Patrick Glogner
Spot an für das Publikum
Die Forschung kann den Dialog
fördern
Das Kulturpublikum rückt gegenwärtig auffallend in das
Rampenlicht der kulturpolitischen Aufmerksamkeit. Dafür
sprechen nicht nur die vielen kulturpolitischen und
kulturwissenschaftlichen Tagungen der vergangenen zwei Jahre, bei
denen über das Publikum und seine zukünftige Rolle
nachgedacht und diskutiert wurde, dafür spricht auch die
große Nachfrage bei Kulturmanagern, Kulturverwaltern und
Kulturpädagogen nach Erkenntnissen über das Publikum. So
konnten alleine beim diesjährigen Kulturpolitischen
Bundeskongress zum Thema "publikum.macht.kultur" knapp 500
Teilnehmerinnen und Teilnehmer begrüßt werden.
Das Thema "Kulturpublikum" hat derzeit Konjunktur, während
ihm noch bis vor wenigen Jahren kaum Beachtung geschenkt wurde.
Entsprechend steht der steigende Bedarf nach Erkenntnissen
über das Publikum in einem deutlichen Missverhältnis zu
den vorhandenen wissenschaftlichen Befunden.
Wo liegen nun die Gründe dafür, dass dem Publikum
lange Zeit von Seiten der Kulturpolitik und Kulturwissenschaft kaum
Aufmerksamkeit zuteil wurde? Und warum ist das Publikum momentan
das zentrale kulturpolitische Thema? Als ein Grund für das
bisher so geringe Interesse am Publikum kann zunächst die
erfolgreiche Umsetzung einer "Neuen Kulturpolitik" seit den
70er-Jahren angeführt werden. Die Neue Kulturpolitik verfolgte
das gesellschaftspolitische Ziel, über Kultur Kommunikation zu
stiften und Emanzipation sowie Demokratisierung zu fördern. So
begrüßenswert diese Absichten sind, so sehr stehen sie
aber einer wissenschaftlichen "Erfolgskontrolle" im Hinblick auf
die Adressaten, dem Kulturpublikum und den Kulturnutzern, im Weg.
Der Kultursoziologe Gerhard Schulze spricht in diesem Zusammenhang
vom so genannten "Rechtfertigungskonsens". Damit ist gemeint, dass
in der Kultur einer der wenigen Werte an sich gesehen wird, der
keiner weiteren Rechtfertigung bedarf: "Öffentliche
Kulturförderung" - so Schulze - "kann immer nur gut sein."
Folge ist, dass eine kritische Auseinandersetzung mit
Kulturpolitik, kulturpolitischen Zielen und ihrer
tatsächlichen Realisierung verhindert wird.
So nachvollziehbar die breite Zustimmung zu den
gesellschaftspolitischen Intentionen der Neuen Kulturpolitik ist,
so verständlich ist damit aber auch die bisherige
Zurückhaltung in Bezug auf die wissenschaftliche Untersuchung
und kulturpolitische Diskussion der Frage, inwiefern Kultur diese
hohen Ansprüche auch tatsächlich erfüllt.
Ein weiterer Grund für das zurückhaltende Interesse am
Publikum ist das - nach wie vor - überaus große
Förderengagement der öffentlichen Hand im Kulturbereich.
So beliefen sich die Kulturausgaben von Bund, Ländern und
Gemeinden im Jahr 2003 auf mehr als acht Milliarden Euro. Kultur in
Deutschland ist im Wesentlichen öffentlich geförderte
Kultur. Diese - aus kulturpolitischer Sicht richtige und wichtige -
Erfüllung des Kulturauftrags führt jedoch zu einer
Angebotsorientierung, die gleichzeitig die Nachfrager von Kunst und
Kultur und damit auch die Notwendigkeit einer Publikumsforschung in
den Hintergrund treten lässt.
Welche Entwicklungen sind nun aber für das ebenso
unvermittelte wie überaus große Interesse am Publikum
ausschlaggebend? Eine zentrale Rolle spielen sicherlich die
aktuellen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen,
die dazu führen, dass öffentliche Kultur, Kulturpolitik
und Kulturförderung wie nie zuvor mit
Legitimationszwängen und Konkurrenzdruck konfrontiert werden.
Beispielhaft genannt seien zunächst die Finanzlöcher der
öffentlichen Haushalte und der damit einhergehende
Rückgang öffentlicher Fördermittel, die
zwangsläufig den Legitimationsbedarf für die
Kulturinstitutionen erhöhen. Zudem verschärft sich auch
die Konkurrenz mit anderen öffentlichen Angeboten wie
Kindergärten, Schwimmbädern und Jugendhäusern, die
von den angesprochen Entwicklungen nicht minder betroffen sind.
