|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Kulturinstitutionen müssen sich für die
Konkurrenz wappnen
Im Gespräch: Norbert Sievers,
Geschäftsführer der Kulturpolitischen
Gesellschaft
Der dritte Kulturpolitische Bundeskongress der
Kulturpolitischen Gesellschaft und der Bundeszentrale für
politische Bildung in Kooperation mit der Friedrich-Ebert Stiftung
in Berlin traf mit dem Thema "Kulturpublikum" den Nerv der Zeit.
Die Kulturpolitik muss mehr darauf achten, was nachgefragt wird,
will sie in Zukunft erfolgreich Publikum anlocken. Ines Gollnick
sprach mit Nobert Sievers, Geschäftsführer der
Kulturpolitischen Gesellschaft, über die schwierige
Partnerschaft mit Zuhörern, Zuschauern und Besuchern.
Das Parlament: Herr Sievers, warum
brauchen wir zukünftig eher eine nachfrageorientierte und
keine angebotsorientierte Kulturpolitik?
Norbert Sievers: Es gibt in weiten
Teilen genügend Angebote im Kulturbereich. Die bisherige
Kulturpolitik, die so genannte "Neue Kulturpolitik" hat seit den
70er-Jahren eine Fülle an neuen Einrichtungen und Programmen
im öffentlichen Bereich geschaffen. Das Angebot, so eine
Schätzung, soll sich in den vergangenen 30 Jahren verzehnfacht
haben. Hinzugekommen ist, dass auch im privat-kommerziellen Bereich
das Angebot im Freizeit- und Kulturbereich enorm gestiegen ist.
Denken Sie nur an die Musicals und die Konzertveranstalter, die
dazu gekommen sind - ganz abgesehen von den Medienangeboten. Das
hat zu einer Vielfalt von kulturellen Teilhabemöglichkeiten
geführt, die eine gewisse Sättigung auf dem "Markt"
bewirkt haben und heute zu der Einsicht führen, dass
kulturelle Beteiligung im Sinne der Inanspruchnahme von Angeboten
eine begrenzte Ressource ist. Die Entwicklung war dadurch
begünstigt, dass es ein Mehr an Freizeit, Geld und an Bildung
gab. Das sind die drei wesentlichen Voraussetzungen für die
kulturelle Beteiligung. Nun gibt es seit einigen Jahren auch dort
Einbrüche, zumindest was die Faktoren Geld und Zeit angeht.
Deshalb muss man heute wieder stärker auf das Publikum
schauen, also auf die Nachfrage. Die wesentliche Frage lautet:
Steht den neuen Angeboten, die jetzt geschaffen werden, heute und
in Zukunft noch eine genügende Nachfrage gegenüber
beziehungsweise wie kann kulturelles Interesse, das sich als
Nachfrage artikuliert, geschaffen werden? Der Kongress
"publikum.macht.kultur" sollte den Anstoß geben,
zukünftig in der Kulturpolitik von diesem Ansatz her zu
denken. Früher hat man im öffentlichen Bereich nie oder
nur selten nach dem Bedarf gefragt, wenn beispielsweise ein neues
Museum gebaut wurde. Das wird sich ändern
müssen.
Das Parlament: Wird dem "Diktat der
Quote" damit nicht Tür und Tor geöffnet und zu sehr auf
den Publikumsgeschmack gezielt?
Norbert Sievers: Das ist eine reale
Gefahr, und es war immer schon eine. Ich glaube, man kommt nicht
daran vorbei, auch in Kategorien des Bedarfs und der Nachfrage zu
denken, um die Häuser zu füllen. Das ist immer eine
Gratwanderung. Den Intendanten und Direktoren an den Theatern und
Museen gelingt diese auch einigermaßen - jedenfalls den guten.
Sie achten auf Qualität und bekommen die Häuser voll.
Sofern dies gelingt, hat Kulturpolitik kein Problem. Bricht eine
Bedingung weg, werden kritische Fragen gestellt, weil Kulturpolitik
sich als öffentliche Aufgabe legitimieren muss und deshalb
nicht nur ein Unterhaltungsangebot offerieren darf, das private
Anbieter auch zur Verfügung stellen könnten. Die Frage,
ob Kultur eigentlich eine öffentlich zu finanzierende oder
eine privat zu organisierende Aufgabe ist, steht immer stärker
im Raum zum Beispiel vor dem Hintergrund der
EU-Dienstleistungsrichtlinie. Hiermit sollen ja immer weitere
Bereiche, die öffentlich organisiert und finanziert worden
sind, in den Markt abgedrängt werden. Davon ist die Kultur
natürlich auch betroffen und muss sich hier
wappnen.
