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Susanne Kudorfer
Das Museum kann auch Lernort sein - authentische
Erfahrungen und Begegnungen
Mit der Kunst im Gespräch in den
Münchner Pinakotheken
Sonntag im Münchner Kunstareal, Museumswetter: Einheimische
und Touristen schlendern zwischen den drei Pinakotheken, rasten im
Museumscafé, strömen zu einer Ausstellung. Um elf Uhr
findet eine Führung statt. Am Nachmittag treffen sich
zwölf angemeldete Teilnehmer zum "Picknick". Die Gruppe
erarbeitet sich in einem Kunstgespräch Bilder der Natur in der
Neuen Pinakothek. Begleitet wird der Spaziergang von literarischen
Texten, die nach fast zwei Stunden zu Brot und Käse unter
Kastanien vor dem Museum führen. In der Alten Pinakothek
sprach am Tag vorher ein Kunsthistoriker mit einem Botaniker
über Blumenbilder.
Wie dieser Ausschnitt aus dem Programm eines Wochenendes zeigt,
sind die Möglichkeiten und Angebote vielfältig. Museen
bewahren und vermitteln kulturelle Werte. Sie sind öffentliche
Orte, an denen man Kunst und Kultur begegnen kann: allein, mit
Freunden und der Familie oder in organisierten Gruppen. Kunst und
Kultur sollen für Menschen jeden Alters und jeder Herkunft
erlebbar sein. Die Pinakotheken bieten ihren Besuchern daher ein
ausführliches Angebot öffentlicher thematischer
Führungen, Kunstgespräche und Workshops, in denen
verschiedene Formen der Kunstvermittlung für unterschiedliche
Ziel- und Altersgruppen einen Einstieg in die Welt der Kunst
ermöglichen und in die Tiefe gehen.
Viele kommen regelmäßig
Das Museum für das Publikum zu erschließen beginnt
aber schon vorher: mit der Erreichbarkeit, mit besucherorientierten
Öffnungszeiten, zum Beispiel Abendöffnungen für
Berufstätige und erschwinglichen Preisen. Der Eintritt in die
Pinakotheken kostet sonntags nur einen Euro. Viele
Münchnerinnen und Münchner nutzen dieses Angebot. Sie
kommen regelmäßig, lernen die Museen nach und nach
kennen, verfolgen wechselnde Sammlungspräsentationen und
Ausstellungen. Ein erster Blick bei einem Museumsspaziergang am
Sonntag kann Fragen aufwerfen, Diskussionen anzetteln, "Lust auf
mehr" machen.
Auch an den Wochentagen sind die Pinakotheken gut besucht.
Für Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr und
Schulklassen ist der Eintritt in die bayerischen staatlichen Museen
frei. Viele Lehrerinnen und Lehrer nutzen mit ihren Klassen das
Museum als Ergänzung zum Unterricht in der Schule. Betreut vom
museumspädagogischen Zentrum oder selbstständig entdecken
junge Menschen Kunst im Original.
Freizeitangebote für Kinder ab fünf Jahren bieten die
Pinakotheken am Freitag Nachmittag: exemplarisch, sinnlich und
aktiv sind die Expeditionen in die Sammlungen, bei denen wir genau
hinschauen, Worte finden und Gesehenes mit eigenen Erfahrungen
verknüpfen. Die Möglichkeiten und Zugangsweisen sind
unendlich. Wir konzentrieren uns auf relevante Themen, authentische
Begegnungen und kindgerechte Methoden. Im Programm zu einer
Ausstellung über den Historienmaler Carl Theodor von Piloty,
den nun wirklich nicht jedes Kind kennen muss, nahmen wir uns zum
Beispiel die Geografie vor. Ein überlebensgroßes Bildnis
von Christoph Kolumbus mit Navigationsinstrumenten an Deck seines
Schiffes war der Einstieg. Die Kinder lernten einen Kompass kennen,
beschäftigten sich mit Hilfe von Globus und Weltkarte - beides
Montessorimaterialien - mit den Kontinenten und zeichneten zum
Abschluss eine Seekarte.
Brücken in die Schulklassen
In längerfristigen Projekten und Partnerschaften
experimentieren wir mit neuen Medien und Methoden. Eine
Internetseite zur Pinakothek der Moderne von Jugendlichen für
Jugendliche erstellten 19 Schülerinnen und Schüler eines
Münchner Gymnasiums. Über ein Jahr verfolgten sie in
ihrem Leistungskurs Kunst die Aktivitäten des Museums. Sie
nahmen an Vernissagen und Veranstaltungen teil, trafen
Künstler und Museumsleute. Mit dem Konservator für die
Kunst der Gegenwart diskutierten sie über aktuelle
Ankäufe und bekamen Einblick in den Aufbau einer Ausstellung.
