Michael Söndermann
Zuviel Vielfalt erschwert gesamtstaatliche
Kulturstatistik
Die Materialfülle könnte eine
fachliche Plattform bündeln
In den vergangenen Jahren ist das öffentliche Interesse an
Kulturstatistiken deutlich gewachsen. So hat sich die
Enquetekommission des Deutschen Bundestages "Kultur in Deutschland"
bereits auf einer ihren ersten Arbeitssitzungen im Jahre 2003 mit
dem Feld der Kulturstatistik befasst. Ein von der Enquetekommission
durchgeführtes Expertengespräch zum Thema
"Leistungsprofil und Leistungsdefizite der Kulturstatistik" mit
Vertretern des Deutschen Städtetages, des Statistischen
Bundesamtes und des Arbeitskreises Kulturstatistik e.V. (ARKStat)
sollte prüfen, welchen Beitrag die Kulturstatistik zu einer
Bestandsaufnahme des Kultursektors leisten kann. In Folge dieses
Gespräches wurde das Statistische Bundesamt beauftragt, ein
Gutachten zum "Anforderungsprofil einer bundeseinheitlichen
Kulturstatistik" zu erstellen. Es liegt inzwischen als
unveröffentlichte Untersuchung vor.
Zugleich hat die Präsidentin der Kultusministerkonferenz,
Johanna Wanka, bei ihrer Amtseinführung im Januar dieses
Jahres angekündigt, dass es wesentliche Impulse zur
Verbesserung der kulturstatistischen Arbeit im Hinblick auf eine
professionelle Unterstützung der Kulturpolitik geben muss. Auf
der Arbeitskonferenz des ARKStat mit dem Titel "Vom Nutzen einer
abgestimmten Kulturstatistik" im April 2005 forderte sie, dass -
vor allem im Zusammenhang mit Förderentscheidungen - eine
komplexere Betrachtung der Träger der Kultur, auch eine
erheblich komplexere Kulturstatistik erfordere.
Vielfältige kulturelle Infrastruktur
Der "ordnungspolitische" Hintergrund: In Deutschland gehört
die Kulturförderung zu den wenigen Politikfeldern, die von den
jeweiligen Gebietskörperschaftsebenen in Gemeinden,
Ländern und Bund weitgehend souverän und nach eigenen
Zielsetzungen gestaltet werden können. Neben diesen
staatlichen Körperschaftsebenen existieren die Ebenen der
zivilgesellschaftlichen Kulturverbände und freien Kulturszene,
der gemeinnützigen Kulturträger und -förderer sowie
der privatwirtschaftlichen Kulturmärkte. Die
kulturföderalistische Praxis, die Trägervielfalt der
Kultureinrichtungen und die heterogene Struktur der
kulturwirtschaftlichen Branchen haben bisher zu einer
vielfältigen künstlerischen und kulturellen Infrastruktur
in allen Regionen Deutschlands geführt.
Durch die besondere föderalistische Konstruktion und die
Differenzierung in einen öffentlichen, intermediären und
privatwirtschaftlichen Kultursektor gibt es in Deutschland
allerdings auch eine besonders komplizierte Lage bei der Steuerung
der Rahmenbedingungen von Kunst und Kultur. Während eine
zentral aufgebaute Kulturadministration das Feld der Kultur
einheitlich definieren, die Mittel zentral steuern und vor allem
die Gestaltung der zukünftigen Kunst- und Kulturentwicklung
mitbestimmen kann, soweit dies durch die zentrale Setzung der
Rahmenbedingungen planbar und steuerbar ist, gelingt das in einem
föderalistisch organisierten Staatswesen nur sehr bedingt.
"Ordnungspolitisch" diffuse Lage
Diese "Nicht-Steuerungsfähigkeit" einer deutschen
gesamtstaatlichen Kulturpolitik ist zum Teil sogar erwünscht,
wie bis vor kurzem aus der Kultusministerkonferenz - der
höchsten kulturpolitischen Ebene in Deutschland - des
öfteren zu hören war: Im Gegensatz etwa zu einer
einheitlichen Bildungspolitik, gebe es auf dem Gebiet der
Kulturpolitik gerade keinen Abstimmungs- oder Koordinierungsbedarf
zwischen den Bundesländern. Es gehe ja gerade um die besondere
Profilbildung eines Landes und nicht um einheitliche
Vergleichsstrukturen in der Kultur. Trotz dieser
"ordnungspolitisch" diffusen Lage hat es seit Ende der 80er-Jahre
in der Kultusministerkonferenz und zeitgleich bei der damaligen
Kulturabteilung des Bundesministeriums des Innern sowie beim
Kunstreferat des Bundesbildungsministeriums jeweils getrennte
Ansätze zum Aufbau einer bundesweiten Kulturstatistik gegeben.
