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Astrid Pawassar
Ein Stück vom Kuchen auch für die
Kleinen
Sachsens Kulturförderpolitik ist
einmalig
Zwischen all den alten deutschen und neuen chinesischen
Klavieren eines Dresdener Pianohauses wartete wochenlang ein
gewaltiger Konzertflügel auf einen neuen Besitzer. Ein
Upper-Class-Markenprodukt, das niemals in einem herkömmlichen
Wohnzimmer gespielt worden war. Es gehörte in den Konzertsaal
des Sinfonieorchesters Pirna. 50 Jahre lang hatte das ansehnliche
Städtchen unweit von Sachsens Landeshauptstadt einen eigenen
Klangkörper. Ob der Flügel mittlerweile ein neues Zuhause
hat, ist nicht bekannt. Das Orchester aber musste sich mit der
Elbland Philharmonie Sachsen aus Riesa zusammenschließen, die
ebenfalls 50 Jahre alt war und auch gute Musiker sowie einen
Konzertflügel besaß. Die Neue Elblandphilharmonie hat
seither zwar schon so manchen Schwanengesang gehört. Doch
bislang ist es dem ambitionierten Orchester immer noch gelungen,
sich in immer rauer werdenden Zeiten über Wasser zu
halten.
Betriebswirtschaft trifft Kunst
Abonnementsreihen, Schüler- und Familienkonzerte,
Gastspiele, Auftritte bei Festspielen, gefällige Programme
ebenso wie zeitgenössische Musik - ein Angebot für jeden
Geschmack muss sein, um die Säle füllen zu können.
Zuletzt kam der Direktion die Idee, über einen
Sponsoring-Fonds um finanzielle Unterstützung zu bitten; die
betriebswirtschaftliche Kalkulation bestimmt die künstlerische
Disposition. So soll es auch sein. Jedenfalls wenn es nach dem
Willen der Regionalpolitiker im Freistaat Sachsen geht. Immer noch
müssen Straßen gebaut und Investoren angeworben werden,
um Arbeitsplätze zu schaffen. Gleichzeitig laufen manchen
Städten die Einwohner in Scharen davon, weil sie keine
Lebensperspektive haben. Die Folge sind leere Kassen und ein hartes
Spardiktat, dessen Opfer allzu leicht die kulturellen Einrichtungen
werden können.
Diese Situation rechtzeitig erkannt und früh dafür
vorgesorgt zu haben, darf sich die erste Staatsregierung im
wiedererrichteten Freistaat rühmen. Als das Kabinett unter
Kurt Biedenkopfs Leitung seine Geschäfte aufnahm, blickte es
auf eine Theater- und Orchesterlandschaft, die in ihrer Dichte und
Vielfalt einmalig war. Weil feststand, dass die
Förderprogramme des Bundes nur eine begrenzte Laufzeit hatten
und danach die Kommunen als hauptsächliche Träger der
Kulturinstitutionen überfordert sein würden, wollte der
Freistaat einen Teil zum Überleben der gewachsenen
Kultureinrichtungen beitragen. Dass er sich dabei nicht nur auf
Theater und Orchester beschränken konnte, sondern auch den
zahlreichen Heimatmuseen, Laienchören und vor allem den
Bibliotheken und Musikschulen eine Chance geben musste, die in
strukturschwachen Gebieten ihre besondere Bedeutung haben, stand
als Nächstes fest. Innerhalb eines Jahres machte Sachsen
Nägel mit Köpfen. Der Gedanke einer Verbundfinanzierung
kultureller Einrichtungen durch Kommunen und Freistaat wurde
institutionalisiert, das Kulturraumgesetz im Dezember 1993
einstimmig im Landtag verabschiedet. Der Zeitdruck war in gewisser
Hinsicht ein Segen, existierten doch damals noch 48 Landkreise und
sechs kreisfreie Städte in Sachsen, mit denen Finanzfragen
hätten abgestimmt werden müssen. So aber hat der
Freistaat per Gesetz acht ländliche Pflichtzweckverbände,
sprich Kulturräume, angeordnet, deren Mitglieder die
Landkreise und kreisfreien Städte sind. Die Städte
Dresden, Chemnitz und Leipzig wurden zu urbanen Kulturräumen
erklärt. Damit sollte sichergestellt werden, dass die Mittel
nicht hauptsächlich in den Ballungsgebieten ausgegeben
werden.
