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Carmen Molitor
Ersetzt der Branchenfrust die Branchenlust?
Auswirkungen der Hartz-Gesetzgebung auf den
Kulturbereich
Fluch oder Segen? Kaum eine
arbeitsmarktpolitische Regelung hat in den vergangenen Jahren
soviel erbitterte Diskussionen ausgelöst wie die
Hartz-Gesetzgebung. Auch im Kulturbereich streiten sich die Geister
über die Auswirkungen auf die Branche und die
Beschäftigten.
Nun sag, wie hälst Du's mit Hartz IV?"
wollte die Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" Ende Mai von
den Fachleuten aus Verlagen, Museen, Bibliotheken, Theater und Film
wissen. Die Gretchenfrage zur Öffentlichen Anhörung
"Auswirkungen der Hartz-Gesetzgebung auf den Kulturbetrieb" wurde
von den betroffenen Interessenverbänden - vor allem, was die
strukturellen Auswirkungen der Ein-Euro-Jobs auf die Branche
betrifft, unterschiedlich beantwortet. Während die einen
Morgenluft für neue Projekte wittern, befürchten die
anderen durch die Zusatzjobber einen Qualitätsverlust in der
kulturellen Arbeit und ein Ausbluten der ohnehin knappen festen
Stellen in diesem Sektor.
Im öffentlich subventionierten
Kulturbereich sind alternative Beschäftigungsverhältnisse
nichts Neues. Seit Jahrzehnten steht und fällt beispielsweise
die Arbeit von Bibliotheken und Museen mit den für sie
bewilligten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM). In
jüngster Zeit werden ehemals sozialversicherungspflichtige
Jobs immer öfter von Honorarkräften mit
Werkverträgen erledigt. Der Arbeitsmarkt Kultur ist in der
Krise: Von 2001 bis 2004 sank die Zahl der
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten um 20.000 auf
332.500. Im Jahr 2003 lag die Arbeitslosenquote in Kulturberufen
bei 25 Prozent. 41 Prozent der Kulturschaffenden sind
selbstständig, insgesamt 318.000 Menschen - mit eher kargem
Salär: Sie erzielen laut Künstlersozialkasse ein
durchschnittliches Jahreseinkommen von nur 11.000 Euro. Und die
Zahl derer steigt, die als "Unternehmer" lediglich die drohende
Arbeitslosigkeit umschiffen wollen.
Furcht vor Verdrängung
Angesichts dieser Situation befürchtet
der Deutsche Kulturrat als Spitzenverband der
Bundeskulturverbände bei einem intensiven Einsatz von
Ein-Euro-Jobs eine vielfältige Verdrängung auf breiter
Basis: von Honorarjobs, ABM-Stellen, Ausbildungsplätzen und
ehrenamtlicher Arbeit. Es müsse sehr darauf geachtet werden,
dass die Zusatzjobs tatsächlich - wie vom Gesetz gefordert -
nur zusätzlich eingerichtet werden, fordert der Rat. Auch die
Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände sieht die
Gefahr, dass die Ein-Euro-Jobs feste Arbeitsverhältnisse
bedrohen könnten und rät von ihrem Einsatz in rein
künstlerischen Arbeitsfeldern ab. Die Vertretung von
Städtetag, Landkreistag, Städte- und Gemeindebund sieht
durch die Zusatzjobber eine starke Mehrbelastung auf die
Angestellten zukommen: Sie seien zusätzlich zur ihrer Arbeit
als eine Art "Coach" und "Ausbilder" der Langzeitarbeitslosen
gefragt - und das, wegen der kurzen Regeldauer des Einsatzes von
nur sechs Monaten, ständig aufs Neue. Aufgrund der kommunalen
Finanznot sieht die Bundesvereinung keine Chancen, dass über
Zusatzjobs ein "unmittelbarer Einstieg in den öffentlich
finanzierten Arbeitsmarkt Kultur gelingt". Dieser Weg ist schon
für die ABM-Kräfte, die zwölf Monate in den
Betrieben sind, immer schwieriger geworden.
