Thomas Sternberg
Pro: Schutz für geistige Ressourcen
Kultur als Staatsziel ins
Grundgesetz?
Ist Deutschland eher mit der sich selbst regulierenden Natur
eines Biotops oder mit der gewachsenen und gestalteten Anlage eines
Gartens vergleichbar? Es scheint eine Banalität, auf die
herausragende Bedeutung kultureller Elemente für die
Lebensführung der Einzelnen und der Gesellschaft hinzuweisen -
und doch sehen sich Aufwendungen für kulturelle Aufgaben einem
hohen Legitimationsdruck gegenüber. Nicht dass es keine
Kulturförderung gäbe: vor allem die Kommunen
ermöglichen in Deutschland ein kulturelles Leben, das sich
auch im Vergleich sehen lassen kann.
Die Verfassungen der Länder weisen als Verantwortliche
für die Kultur auf die Förderverpflichtung hin, die sich
aus ihrer Selbstdefinition als Kulturstaaten ergibt. Anders ist es
im Grundgesetz (GG): Hier fehlt ein Hinweis auf die
Kulturförderung, was sich wohl eher aus der Vermeidung von
Staatszielangaben in der deutschen Verfassungstradition ergibt als
aus einer Abwertung kultureller Aufgaben, die doch vor allem in der
Entstehungszeit des GG als lebensnotwendig für die
Selbstfindung nach dem Ende des Krieges und des Nationalsozialismus
erfahren wurden.
Artikel 5 Absatz 3 des GG formuliert die Freiheit der Kunst,
woraus - in Verbindung mit der Rechtsprechung - manche eine
Förderverpflichtung des Staates ableiten. Es ist aber ein
wichtiger Unterschied, ob negativ der Kunst die nur durch die
Verfassung eingeschränkte freie Entfaltung zugesichert wird,
oder ob positiv eine in Deutschland praktizierte Förderung
festgestellt und als Ziel genannt wird.
Den Bedenken einiger Ministerpräsidenten, eine
Ergänzung des Artikel 20 GG würde die Kulturhoheit der
Länder beeinträchtigen, ist zu entgegnen, dass die
Formulierung eines für den gesamten Bundesstaat geltenden
Zieles noch nichts über die Kompetenz zu seiner Ausgestaltung
sagt. Es geht um die Frage, ob die Förderung der Kultur -
nicht als einer Ereigniskultur, sondern als eine alltägliche
und notwendige Lebensäußerung von der Breitenkultur bis
zur Spitzenleistung - eine größere Verbindlichkeit
erhält, als es bislang der Fall ist.
Kulturförderung wird nicht Pflichtaufgabe im
verwaltungsjuristischen Sinn werden können, aber sie kann auch
nicht ins völlige Belieben gestellt bleiben. Die Gemeinden
würden in ihren hohen Aufwendungen für die
Kulturförderung gestützt. Wenn sich die Vorstellung
verbreitet, hier würden statt eine gesellschaftlich
lebenswichtige Aufgabe zu erfüllen Partikularinteressen
"bedient", dann bedarf es der Fixierung des gesellschaftlichen
Konsenses über die Bedeutung der Kultur. Eine
Staatszielbestimmung würde einen "Infrastrukturauftrag" des
Staates für das kulturelle Leben formulieren.
Wäre das GG noch so "staatszielfern", wie es
ursprünglich angelegt war, griffen die Argumente gegen die
Aufnahme einer Staatszielbestimmung. Dies ist aber spätestens
seit der Aufnahme des Umwelt- und Tierschutzes nicht mehr der Fall.
Das GG hat seitdem eine Schlagseite: Die natürlichen
Ressourcen des Landes werden als schutz- und
förderungswürdig benannt, nicht aber die geistigen seiner
Bevölkerung.
Der Autor ist Akademiedirektor i. K. der Katholisch-Sozialen
Akademie, Münster.
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