|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Barbara Haack
Schiefe Töne im Quoten-Streit
Diskussion über deutsche Musik im
Rundfunk
Jahrelang war sie allenfalls ein Thema für den Katzentisch.
Wer sich für sie einsetzte, wurde gerne mit dem Vorwurf der
"Deutschtümelei" bedacht. Im vergangenen Jahr plötzlich
gewann die Idee der Rundfunkquote in Deutschland erstaunlich an
Popularität. Zahlreiche Musikerinnen und Musiker sprachen sich
mit einem Mal dafür aus, Rundfunkanstalten gesetzlich dazu zu
zwingen, regelmäßig einen bestimmten Anteil an deutscher
Musik zu senden. Deutsche Musiker, so hieß es, seien in den
Medien erheblich unterrepräsentiert und müssten sich
zukünftig verstärkt dort wieder finden. Höhepunkt
dieser Initiative war die Popkomm, größte Pop-Messe
Europas, die 2004 erstmals in Berlin stattfand. Hier bündelten
sich die Aktivitäten für die Quote, und nicht
zufällig fand zeitgleich zu dem Messe-Event im Deutschen
Bundestag eine öffentliche Anhörung eben zum Thema
Rundfunkquote statt. Gemeinsam eingeladen hatten der
Bundestagsausschuss für Kultur und Medien und die
Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland". Das Interesse der
Öffentlichkeit war - im Vergleich zu anderen Anhörungen
mit kulturellen Themen - sensationell. Die Besucher-Tribüne
platzte aus allen Nähten, und man fand auch bekannte
Größen der Entertainment-Branche wie Udo Lindenberg, Ina
Deter oder Reinhard Mey auf den Zuhörerrängen.
Die Vorstellungen über die Realisierung einer solchen Quote
gehen allerdings weit auseinander. Uneinigkeit herrscht zum
Beispiel über die Frage, ob es deutschsprachige Musik ist, die
hier unterstützt werden soll oder in Deutschland produzierte
Musik, die dann auch in Englisch oder jeder anderen Sprache
gesungen werden kann. Unklar ist auch, ob eine Quote im dualen
Rundfunksystem Deutschlands nur die öffentlich-rechtlichen
Anstalten betreffen soll oder ob auch private Sender dem Gesetz
Folge leisten müssten. Weiterhin gibt es divergierende
Meinungen über die Höhe der Quote; zwischen 40 und 50
Prozent werden in der Regel gehandelt. Einige Quoten-Verfechter
verlangen, musikalische Newcomer einzubeziehen, um zu vermeiden,
dass zukünftig zwar möglicherweise mehr deutsche Musik zu
Gehör gebracht wird, die Anzahl der gesendeten Musiker aber
auf dem heutigen Level bleibt. Neben Herbert Grönemeyer, Nena
und Marius Müller Westernhagen würde dann kaum noch eine
deutsche Stimme über den Äther dringen. Zu klären
ist auch die Genre-Frage: Was, wenn zum Beispiel
öffentlich-rechtlichen Anstalten von ARD und ZDF die Quote
lediglich mit dem "Grand Prix der Volksmusik" und "Musikantenstadl"
bedienten? Deutsche Pop-Musiker, gar unbekannte, kämen hier
weiter nicht zum Zuge.
Als leuchtendes Beispiel für alle Freunde der Quote gilt
Frankreich. Dort gibt es seit 1994 eine Quote. 40 Prozent aller im
öffentlichen und privaten Rundfunk gesendeten Musik
müssen seither französischsprachig sein, die Hälfte
darüber hinaus Neuerscheinungen. Seit dem Jahr 2000 wurde die
Regelung flexibler gestaltet. Abhängig von der Ausrichtung der
Sender auf Jugendliche oder Erwachsene gelten unterschiedliche
Quotierungen. Der Erfolg des französischen Modells, so
heißt es, sei enorm. Die Verkaufszahlen seien extrem
angestiegen, und dies sogar im Ausland. Ob das Beispiel Frankreich
tatsächlich Vorbild für Deutschland sein kann, ist
allerdings zweifelhaft. Zu groß sind die strukturellen und
stilistischen Unterschiede. So ist das Land und damit auch sein
Rundfunksystem im Gegensatz zur Bundesrepublik zentralistisch
organisiert. In Deutschland haben die Länder ihre eigenen
Rundfunkanstalten und auch die Rundfunkhoheit liegt bei den
Bundesländern. Dazu kommt, dass die Franzosen mit dem Genre
des Chansons über eine französischsprachige
Musiktradition verfügen, die es in Deutschland so nicht gibt.
Vor allem aber hat Frankreich im Zusammenhang mit der
Einführung der Quote ein ganzes Paket zur Förderung der
französischen Sprache und der Erhaltung der kulturellen
Vielfalt in diversen Kunstsparten entwickelt. Die Quote war nur
Teil eines Bündels von Maßnahmen, die unter anderem auch
Film und Fernsehen betrafen.