Keine Rücksichtnahme auf
Spielregeln
Optimistischer sieht der Präsident des
Deutschen Museumsbundes, Michael Eissenhauer, die Auswirkungen der
"Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigungen": "Bei
adäquatem und umsichtigem Einsatz bietet die neue Regelung
für Museen eine große Chance", findet er. Die Arbeit der
Zusatzjobber sei eine "willkommene Möglichkeit", für die
Inventarisierung noch unbearbeiteter Sammlungsbestände,
für die Konzeption neuer Ausstellungsbereiche und nötige
Ordnungs-, Reparatur- und Reinigungsarbeiten in den Museen. Da die
regulären Stellen im Museumsbereich sowieso immer weiter
abgebaut werden, sieht Eissenhauer durch die Jobber keine
potentielle neue Bedrohung. Auch Christiane Ziller von der
Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren beurteilt den Einsatz
von Ein-Euro-Jobbern grundsätzlich positiv. Sie hofft auf
"innovative Impulse durch Quereinsteiger/-innen, vor allem im
Bereich der inhaltlichen Projektarbeit" und glaubt, dass "Arbeiten
oder auch Projekte durchgeführt werden, die sonst nicht
möglich wären." Wichtige Voraussetzung dafür sei
aber "eine vorhandene stabile personelle und technische
Kernstruktur". Denn auch Ziller befürchtet eine "emotionale
Belastung" der festen Mitarbeiter, wenn sie Langzeitarbeitslose
betreuen, die zum Teil in einer schwierigen psychischen Verfassung
sind - und nach sechs Monaten schon wieder gehen müssen.
Insgesamt wartet die Branche ab. Hochfliegende Pläne wie die
des Verlegers Hans J. Heinrich, der vorschlug, mit Hilfe von 10.000
Zusatzjobbern große Teile des deutschen Kulturgutes zu
digitalisieren, werden eher skeptisch betrachtet.
Neben den strukturellen Auswirkungen
fürchten Kulturschaffende die persönlichen Konsequenzen
von Hartz IV, falls sie arbeitslos werden. Sie beklagen, dass die
Regelungen zum Arbeitslosengeld II sie besonders hart treffen, weil
das Gesetz die besonderen Spielregeln der Kulturbranche nicht
berücksichtige. Viel mehr als andere Beschäftigte seien
sie in der Gefahr, durch die Hartz-Anforderungen in einer Notlage
aus ihrem Beruf herausgedrängt zu werden. Ein Beispiel: die
geforderte Auflösung von Vermögen vor Bezug von
Arbeitslosengeld II. Muss ein arbeitsloser Konzertpianist seinen
Flügel oder ein Autor seine wertvolle Bibliothek verkaufen,
bevor er ein Anrecht auf Arbeitslosengeld II erwirbt? Muss eine
Malerin ihre Werke vermarkten und dabei auch Dumpingpreise
akzeptieren? Muss ein Bildhauer sein Atelier aufgeben, wenn die
Wohnungsgröße mit diesem Raum die erlaubte
Quadratmeterzahl überschreitet? In den meisten Fällen
heißt die Antwort auf diese Fragen: "Nein, aber…" Die
Voraussetzungen für eine Unterstützung werden
härter.
Die Filmbranche schlägt besonders in
einem Fall Alarm: Ab 1. Februar 2006 hat nur noch der Anrecht auf
Arbeitslosengeld, der 360 sozialversicherungspflichtige Arbeitstage
innerhalb von zwei Jahren nachweisen kann. Bislang war die
Rahmenfrist drei Jahre. Dazu muss man wissen, dass es in der Film-
und zum Teil auch in der Theaterbranche üblich ist,
Anstellungsverträge abzuschließen, selbst wenn die Arbeit
nur für einen Tag dauert. Das ist Vorschrift, weil
Schauspielern, Kameraleuten und Ausstattern die
Selbstständigkeit ihrer Arbeit abgesprochen wurde, da sie nach
Anweisungen eines Regisseurs arbeiten.