Das Parlament: Welche Gefahr liegt
darin, dass offenbar ein Publikum unterwegs ist, das hungrig nach
Unterhaltung und Erlebnis ist und den Bildungsanspruch völlig
hinten anstellt - Stichwort Kulturflaneure?
Norbert Sievers: Die Tatsache, dass
sich die Menschen immer spontaner entscheiden, was sie abends oder
während der Woche machen wollen, hat Konsequenzen. Die
Abonnentenzahlen gehen enorm zurück. Eine langfristige Planung
im Kulturbereich fällt schwer. Und ich vermute, diese
kurzfristigen Entscheidungen sind sehr viel stärker vom
Erlebnis- und Unterhaltungsanspruch geprägt, als das
möglicherweise früher der Fall war. Die Anbieter stehen
schon vor dem Problem, inwieweit sie diesem Bedürfnis
nachgeben. Das Bildungsinteresse war für die Kulturteilhabe
schon immer nur ein Motiv unten anderen. Je mehr es im Mix der
Motive an Bedeutung verliert, umso mehr bekommt die Kulturpolitik
ein Problem.
Das Parlament: Was müssen
Institutionen, die öffentlich gefördert werden, lernen,
um selbst mehr Geld zu erwirtschaften?
Norbert Sievers: Auf jeden Fall ist
die Qualität der Arbeit wichtig. Es müssen gute
"Produkte" geliefert werden, die beim Publikum Interesse wecken.
Jetzt nicht nur in dem Sinne, dass sie leicht konsumierbar sind,
sondern dass sie auch hohen Ansprüchen genügen. Auf der
anderen Seite müssen sich die Kulturinstitutionen noch mehr,
als sie es bisher getan haben, als Marktteilnehmer begreifen. Die
Institutionen sind nicht mehr nur Kunstproduzenten, die sich auf
einer Insel befinden und so tun könnten, als sei die
Inanspruchnahme der öffentlichen Angebote und Einrichtungen
und damit natürlich auch deren gesellschaftliche Wirkungen nur
eine Frage des Publikums. Sie sind Marktteilnehmer, konkurrieren
mit anderen Einrichtungen und müssen ihr Management darauf
ausrichten.
Das Parlament: Brauchen wir
überhaupt noch die klassischen Repräsentationsorte der
kulturellen Öffentlichkeit - sprich des Publikums - wo ja
sowieso nur ein geringer Teil der Bevölkerung
ankommt?
Norbert Sievers: Ich denke schon, dass
die Gesellschaft diese Orte des öffentlichen Räsonnements
braucht, auch wenn sie nur eine Minderheit in der Bevölkerung
erreichen. Trotzdem stehen sie stellvertretend für das
Prinzip, dass man Orte und Bühnen des Erinnerns, des
Nachdenkens und des Diskurses benötigt - und zwar als ein
öffentliches Geschehen. Das ist für die offene,
demokratische Gesellschaft ganz, ganz wichtig. Nur darf die
Kulturpolitik nicht so tun, als sei sie die einzige Instanz, die
das in der Gesellschaft macht. Menschen denken an ganz
verschiedenen Orten nach, nicht nur im Theater und in den Museen.
Da muss die Kulturpolitik ein wenig von ihrem hohen Ross
herunterkommen. Die Theater sind nicht mehr der Ort, wo sich das
Bürgertum wieder findet, wenn sie es denn je waren. Das gibt
es in dieser Form gar nicht mehr. Die Gesellschaft hat sich
ausdifferenziert, ist nicht nur älter, sondern auch bunter und
vielgestaltiger geworden. Es gibt heute viele kulturelle
Öffentlichkeiten und Orte, wo sich diese bilden
können.
Das Parlament: Sie sagen,
nachfrageorientierte Kulturpolitik ist vor allem kulturelle
Bildungspolitik. Hat Kulturpolitik darauf schon ausreichend
reagiert, wenn diese Annahme stimmt?
