Carmen Molitor
Keine Zeiten "armer Poeten"
Die Reformen machen die
Künstlersozialversicherung zukunftssicherer
Da liegt er krank in der Dachmansarde auf der
Matratze, ein Schirm schützt ihn vor Regen und sein Manuskript
befeuert den Ofen: Zwar ist die Lage der Künstler und
Künstlerinnen heute nicht mehr ganz so prekär, wie Carl
Spitzweg es 1839 in seinem Gemälde "Armer Poet" dargestellt
hat. Aber Künstler müssen auch heute noch
Lebenskünstler sein. Sieht man von der kleinen Riege der Stars
ab, gehören selbständige Schauspieler, Publizisten,
Bildhauer oder Musiker zu den Geringverdienern der Republik. Von
den 140.000 Versicherten der Künstlersozialkasse erzielen nur
6.500 ein Jahreseinkommen über 30.000 Euro. Länger krank
werden können sie sich nicht leisten - alt werden auch nicht,
denn für eine ausreichende soziale Absicherung fehlt das
Geld.
Ende der 70er-Jahre schickte sich die
sozialliberale Regierung an, etwas gegen das Dauerproblem der
sozialen Not selbständiger Künstler zu tun. Absicherung
war damals nur durch private Kranken- und Altersversicherungen
möglich, doch die niedrigen Honorare sorgten dafür, dass
viele Künstler Sozialfälle wurden - besonders im Alter.
Im "Künstlerbericht der Bundesregierung" von 1975 wurde die
Diskussion angestoßen, inwieweit die Kreativen
selbständige Unternehmer sind und ob die
arbeitnehmerähnlichen Merkmale nicht doch überwiegen.
Denn für die Vermarktung der Bilder, Texte und Töne sind
sie in der Regel von Verwerterfirmen abhängig. Diese Idee ist
Grundlage für ein umstrittenes Gesetz, dass 1976 die Regierung
Schmidt vorlegte: das Künstlersozialversicherungsgesetz.
Selbständige Künstler und Publizisten sollten fortan in
der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung pflichtversichert
werden. Die Beiträge dazu müssen sich Kreative und ihre
Vermarkter seitdem teilen.
Heftige und lange Debatten
Doch der Entwurf wird erst nach Jahren
heftiger Debatten mehrheitsfähig, als der Bund sich in die
Finanzierung einklinkt: Die Hälfte des Beitrags bezahlt der
Versicherte, den "Arbeitgeberanteil" teilen sich der Bund und die
Verwerter. Der Bundeszuschuss von einem Drittel entlastet die
Kulturwirtschaft von den Kosten für den Anteil der
Künstler, die sich selber vermarkten. So tritt das Gesetz am
1. Januar 1983 in Kraft. Ein Meilenstein für die soziale
Absicherung der freien Künstler.
Die Durchsetzung hat viele Tücken: Die
Verwaltung der Künstlersozialkasse (KSK) ist durch die
große Versichertenzahl überfordert. Probleme bereitet,
dass die Versichertenbeiträge erst im Nachhinein festgelegt
werden - und durch die Neuberechnungen, Rückzahlungen und
Nachforderungen ein hoher Verwaltungsaufwand entsteht.
Außerdem weigern sich die Verwerter hartnäckig zu zahlen.
Sie rufen 1987 das Bundesverfassungsgericht an. Doch die Richter
halten das Gesetz im Wesentlichen für verfassungskonform. 1988
bekommt es seinen bis heute gültigen Rahmen: Die
Künstlersozialkasse, die den Status der Versicherten
feststellt und die Beiträge einzieht und weiterleitet, wird an
die Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen angegliedert. Der
monatliche Versicherten-Beitrag wird nach einer
Jahresschätzung der Einkommen im Voraus festgelegt,
verbindliche jährliche Mindestbeiträge eingeführt.
In der Folge sorgen vor allem die Höhe des Bundeszuschusses
und der Abgabesatz für die Vermarkter für Streit. 1999
wird der Bundeszuschuss von 25 auf 20 Prozent gesenkt, der
Verwerteranteil steigt auf 30 Prozent.
