüber
wissen, wie soll dann aus ihnen einmal das Publikum werden, welches
mit seinem Besuch diese Einrichtungen legitimiert? Denn eines
sollte uns allen schon klar sein, ganz ohne Nachfrage wird keiner
das in Deutschland einmalige Angebot im Kulturbereich
aufrechterhalten können. Womit wir dann doch beim Geld und
beim Schutz sowie der Erhaltung kultureller Einrichtungen angelangt
sind. Damit das gelingt, muss sich vieles vom Vereins- und
Gemeinnützigkeitsrecht, über das Sozial-, Arbeits- und
Tarifrecht bis hin zum Steuer- und Stiftungsrecht ändern. Es
wäre auch wichtig, Kulturpolitik in der Bundeshauptstadt und
mit Hilfe der "Bühne Berlin" als echte Gemeinschaftaufgabe von
Bund, Ländern und Gemeinden zu verstehen, um so die
Außenwirkung für Deutschland zu erhöhen und besser
zu fokussieren. Einen weiteren wichtigen Punkt sehe ich in der
Rolle der Medien. Ich bin fest davon überzeugt, dass Kultur
und Kulturnachrichten gerade im öffentlich-rechtlichen
Rundfunk eine größere Bedeutung bekommen sollten. Es
reicht nicht aus, wenn auf Theater-, History- und andere
Spartenkanäle hingewiesen wird. Gleichzeitig spielt das, was
sich kommerziell rechnet, nämlich Sport, alles andere an die
Wand.
Ursula Sowa, Grüne: Der
Kulturstaat Deutschland gibt für Kunst und Kultur im Jahr
über acht Milliarden Euro aus. Diese Mittel müssen
öffentlich transparent vergeben, effizient eingesetzt und
fortlaufend auf Erfolg oder auch Fehleinsatz hin
überprüft werden. Davon verspreche ich mir einen
Mentalitätswandel hin zu der Einsicht, dass die Kultur in
Deutschland in ihrer Vielfalt von hoher Qualität ist und sich
die Investitionen für die Gesellschaft lohnen. Sehr wichtig
ist mir die Verstärkung der kulturellen Bildung für
Kinder und Jugendliche. Die Grünen wollen Künstler und
Künstlerinnen in Schulprojekten beschäftigen und damit
kindliche Kreativität fördern, die für alle Lern-
und Entwicklungsprozesse von Bedeutung ist.
Hans-Joachim Otto, FDP: Zum einen muss
der Staat ein verlässlicher Partner für die Kultur sein.
Das heißt, dass er den Kulturinstitutionen, für die er
Verantwortung trägt, Planungssicherheit gibt und mit ihnen
klare Vereinbarungen über die zu erreichenden Ziele
schließt. Die Verlässlichkeit des Staates in diesem
Bereich ist die Voraussetzung dafür, dass sich Private als
Partner für die weitergehende Förderung von Kultur
gewinnen lassen. Zum anderen sehe ich Handlungsbedarf in den
Bereichen, in denen der Staat für die Schaffung von
Rahmenbedingungen verantwortlich ist. In der Enquete-Kommission
haben wir uns intensiv mit den rechtlichen Rahmenbedingungen von
Theatern und Orchestern, aber auch anderer Kulturinstitutionen
beschäftigt. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, denn
gerade Theater sind in bürokratischen Hemmnissen gefangen, von
denen sie dringend befreit werden müssen. Ein Beispiel
hierfür ist die Fehlbetragsfinanzierung, die jeglichen Anreiz
zunichte machen, zusätzliche Mittel einzuwerben. Hier
müssen wir grundsätzlich zu einer Festbetragsfinanzierung
übergehen, die das Engagement beim Einwerben von
zusätzlichen Mitteln belohnt. Auch im Bereich des Tarifrechts
gibt es zahlreiche abwegige Vorschriften, die nicht nur im
wörtlichen Sinne aus dem letzten Jahrhundert kommen. Einen
konkreten Handlungsbedarf gibt es beispielsweise auch bei der
Künstlersozialversicherung, deren Finanzierungsgrundlage in
der jüngsten Zeit in eine Schieflage geraten ist. Hier
müssen wir zu einem fairen Ausgleich der Interessen von
Versicherten und Verwertern kommen.
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