|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Frank Olbert
Warnung vor McCulture
Nachdenkliches über das Wesen von
Kulturevents
In seinem neuen Buch "Im Weltinnenraum des
Kapitals" trägt der Philosoph Peter Sloterdijk in dem
Großkapitel "Zur Entstehung des Weltsystems" eine originelle,
in Teilen sogar unorthodoxe Epocheneinteilung der Neuzeit vor. Die
Globalisierung, so seine Hauptthese, ist kein Phänomen,
welches erst um die letzte Jahrtausendwende aufkommt - die
Globalisierung setzte vielmehr buchstäblich die Segel, als
zunächst die ersten Entdecker, später die Kaufleute und
Piraten ins Unbekannte aufbrachen.
Diese Leute waren Risikonehmer, die ihre
Waren und gegebenenfalls das eigene Leben einsetzten, um als
Gegenwert Land, Geld oder Beute in Besitz zu nehmen. Der epochale
Umbruch trat ein, als sie ihr Risiko versicherten. Das Leben ist im
modernen Warenverkehr schon lange nicht mehr in Gefahr - seit die
Versicherungen Einzug gehalten haben, ist sie auch für den
Kapitalfall gebannt. Ein risikoloser Langmut überzieht unsere
moderne Gesellschaft, daher ihre Liebe zum Gegenteil, zum
Event.
Kein Museum, das auf sich hält, das
neben der Dauerausstellung nicht auch Blockbuster vom Schlage einer
Edward-Hopper-Schau präsentierte - auch wenn man vor lauter
Menschen keine Bilder mehr sieht. Keine Stadt von Bedeutung, die
ebendiese nicht mit Festivals mehren wollte; keine aufstrebende
Region wie das Ruhrgebiet, die ihren Strukturwandel von der
Industrie- zur Kulturlandschaft nicht mit einer teuren Triennale
veredeln würde. Die Oper ist längst globalisiert und
braucht internationale Spitzenstars, um ihre Attraktivität
bewahren zu können: Die Eventkultur erscheint offenbar
notwendig, weil die alltägliche Abonnenmentskultur so
routiniert ist wie die rundum versicherte Warenwelt.
Kultur hat ihren Preis
Kultur hat ihren Preis. Sie kostet, zum
Beispiel Eintrittsgeld oder was ein Bild von Baselitz, eine
Reproduktion desselben oder eine CD mit Beethoven-Sonaten oder
Coldplay-Songs eben so kosten. Aber Kultur zahlt sich auch aus.
Gerade im Zusammenhang mit den Bewerbungen der Städte zur
Europäischen Kulturhauptstadt wird gern die ökonomische
Karte gespielt: Kultur wird zum Event, wie es heißt, sie lockt
Touristen an, hebt Ansehen und Erscheinungsbild einer Stadt, sorgt
für gefüllte Kneipen nach dem Kino- oder Konzertbesuch.
Kultur macht eine gute Figur als Wirtschaftsfaktor.
Das ist gut, wahr und schön so und hilft
der Kultur, über das zweckfrei Gute, Wahre und Schöne
hinaus etwas bodenständiger zu wirken und sich im
kapitalistischen Grund und Boden zu erden. In seinem Buch "The
Twilight Of American Culture" warnt der amerikanische Essayist und
Historiker Morris Berman indes eindringlich davor, die Welt bis in
den letzten Winkel hinein zu ökonomisieren: Unter der
Herrschaft des totalen Konsums würde diese Welt zur "McWorld",
so wie Berman sie in den USA bereits heraufgezogen sieht, mit
simplifizierender Massenkunst, gesunkenen Bildungsstandards und
einer generellen Weigerung, neue Herausforderungen anzunehmen.
Berman variierend, gäbe es dann auch eine
McCulture.
Generell steht die Eventkultur respektive der
Kulturevent in Verdacht, zur McCulture die größten Happen
beizusteuern. "Event", das Wort wird von seinen Verfechtern
ausgesprochen wie ein Synonym des Wörtchens "Geld", die
Dollarzeichen leuchten in den Augen. Wenn seine Verächter
hingegen das Wort "Event" überhaupt in den Mund nehmen, dann
ist ihnen der saure Beigeschmack, den es verursacht, förmlich
anzusehen: Eventkultur gilt ihnen als die konsumierbar zurecht
servierte Kultur, als das, was eigentlich die Kulturbanausen
anlocken soll, die ansonsten nicht bereit sind, einen ganzen
Peymann zu durchleiden, die Neue Musik für eine besonders
hässliche Abart von Lärm und Woody Allen für eine
Comicfigur halten. Diese Leute gehen gern in den Warner-Themenpark
bei Oberhausen und stellen sich vor, sie spielten in einem
Hollywoodfilm mit.
