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Tina Heidborn
Blut, Schweiß und Tränen
Kunst ohne Worte: der Tänzer Gregor
Seyffert
Wer sich für den Beruf des Tänzers entscheidet, legt
sich für ein halbes Berufsleben fest: Bis zu acht Stunden
täglich Proben, an Abenden und Wochenenden Auftritte.
"Schmerzen, Schweiß und Blut", sagt Gregor Seyffert, "klingt
wie ein Klischee, ist aber so." Der Mann, der eine Vorliebe
für Kopftücher hat, ist 37 Jahre alt und tanzt selbst
noch. Daneben hat er sich seine eigene freie Tanz-Compagnie
aufgebaut, arbeitet zugleich am Stadttheater in Dessau und ist auch
noch der künstlerische Leiter der Staatlichen Ballettschule
Berlin. Wenn der zierliche, extrem durchtrainierte Mann das aktive
Tanzen aufgibt, macht sein Berufsleben keine Pause. Seyffert,
ehemaliger Solist an der Komischen Oper Berlin, ist ein
Ausnahmetänzer.
"Eigentlich bleibt in diesem Beruf kein Raum, um sich parallel
für etwas anderes zu engagieren", ist Seyffert überzeugt.
Tänzer reden von Anfang ihrer Karriere an über das Ende,
doch kaum einer schafft es, neben dem Tanzen noch einen zweiten
Berufsweg vorzubereiten. Gregor Seyffert träumt von Fonds wie
in Skandinavien, die Tänzern Übergangsgelder zahlen, wenn
sie mit Mitte 30 mit dem Tanz aufhören. Damit sie ein, zwei
Jahre wirklich Zeit haben, um sich umzuorientieren. "Solisten
verdienen genug, um Rücklagen zu bilden, die Masse der
Gruppentänzer nicht." Wenn es sehr gut läuft, werden
Tänzer später Ballettmeister, Theaterdisponenten oder
wechseln in verwandte Bühnenberufe. Es gibt aber auch
Tänzer, die gehen aus dem Rampenlicht an die Garderobe oder
die Pforte, oder machen etwas ganz Neues.
"Verglichen mit den anderen Berufsgruppen am Theater sind
Tänzer schlecht bezahlt", hält Seyffert fest. Der
öffentliche Dienst zahlt um so mehr, je älter jemand ist.
Tänzer tanzen nur die erste Hälfte eines Berufslebens.
Das mache es ihnen zugleich sehr schwer, eine eigene Lobby
aufzubauen. In Orchestern und Schauspiel-Ensembles hingegen
gäben ältere Kollegen ihre Erfahrungen an jüngere
weiter - auch was die Vertretung eigener Interessen angehe.
Wer als Tänzer an einem Theater fest angestellt ist, hat
Vorteile: Tarifverträge regeln Arbeitszeiten, Urlaubs- und
Krankengeld, Gehalt. Doch Seyffert tut sich schwer mit
"gewerkschaftlich verregelten Institutionen wie dem
öffentlichen Dienst": "Da fällt pünktlich um 18.00
Uhr mit Probenschluss der Hammer, auch wenn der Tänzer gerade
im Sprung ist." Was man persönlich ja verstehen könne.
Doch für den künstlerischen Anspruch seien
Festanstellungen manchmal schwierig, lähmten das Klima in den
Häusern. "Wer eine Chance haben will, um in der Kunst
erfolgreich zu sein, der muss enormes Engagement erbringen", hebt
Seyffert hervor. "Für mich ist Tanzen nicht ein Beruf, sondern
eine Berufung".
Er kennt auch das freiberufliche Tanzen aus eigener Erfahrung.
"Der Markt ist knallhart. Da gibt es kein soziales Netz darunter."
Der Tänzer als selbstständiger Unternehmer hat den
Körper als sein Kapital: Bezahlt wird ausschließlich
für das, was auch getanzt wird, nach erbrachten Proben,
Premieren und Aufführungen. Fällt der Tänzer aus,
geht er leer aus. "Freie Tänzer können sich Krankheit
nicht leisten", sagt Seyffert.
Wer jemals mit Tanzen Geld verdienen will, muss früh
anfangen und schon als Kind zielstrebig an sich arbeiten. Gregor
Seyffert ist im reglementierten System einer DDR-Elite-Ausbildung
aufgewachsen. Die Staatliche Ballettschule Berlin, die er
mitleitet, bietet seit vier Jahren ihren Schülern an, parallel
zur Tanzausbildung auch das Abitur zu machen. Eltern und
Schüler legten zunehmend Wert darauf. "Die heutigen
Schüler sind bewusster, sie sind praktischer orientiert",
stellt Seyffert fest. Selbst Spitzentänzer brauchen in ihrem
Leben noch einen anderen Brotberuf. Bis zur Rente tanzt keiner.
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.
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