Zuwachs an Konkurrenz
Der Rückgang an öffentlicher Förderung
erhöht jedoch nicht nur den Legitimationsbedarf, sondern
natürlich auch den Finanzbedarf: Das fehlende Geld muss auf
andere Weise erwirtschaftet werden. Damit stellt sich nicht nur die
Frage, mit welchen Argumenten die politisch Verantwortlichen
zukünftig von der Förderung der jeweiligen kulturellen
Aktivitäten oder Einrichtungen überzeugt werden
können, es stellt sich außerdem die Frage, auf welche
Weise die Eigeneinnahmen gesteigert werden können. Eine
Möglichkeit wird dabei häufig in der Steigerung der
Zuschauer- beziehungsweise Besucherzahlen gesehen. Diese
"Vermehrung des Publikums" ist jedoch das zweite große
Problem, dem öffentliche Kultureinrichtungen und die
Kulturpolitik gegenüberstehen. Von besonderer Relevanz sind in
diesem Zusammenhang die veränderten Bedingungen eines
postmodernen Freizeitmarktes. Die Konkurrenz für die
öffentlichen Kulturangebote nimmt stetig zu. Genannt seien zum
Beispiel die Entwicklungen auf dem Medienmarkt - man denke nur an
den DVD-Boom -, aber auch die wachsende Mobilität seit der
Einführung von Billigflügen und dem Verkauf von
Bahntickets in Supermärkten.
Hinzu kommt ein weiteres Problem: Nicht nur der Freizeitmarkt
hat sich vergrößert und in eine Vielzahl verschiedenster
Angebote ausdifferenziert, im Zuge der gesellschaftlichen
Pluralisierung und Individualisierung kann man auch nicht mehr von
dem "Theaterpublikum", den "Museumsbesuchern" oder dem
"Kinopublikum" sprechen. Es gibt vielmehr höchst differente
Publika mit überaus unterschiedlichen Kulturinteressen,
Nutzungsanlässen und Ansprüchen an Kultureinrichtungen.
Aus den drei aufgeworfenen Problembereichen - Legitimationsbedarf,
Konkurrenzverschärfung und Differenzierung der Nutzergruppen -
lässt sich jeweils direkt die kulturpolitische Relevanz einer
verstärkten Publikumsforschung ableiten.
In Hinblick auf den Legitimationszwang ergibt sich durch
Publikumsforschung die Chance wissenschaftlich fundierter Argumente
zur Aufrechterhaltung und Förderung kultureller Angebote, wenn
im Sinne der kulturpolitischen Ziele positive "Wirkungen" der
Kultur beim Publikum evaluiert werden können. In diesem
Zusammenhang ist die bisherige Zurückhaltung der
wissenschaftlichen Überprüfung nachvollziehbar, da diese
bei "unerwünschten" Ergebnissen gerade auch zum Gegenteil
führen kann, das heißt zur Relativierung der Legitimation
öffentlicher Kulturangebote. Dieses Risiko muss jedoch in Kauf
genommen werden. Die alleinige Artikulation des guten Willens im
Sinne des erwähnten "Rechtfertigungskonsenses" wird
zukünftig nicht mehr ausreichen. Angemerkt sei, dass es
bislang jedoch kaum Ansätze einer systematischen
Wirkungsforschung im Kulturbereich gibt.
Hinsichtlich des zunehmenden Konkurrenzdrucks und der daraus
abgeleiteten Notwendigkeit von Publikumsforschung ist zunächst
zu betonen, dass damit nicht das Ziel einer inhaltlichen
Publikumsorientierung verbunden sein darf. Der kulturelle Auftrag
sollte alleine schon deshalb im Vordergrund stehen, um nicht die
eigene Legitimation zu untergraben. Beispielhaft verwiesen sei auf
Stadttheater, die plötzlich Musicals spielen, nur weil diese
gerade "in" sind. Kulturmarketing-Experten wie Armin Klein betonen
eindringlich, dass das künstlerische oder kulturelle "Produkt"
sowie seine Qualität immer im Vordergrund steht und inhaltlich
unangetastet bleiben muss. Vielmehr ist zu fragen, inwiefern die
verschiedenen Publika und ihre Nutzungsanlässe sowie
Umgehensweisen mit Kultur eine Neukonzeption des Marketings - der
Preis-, der Kommunikations-, Distributions- und Servicepolitik -
notwendig erscheinen lassen, um sie erfolgreich für
Kulturangebote gewinnen zu können.
Es sollte deutlich gemacht werden, dass Publikumsforschung nicht
heißen muss, nur auf "die Quote zu schielen".
Publikumsforschung kann vielmehr auch einen Beitrag für den
Dialog zwischen Kunst, Politik und Publikum leisten und für
die Legitimation und aktive Vermittlung öffentlicher und
anspruchsorientierter Kulturangebote eine dienende Funktion
übernehmen.
Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut
für Kulturmanagement der Pädagogischen Hochschule
Ludwigsburg.
Zurück zur
Übersicht
|