Zurück nach Deutschland: Die Fronten sind klar, die
Vorwürfe harsch. Auf der einen Seite sammelt sich eine
Vielzahl von Musikern. Ihnen zur Seite steht die IFPI, der Verband
der deutschen Phono-Industrie. Er vertritt rund 1.000 Musiklabels,
darunter die großen Major-Firmen, die das Geschäft
beherrschen. Zu wenig deutsche Musik werde im Radio gespielt,
lautet die einfache These, daher werden in dieser Sparte auch wenig
CDs verkauft. Mit anderen Worten: Die Radiosender sind zumindest
mit Schuld an der Misere der Tonträgerindustrie. Dass gerade
die Majors fast zeitgleich mit ihrem lauten Ruf nach der Quote
zahlreiche bei ihnen unter Vertrag stehende deutsche Musiker mit
einer Kündigung nach Hause geschickt haben, bezeichnet
IFPI-Chef Gerd Gebhardt als "Mär". Lediglich
Umstrukturierungen habe es gegeben. Dem aufmerksamen
Marktbeobachter mögen Zweifel an dieser Behauptung erlaubt
sein.
Eingriffe ins Programm unerwünscht
Auf der anderen Seite stehen die Radiosender.
Öffentlich-rechtliche und Private wollen von einer
Quoten-Reglementierung nichts wissen. Beide sprechen sich strikt
gegen einen derart einschneidenden Eingriff in ihre
Programmfreiheit aus. Private Rundfunksender sind kommerziell
agierende Unternehmen, die auf ihre Werbeeinnahmen angewiesen sind,
um überleben zu können. Um ihre Einschaltquoten zu halten
oder zu steigern, müssen sie zwangsläufig den Mainstream
bedienen und das senden, wonach ein Großteil der Hörer
verlangt.
Anders steht es um die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und
Fernsehanstalten. Ihr Programmauftrag lautet, die Hörer
ausreichend zu informieren, zu bilden und über Kunst und
Kultur, auch über weniger bekannte, in den jeweiligen
Sendegebieten zu berichten. Von Einschaltquoten sollten diese durch
Rundfunkgebühren finanzierten Institutionen ihre
Programmgestaltung gerade nicht abhängig machen. Dass sie dies
immer mehr tun, zeigen zahlreiche Äußerungen von
Rundfunk-Intendanten, die ihre Einschaltquoten inzwischen als
entscheidendes Kriterium einer erfolgreichen Rundfunkarbeit
ausweisen.
Folge der September-Anhörung war eine Plenardis-kussion im
Bundestag am 17. Dezember 2004. Die Forderung nach einer
Quotenregelung hatte sich bis dorthin allerdings schon nicht mehr
halten können. Vielmehr brachten die Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen ebenso wie die CDU/CSU-Fraktion
Anträge ein, in denen es um eine freiwillige
Selbstverpflichtung der Rundfunkanstalten ging. Der Antrag der
Fraktionen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen wurde
schließlich angenommen. Darin wird von den Sendern unter
anderem verlangt, in den Musikprogrammen einen Anteil von
annähernd 35 Prozent deutschsprachiger beziehungsweise in
Deutschland produzierter Pop- und Rockmusik zu senden und dabei
Neuerscheinungen ausreichend zu berücksichtigen. Weiter sollen
sie eine breiter gefächerte Auswahl an Titeln spielen sowie
Pop- und Rockmusik aus Deutschland und Nachwuchsmusiker aus
Deutschland mit unterschiedlichen Maßnahmen fördern. Ob
diese Regelung geeignet ist, das Rundfunksystem in Deutschland zu
verändern, ist mehr als fraglich. Ohne Sanktionen, so scheint
es, werden die Rundfunksender unverbindlichen Auflagen keine
Beachtung schenken.
Bleibt die Frage, ob eine erzwungene quantitative Steigerung
deutschsprachiger Titel wirklich den von Künstlern und
Tonträgerindustrie erhofften Erfolg hätte. Jahrelang
durften durchaus Zweifel erlaubt sein, ob es überhaupt genug
deutsches Musikrepertoire gibt, um 40 Prozent der Sendeplätze
zu füllen.
Gerade in der letzten Zeit aber hat sich eine Reihe von neuen
deutschsprachigen Bands überaus erfolgreich auf dem Markt
etabliert. "Wir sind Helden", "Silbermond" und die "Söhne
Mannheims" sind nur einige unter vielen. Eine neue "Neue Deutsche
Welle" macht deutsche Popmusik zurzeit wieder populär - auch
ohne Quote.
Die Autorin ist Redakteurin bei der "neue musikzeitung" (nmz).
Zurück zur
Übersicht
|