Kulturkonvent mit Finanzhoheit
Die Kulturpflege wurde praktisch mit der Müllabfuhr
gleichgesetzt - nämlich als Pflichtaufgabe der Gemeinden - und
niemand war darüber glücklicher, als die
subventionsgewöhnten Kunstschaffenden. Der Freistaat
verpflichtete sich für zunächst zehn Jahre, jährlich
mindestens 76,7 Millionen Euro bereitzustellen. Im Gegenzug
führen die Kulturräume eine Kasse, in die auch Gelder aus
einer eigenen Umlage abgeführt werden. Die Landräte und
Oberbürgermeister sowie je zwei Vertreter der regionalen
Parlamente bestimmen im Kulturkonvent über die Zuteilung der
Mittel. Der Freistaat hält sich dabei ganz zurück.
Stattdessen existieren in jedem Kulturraum Beiräte, die den
Konvent bei der Bewertung der zu fördernden Projekte beraten.
So wurden in das regionale Kulturmanagement rund 800
Interessenvertreter eingebunden.
Dass die Kulturräume ganz unterschiedlich funktionieren,
liegt in der Natur der Sache. Im fortschrittlichen Vogtland hat man
die neuen Vorzeichen akzeptiert und etliche Fusionen und
Kooperationen angestoßen, um mit den vorhandenen Mitteln
möglichst viele kulturelle Institutionen erhalten zu
können. Über Kulturraumgrenzen hinweg haben sich die
Theater in Plauen und Zwickau zusammengeschlossen; mit dem Ausbau
des König-Albert-Theaters in Bad Elster haben sie nicht nur
eine weitere Spielstätte, sondern der vogtländische
Kurbetrieb eine weitere Attraktion. Die Vernetzung der
örtlichen Bibliotheken soll vorangetrieben werden, damit sie
sich bei ihren Ankäufen spezialisieren und somit insgesamt
ihre Angebotspalette erweitern können.
Anders im Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien. Dort, wo die
Arbeitslosigkeit am größten ist, hoffen die Städte
Bautzen, Görlitz und Zittau nach wie vor darauf, ihre
traditionsreichen Theater erhalten zu können. Der Kreis Kamenz
als Mitglied in diesem Verbund, sah bereits das Solidarprinzip
überstrapaziert. Seine damalige Landrätin - pikanter
Weise eine enge Vertraute des heutigen Ministerpräsidenten -
wollte in den 90er-Jahren gar das Verfassungsgericht gegen das
Kulturraumgesetz anrufen. Kein Wunder, denn der Kreis Kamenz hat
außer dem Museum der Westlausitz wenig kulturelle
Großeinrichtungen.
Schwierige Entscheidungsfindung
"Das ist aber gerade eine Chance für die Kleineren", meint
Tobias Knoblich, Geschäftsführer des Landesverbandes
Soziokultur. Die soziokulturellen Einrichtungen, die beim
Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien eine institutionelle oder
projektbezogene Förderung beantragt haben, hätten sie
auch bekommen. "Es ist doch gut, dass nicht die Vorlieben der
Landräte ausschlaggebend sind." Darin sind sich die
Kulturschaffenden weitgehend einig. Schwieriger ist es schon mit
der vom Kulturraumgesetz geforderten demokratischen
Entscheidungsfindung. Ein wenig mehr Einmischung des Staates
hätten manche schon gerne; denn Kommunikationsprobleme,
Eitelkeiten, Uneinsichtigkeiten gibt es im Verteilungskampf um die
knappen Mittel immer.
Auch Torsten Tannenberg, Geschäftsführer des
Sächsischen Musikrates, wünschte sich gerade bei der
Ordnung der Theaterlandschaft oder überhaupt bei der
Mittelzuteilung ein Machtwort der Staatsregierung oder zumindest
eine Vorgabe. "Manche Kulturräume nehmen ihre Bibliotheken
nicht in die Förderung, dafür aber Stadtfeste." Und
manchmal blieben die Kommunen oder Landkreise ihren Beitrag
für die Kulturkasse schuldig, weil sie ein Schlupfloch in den
Verwaltungsvorschriften gefunden haben.
Dass an dem Kulturraumgesetz noch einiges verbessert werden
kann, sieht auch Sachsens Ministerin für Wissenschaft und
Kunst Barbara Ludwig (SPD). Sie ist damit beschäftigt, sich
Expertenrat für eine Novelle des Gesetzes einzuholen. Denn
vorerst wurde seine Gültigkeit nur bis 2008 verlängert.
Alle Beteiligten aus Kulturkreisen sind sich aber einig, dass zum
Bestandsschutz beziehungsweise zugunsten größerer
Planungszeiträume die Laufzeit des Gesetzes mindestens noch
einmal um zehn Jahre verlängert werden sollte. Torsten
Tannenberg hat bezüglich der Gesamtentwicklung allerdings
wenig Illusionen. "Das Gesetz ist gut, weil es Strukturen sichert,
die sonst auf der Strecke geblieben wären. Es kann aber den
Prozess des schleichenden Kulturabbaus nur verlangsamen - der ist
nun mal ein gesellschaftliches Phänomen."
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