Man muss und kann ja gar nicht bestreiten,
dass der Trash- und Plastikfaktor bei vielen so genannten Events
beträchtlich ist. Jeder Blockbuster im Kino wird im Grunde
genommen durch Werbung, Verloseaktionen und Starrummel zum Event
hochstilisiert, und sei er noch so abgeschmackt. Aber um zu
ergründen, was Events auch sein können, sollte man
vielleicht einmal auf die Künste blicken, die nicht so sehr im
Mittelpunkt stehen und sich eben deshalb manchmal auch zum Ereignis
machen möchten - um mehr Interesse zu erregen, als dies im
Alltag möglich ist.
Randkunst plötzlich mitten im
Leben
Der Westdeutsche Rundfunk in Köln hat in
seinem Angebot das Studio Akustische Kunst, das unter der Redaktion
des mittlerweile pensionierten Klaus Schöning ein wahres
Kleinod im Grenzbereich zwischen Musik und Hörspiel,
bruitistischer Kunst und Performance war. Da diese Stücke im
laufenden Programmbetrieb oft untergehen und von den
Verantwortlichen auch nicht immer geschätzt werden, ging
Schöning vor einigen Jahren, als noch niemand von Eventkultur
sprach, in die Offensive und organisierte ein Festival mit
Akustischer Kunst - mit den Spielorten WDR und Musikhochschule,
aber auch mit dem Spielort Domplatte, auf der Bill Fontana die
Passanten verblüffte, indem er den bevölkerten Platz mit
Geräuschen aus dem Kölner Zoo, dem Affenhaus und
Elefantengehege, beschallte. Ein Ereignis, genauso wie die
Performance des Komponisten Mauricio Kagel, der in aller
Öffentlichkeit sein Stück "Der Tribun" aufführte und
nicht wenige Zuhörer in Zweifel stürzte, ob dieser
schwadronierende Diktator nun echt, eine Unverschämtheit oder
eine großartige Parodie sei. In jedem Fall war die Randkunst
Akustische Kunst mit einem Mal mitten im Leben
angekommen.
Jenseits aller moralischen Kategorien, in die
man Begriffe wie Eventkultur und Kulturevent zwängen
möchte, sollte man sich also fragen, wer was zum Ereignis
machen will und wem es nützt. Das Schaulaufen der Stars auf
der Berlinale nützt vielleicht dem Festivaldirektor, der
seinen Sponsoren Einschaltquoten und Pressespiegel
präsentieren kann - dem Film interessierten Publikum
nützt es absolut nichts: Hat diese Form der McCulture einen
Zweck, dann nur den einen, ein Festival auf die Beine zu bringen,
das neben Stars und Sternchen eben auch Qualität bietet.
Qualität hingegen zum Event zu machen, dagegen kann ernstlich
nichts sprechen. "Delectare et prodesse", so hat der alte Horaz die
Aufgabe der Literatur definiert.
Sie soll voranbringen - bilden. Aber sie soll
eben auch unterhalten und das Interesse des Publikums erregen, denn
was nicht wahrgenommen und goutiert wird, trägt auch nicht zur
Bildung bei.
In einer Gesellschaft, die in der
versicherten Seelenruhe vor sich hin lebt, die Peter Sloterdijk
beschreibt, wird man ohne Events nicht auskommen: Es hat keinen
Sinn, sich elitär davor zu verschließen. Wird die Kultur
indes an die McCulture ausgeliefert, dann kommt einem gewissen
Elitarismus durchaus Bedeutung zu - als Erinnerung daran, dass in
die Breite nur gehen kann, was auch in der Vertikale
Größe beweist. Das ist in der Bildungspolitik nicht
anders und gehört zum Wesen der Demokratie. Man könnte
also umkehrt sagen, dass eine demokratische Kultur beides
benötigt: das Event und die Routine des Abonnements. Und sei
es nur, damit das Event darauf hinweist, das auch Abonnements von
Zeit zu Zeit durchaus aus der Routine ausbrechen
können.
Der Autor ist stellvertretender Ressortleiter Kultur beim
"Kölner Stadtanzeiger".
Zurück zur Übersicht
|