Norbert Sievers: Nein, das denke ich
nicht. Nun ist es nicht nur eine Frage der Kulturpolitik. Alles,
was an den Schulen passiert, auch im vorschulischen Bereich, sind
Fragen der Bildungspolitik, aber auch der Kinder-, Jugend- und
Familienpolitik. Insofern hat die Kulturpolitik da nur begrenzte
Handlungsmöglichkeiten. Gesellschaftspolitisch gesehen muss
man sagen, dass man dort noch mehr machen müsste. Denn Bildung
ist in der Tat der entscheidende Schlüssel für kulturelle
Partizipation, neben der Tatsache, dass man dafür auch Geld
und Zeit braucht. Mein Eindruck ist, dass diese Ressourcen knapper
werden. Das ist auch eine Herausforderung für die
Kultureinrichtungen. Es ist ja in vielen Fällen so, dass das,
was geboten wird, kaum noch verstanden wird von jüngeren
Leuten, weil die Bildungsvoraussetzungen nicht mehr da sind, und
weil man für viele Angebote eigene Übersetzer braucht, um
überhaupt dahinter zu kommen, was da vermittelt werden soll.
Das bedeutet nicht, dass man das alles parterre organisieren muss.
Man muss aber auf die Vermittlungsformen acht geben, wie es in
vielen Museen ja auch gemacht wird.
Das Parlament: Wird es Ihrer
Einschätzung - sagen wir 2020 - noch Theater, Museen und
Opernhäuser geben, so wie wir sie heute kennen?
Norbert Sievers: Ich denke schon, dass
es sie dann noch gibt, aber möglicherweise nicht mehr in
dieser Anzahl. Es kann sein, dass diese Institutionen in kleineren
Gemeinden nicht mehr finanziert werden können, dass man sich
dort überlegt, Mischfinanzierungsmodelle hinzubekommen, dass
private Sponsoren noch stärker einsteigen. In diesem ganzen
Prozess, der schon zehn Jahre läuft, wird wahrscheinlich am
Schluss herauskommen, dass es nicht mehr oder weniger Kultur gibt,
sondern andere Angebote geben wird. Ich bin nicht pessimistisch,
dass es im Kulturbereich nicht auch noch vorangeht. Wir sind auf
keiner Rutschbahn abwärts. Das Bedürfnis nach Kultur ist
nach wie vor da und es wird weiter wachsen. Das ist jedoch keine
Garantie für bestehende Einrichtungen, die sich nicht
bewegen.
Das Parlament: Welche Chance liegt
für Kulturinstitutionen darin, dass Fragen nach Sinn und
persönlicher Orientierung wieder an Bedeutung gewinnen
werden?
Norbert Sievers: Das scheint generell
ein Trend zu sein. Ich glaube auch, dass Theater, Museen und andere
Kultureinrichtungen geeignet wären, diese Sinnfragen und diese
Sinnsuche der Menschen mit zu begleiten und dafür Angebote zu
entwickeln. Sie müssen sich allerdings dann ein bisschen
darauf einstellen. In Ostwestfalen gibt es ein Angebot "Wege durch
das Land" des dortigen Literaturbüros, das auf großes
Interesse stößt. Dahinter stecken Lesungen in Kombination
mit Konzerten an industriegeschichtlich und historisch
interessanten Orten. Das bedient dieses Bedürfnis nach Sinn
und Orientierung schon in gewisser Weise, aber nur für ein
ganz kleines Segment. Das sind "Angebote de luxe" für eine
ganz kleine Schicht. Trotzdem bleiben es gute Angebote. Aber es
muss darüber nachgedacht werden, wie man damit auch andere
erreicht. Das ist nach wie vor die große Frage und
Verantwortung der Kulturpolitik in der demokratischen Gesellschaft.
Sie darf nicht immer nur auf die schielen, die kulturell schon
aufgeschlossen sind und solche edlen Angebote nutzen können.
Aber natürlich ist es viel schwieriger, die zu erreichen, die
nicht so leicht ansprechbar sind. Dafür müsste mehr Geld,
Engagement und Fantasie eingesetzt werden. Insofern gibt es noch
viel zu tun.
Zurück zur Übersicht
|