Alle diese Bemühungen haben bis heute jedoch keine
gesamtstaatliche Kulturstatistik hervor gebracht.
Die fachspezifische Lage der Kulturstatistik: Der beschriebene
Hintergrund hat sich naturgemäß prägend auf die
gesamte Struktur und die Arbeitsweise der deutschen Kulturstatistik
ausgewirkt. Es ist eine Tatsache, dass der Vielfalt des
Kultursektors eine Vielfalt der Träger kulturstatistischer
Erhebungen und Datenbestände entspricht.
Natürlich ragen einzelne Erhebungen wie zum Beispiel die
Theaterstatistik, die Bibliotheksstatistik oder die
Musikschulstatistik, die wegen ihrer Qualität europaweit
gerühmt werden, heraus. Darüber hinaus hat das Fehlen
einer staatlichen oder amtlichen Kulturstatistik zu einer
reichhaltigen Quellenvielfalt von Datenbeständen geführt,
mit einer ähnlich großen Vielfalt methodischer
Ansätze und definitorischer Bemühungen. Nach dem vom
Bonner Zentrum für Kulturforschung Anfang der 80er-Jahre
begonnenen "Bestandsaufnahme Kulturstatistik" rechnet der
Arbeitskreis Kulturstatistik e.V. inzwischen mit über 200
Institutionen und Organisationen allein im nichtstaatlichen und
kommunalen Bereich, die für das Feld der Kultur- und
Medienstatistiken das Gros entsprechender Daten liefern.
Fazit: Die langjährigen Erfahrungen der Experten aus dem
Arbeitskreis Kulturstatistik e.V. konzentrieren sich auf zwei
grundsätzliche Erkenntnisse: Aufgrund der Fülle der
vorhandenen kulturstatischen Datenbestände ist es
erforderlich, eine fachliche Plattform für die Kulturstatistik
zu finden, die die Träger von Kulturdaten auf einer
kooperativen und abgestimmten Basis zusammenführt. So sollte
die Vielfalt der kulturstatistischen Träger grundsätzlich
nicht angetastet, sondern als sensibles Geflecht akzeptiert und die
Träger der kulturstatistischen Erhebungen behutsam zu einer
weiterführenden Kooperation animiert werden. Dies
schließt mit ein, dass es weniger um die Einführung neuer
gesamtstaatlicher Sondererhebungen gehen kann, sondern vielmehr um
den fachlichen Ausbau von vorhandenen im Feld bereits
eingeführten Fachstatistiken gehen sollte.
Diese Hinführung zu einer abgestimmten kulturstatistischen
Gesamtplattform erfordert demnach eine neutrale Organisationsform.
Eine wissenschaftliche Fachstelle, die sowohl in
Unabhängigkeit zu den Fachstatistiken wie zur amtlichen
Statistik eingerichtet werden sollte, scheint der geeignete Weg zur
schrittweisen Verbesserung der Lage der Kulturstatistik zu sein. So
kann die Trägervielfalt der Kulturstatistik über
Kooperationen und Netzwerke besser erhalten und auf eine neue Stufe
der Grundlagenarbeit zum Nutzen der Kulturpolitik geführt
werden.
Eine bundesweite Kulturstatistik in Deutschland kann nicht nach
dem Vorbild zentralistischer Staaten, zum Beispiel durch
Kulturstatistikgesetze, gefördert werden. Vielmehr wird sie
ihren Weg zu einer intelligenten und partnerschaftlich abgestimmten
Kulturstatistik finden, wenn die Politik sie zu ihrem eigenen
Nutzen dabei unterstützt.
Der Autor ist Vorsitzender des Arbeitskreis Kulturstatistik e.V. im
Haus der Kultur in Bonn, zu dem rund 30 Mitglieder und 100
Teilnehmer/innen aus dem Umfeld der Kulturstatistik zählen.
Der Verein arbeitet ausschließlich ehrenamtlich,
öffentliche Mittel stehen derzeit nicht zur
Verfügung.
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