In den vergangenen Jahren wuchs die Sorge,
wie lange das in Europa einmalige soziale Netz für die
Künstler bestehen bleibt. Die öffentlichen Kassen sind
leer und die Kulturwirtschaft steckt in der Krise. Sie klagt
über die steigenden Belastungen durch die
Künstlersozialabgabe. Wie sehr die Angst unterschwellig
brodelt, zeigte sich im November 2004 als eine Bemerkung der
Bundestagsabgeordneten Gitta Connemann (CDU) stürmische
Reaktionen auslöste. "Soll die KSK erhalten werden, kann sie
überhaupt erhalten werden?" hatte die Vorsitzende der
Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" in einer Pressemeldung
vor der Öffentlichen Anhörung zur wirtschaftlichen und
sozialen Absicherungen für Künstlerinnen und
Künstler geschrieben. Massenhafte energische Proteste der
Versicherten und ihrer Interessenverbände prasselten auf die
Enquetekommissions-Mitglieder nieder. Das Ende der
Künstlersozialversicherung schien besiegelt. Ein
Missverständnis: "Es ist nicht unsere Absicht, die
Künstlersozialversicherung abzuschaffen", beschwichtigte
Connemann. Doch die Bestandsaufnahme in der Anhörung zeigte,
dass Reformen in die Wege geleitet werden müssen, um die
KSK-Finanzierung zu sichern.
Nur: Woher soll das Geld kommen? Von den
Versicherten selber, betonten die Verwerter und die CDU. Der
tatsächliche Künstlerstatus der Versicherten und die
Angaben über ihr voraussichtliches Einkommen würden zu
lasch geprüft. Dem widerspricht der Leiter der KSK, Harro
Bruns. Das Prüfungsamt des Bundes habe bestätigt, dass
die Prüfungen korrekt verliefen. Die Ablehnungsquote neuer
Bewerber für die KSK läge bei 27 Prozent. Auch die Praxis
der nachträglich eingereichten Einkommensnachweise hält
er wegen des hohen Verwaltungsaufwandes für nicht
durchführbar.
Man sollte die "schwarzen Schafe" unter den
Verwertern zur Kasse bitten, verlangen die KSK und der
Bundesverband der Veranstaltungswirtschaft. Zu viele würden
sich ihrer Abgabepflicht entziehen. Zur Überprüfung
brauche die Künstlersozialkasse mehr Personal. Wenn mehr
Verwerter die Last gemeinsam trügen, könne der Abgabesatz
spürbar gesenkt werden.
Der Bund muss mehr bezahlen, fordert die CDU.
Der durch Rot-Grün gesenkte Bundeszuschuss (zurzeit 100
Millionen Euro pro Jahr) solle im Falle eines Wahlsieges der
CDU/CSU wieder auf 25 Prozent aufgestockt werden, kündigte der
Kulturpolitiker Norbert Lammert (CDU) in der "Berliner Zeitung"
an.
Runder Tisch bringt Bewegung
Auch nach dem Wirbel um die Anhörung
bleibt die KSK auf der politischen Agenda: Im März 2005
forderten die Regierungsfraktionen im Bundestag mit einem Antrag
für die "Stärkung der Künstlersozialversicherung"
mehr Personal für die KSK und eine bessere Prüfung der
Zugehörigkeit der Versicherten zur KSK. Im April konstituierte
sich ein Runder Tisch vom Bundesministerium für Gesundheit und
Soziale Sicherung und Deutschem Kulturrat, der die KSK
"zukunftssicher" machen soll.
Eine Aufstockung des KSK-Mitarbeiterstabs
zeigte schon im Juni Erfolg: 4.257 neue abgabepflichtige
Unternehmen wurden entdeckt. Folge: Ab 2006 kann der Abgabesatz
für die Kulturwirtschaft von 5,8 auf 5,5 Prozent
sinken.
Die Angst, dass die
Künstlersozialversicherung fällt und die Zeiten des
"Armen Poeten" wiederkehren, ist vom Tisch, die Reformen in vollem
Gange. Und doch bleibt alles beim Alten bei der KSK, denn ihr
ständiger Wandel ist eben die Regel.
Internet:
www.kuenstlersozialkasse.de
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin
in Köln.
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