Doch 360 Arbeitstage innerhalb von zwei
Jahren zu erbringen, schaffen höchstens 20 bis 30 Prozent der
Filmschaffenden, schätzt der Bundesverband Regie.
Regelmäßige Pausen zwischen den Filmproduktionen seien
die Regel. Die Firmen verlangen sogar diese Pufferzeiten von den
Mitarbeitern, um gerüstet zu sein, falls sich die
Produktionszeiten einmal nach vorne oder hinten verschieben.
Bislang konnten diese Wartezeiten durch Arbeitslosengeld
überbrückt werden. "Groteskes Ergebnis" der
Hartz-Regelung sei, dass nun ausgerechnet die Erfolgreicheren,
Besserverdienenden und die Macher von wenig gehaltvollen
Serienproduktionen ihr Anrecht auf Arbeitslosengeld wahren werden.
Die seltener Beschäftigten und Geringverdiener, zum Beispiel
viele Beteiligte an Fernsehspiel- und Dokumentarfilmen, müssen
zwar weiterhin Tausende von Euro in die Arbeitslosenversicherung
einbezahlen - erhalten höchstwahrscheinlich aber kein Geld
mehr aus dieser Kasse zurück. "Ohne ein schnelles Handeln wird
der Filmstandort Deutschland in eine schwere Krise geraten!" warnt
Steffen Schmidt-Hug, Geschäftsführer des Bundesverbandes
Regie. Der Anruf des Bundesverfassungsgericht in dieser Frage
scheint nur eine Frage der Zeit.
Tendenz zu
"Notselbstständigkeiten"
Wie sehr die Kulturschaffenden die
finanziellen Fördermöglichkeiten durch die Hartz-Gesetze
nutzen und wie erfolgreich sie damit sind, lässt sich noch
kaum beziffern. Die ersten Ich-AGs wurden am 1. Januar 2003
bezuschusst und laufen erst 2006 aus. Genaue Zahlen, wie viele
Kulturschaffende darunter sind, gibt es nicht. 2004 waren jedoch
3,9 Prozent der insgesamt 171.300 Geförderten aus dem Bereich
Kultur, Sport und Unterhaltung. Marcus Kuhlmann,
Geschäftsführer des Bundesverbandes der Freien Berufe
(BFB), hält die Ich-AG für "keine echte hilfreiche
finanzielle Starthilfe", da die Zuschüsse fast
vollständig durch die Beiträge zur Renten- und
Krankenversicherung aufgezehrt würden. Auf die andere
Finanzierungsalternative, das Überbrückungsgeld,
hätten nur wenige Kulturarbeiter ein Anrecht, weil der
Arbeitslose dafür vorher abhängig beschäftigt sein
muss. Kuhlmann sieht die Tendenz zu wirtschaftlich wenig
ausgereiften "Notselbstständigkeiten", die nur zur Vermeidung
des Bezuges von Arbeitslosengeld II in Angriff genommen werden. In
die Selbstständigkeit gedrängt würden auch
Künstlerinnen und Künstler, deren Auftragslage von
erheblichen Schwankungen geprägt ist, und die früher
diese Wartezeiten auf einen neuen Job durch das Arbeitslosengeld
überbrücken konnten. Die neuen Zumutbarkeitsregelungen
verlangen jedoch, dass die Betroffenen auch fachfremde
Tätigkeiten annehmen. Das führe für viele "faktisch
zum Berufsverlust", so Kuhlmann. Doch für viele ist die Kunst
eher Berufung als Beruf. Und deshalb fliehen sie vor den
Hartz-Regelungen lieber - in eine ungewisse
Selbstständigkeit.
Carmen Molitor arbeitet als freie Journalistin in
Köln.
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