Im Atelier des Designrestaurators diskutierten sie über
Grundfragen der Museumsarbeit. Warum wird ein originaler
Plastikstuhl aus den 70-Jahren aufwendig untersucht und
restauriert, wenn man das gleiche Modell für knapp 200 Euro im
Designshop kaufen kann? In der Schule arbeitete die Gruppe mit
ihrer Lehrerin gestalterisch zu Kunstwerken aus dem Museum. Ein
Schüler verwandelte das Eltern-Sprechstundenzimmer in eine
surrealistische Installation, Facharbeiten entstanden zu
Museumsthemen und alle gemeinsam programmierten und gestalteten die
Internetseite "www.klassenfahrt.de".
Stellenwert der Kunstvermittlung
Im Bereich der Erwachsenenbildung bieten die Pinakotheken
ebenfalls ein vielfältiges und ausführliches Angebot.
Jeden Tag finden Führungen und Kunstgespräche statt: ein
Bild für eine halbe Stunde zum Mittag, Streifzüge und
Rundgänge zu übergreifenden Themen. Führungsreihen
setzen Schwerpunkte und greifen aktuelle Themen auf.
Anlässlich der Bundesgartenschau nahmen wir uns zum Beispiel
die Blumen in den Pinakotheken vor - von den Alten Meistern bis zur
zeitgenössischen Kunst. Workshops mit verschiedenen Experten
finden einmal im Quartal statt. Zur Ausstellung von Frei Otto, dem
Erfinder und Konstrukteur der Zeltdächer des Münchner
Olympiaparks, arbeiten die Teilnehmer einen halben Tag mit einer
Kunsthistorikerin und einem Architekten. An den Stationen der
Ausstellung und mit praktischen Experimenten lernen sie die
Gestaltung und die aus natürlichen Gesetzmäßigkeiten
entwickelte Technik kennen.
Die Vielzahl der Angebote der Pinakotheken zeigt, dass
Kunstvermittlung, die Arbeit mit dem Publikum, in diesen
Häusern einen hohen Stellenwert genießt. Wie in allen
anderen Bereichen des Museums sind die Haushaltsmittel jedoch
beschränkt. Glücklicherweise engagieren sich
Fördervereine und Wirtschaftsunternehmen aber auch für
die Bildungsarbeit. Die Philip Morris GmbH, langjähriger
Förderer der Pinakothek der Moderne, initiierte 2002 das
Projekt PINK und finanziert es nun im dritten Jahr. Ziel ist es,
für Jugendliche aus sozialen Brennpunkten, Blinde und
Sehbehinderte, Gruppen aus Senioreneinrichtungen, sowie
Frauenhäusern und anderen Hilfsnetzwerken einen Zugang zu
Kunst zu eröffnen. Ein Team von Kunsthistorikerinnen,
Künstlerinnen und Pädagoginnen entwickelte acht
zielgruppenspezifische Angebote mit unterschiedlichen inhaltlichen
und thematischen Schwerpunkten. Interessen und Fragen von
Jugendlichen werden aufgegriffen, zum Beispiel bei "Tempo, Tempo",
einem Programm, das von den Autos in der Designabteilung zu
Kunstwerken führt, in denen Geschwindigkeit visualisiert wird.
"Sehen und gesehen werden" behandelt das Thema der
Selbstdarstellung. Für Blinde und Sehbehinderte wird
Komposition und die Darstellung von dreidimensionalen Objekten auf
einer Bildfläche mit Hilfe eines Holzpuzzles in
Originalgröße von einem Stilleben Picassos umgesetzt. Die
Stärke von PINK liegt in der engen Zusammenarbeit mit den
sozialen Einrichtungen. Entscheidend sind die
Professionalität, Sorgfalt, Zeit und Zuwendung, die für
die Konzeption der Programme, die Betreuung der Gruppen und die
Reflexion der Arbeit aufgewendet werden.
Mit PINK spricht die Pinakothek der Moderne Menschen an, die
Kunst und Kultur noch nicht als Bereicherung für ihr Leben
entdecken konnten. Wie in der Arbeit mit allen anderen Besuchern
wollen wir niemanden plump belehren, nicht einfach Daten und Fakten
abladen, sondern das Potential der Kunst nutzen: authentische
Erfahrungen und ebensolche Begegnungen ermöglichen.
Bildungsprozesse im Museum sind vielschichtig. Kunstwerke sind
uneindeutig. Sie fordern das aktive Zutun des Betrachters,
gedankliche Auseinandersetzung und Kommunikation. Kunst ist ein
Feld der Auseinandersetzung mit Fragen des Lebens, der Welt und der
Gesellschaft. Das betrifft alle Besucherkreise. Kulturelle Bildung
muss neben der sehr zweckorientierten Berufsausbildung ihren Platz
haben als ganzheitliche und lebenslange Aufgabe, die lohnt und
Freude macht. Museen sind hervorragende Orte dafür.
Die Autorin leitet den Bereich Besucherdienst/ Kunstvermittlung der
Bayerischen Staatsgemäldesammlungen/Pinakothek der Moderne in
München.
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